Fastenpredigt:Vom Nockherberg aus hinaus in alle Welt

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Der Schauspieler Max Grießer (hier ein Bild von 1994) war der erste Fastenprediger, der auf dem Münchner Nockherberg in der Mönchskutte des Bruders Barnabas auftrat. (Foto: Frank Mächler/dpa)

Seit mehr als 100 Jahren treten Redner beim Starkbieranstich auf. Inzwischen wird das in ganz Bayern kopiert: überall Fastenprediger im Mönchsgewand. Nicht immer haben sie Talent.

Von Hans Kratzer, München

Nachdem der Brauer Franz Xaver Zacherl anno 1858 das auf der östlichen Isarhöhe gelegene Schlösschen der Familie Nockher übernommen hatte, verwandelte er das Bauwerk in einen großräumigen Bierausschank. Dass dieser Salvator-Keller sehr schnell Berühmtheit erlangte, lag an dem süffigen Starkbier, das dem verehrten Publikum dort kredenzt wurde. Das Bier war zwar für die Städter schon per se ein Lebenselixier, aber bald merkten die Wirte, dass sich Heiterkeit und Umsatz mithilfe einer begleitenden Unterhaltungsgaudi exorbitant steigern ließen. Alsbald tummelten sich im Biertempel auf dem Nockherberg bierschwitzige Gstanzlsänger, Komödianten und Salvatorredner wie der legendäre Jakob "Papa" Geis.

Aus Gendersicht war die frühe Starkbier-Ära gewiss eine finstere Zeit. Frauen wurden von der Biergaudi noch weitgehend ferngehalten, weshalb Geis bei seinem ersten Auftritt auf dem Nockherberg anno 1891 lediglich ein "äußerst gewähltes Herrenpublikum" unterhalten haben soll. Gut möglich, dass er in seinem Vortrag über die Herkunft des Namens Salvator reflektierte und die am ehesten zutreffende Theorie darlegte, wonach die barocken Paulaner-Mönche den Fastentrunk zunächst Sankt-Vater-Bier genannt hatten, bevor die Münchner daraus umständehalber den Salvator machten.

Keineswegs traten die ersten Salvatorredner bereits im Mönchsgewand auf die Bühne. Das ist eine neue Masche, die ganz konträr zur Popularität des Mönchsberufs steht, aber vermutlich Bezug nimmt auf die Tradition der alten Bußpredigten der Kapuziner. Die Fastenprediger auf dem Nockherberg stellten sich in erster Linie selber dar, etwa Ferdinand Weisheitinger, der von allen nur Weiß Ferdl genannt wurde. Von einem Bußprediger hatte er gar nichts an sich, vielmehr unterhielt er das Publikum als Brettlkünstler in den 20er- und 30er-Jahren mit unpolitischen Couplets und Sketchen.

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Erst die Volkssänger Roider Jackl (1906-75) und Emil Vierlinger (1909-84) schlugen von den 60er Jahren an einen politischen Ton an. Der mit einem trockenen niederbayerischen Humor gesegnete Roider Jackl trug seine Nockherberg-Botschaft in Form von Gstanzln vor, das waren gesungene Vierzeiler, die im Nebel des Biers und des Tabakqualms ihre volle Wirkung insofern entfalteten, als die dargestellten Torheiten der Politik beim Publikum stets Lachkrämpfe auslösten.

Als das Bayerische Fernsehen diese öffentliche Wirkung erkannte und fortan den Starkbieranstich übertrug, wurden der Nockherberg und sein begleitendes Brauchtum bayernweit populär. Die bisweilen jährlich wechselnden Fastenprediger standen nun vor dem Problem, dass sie es den Großkopferten zwar endlich einmal vor großem Publikum hinreiben konnten, dass die Predigt nach dem Willen der Brauerei allzu frech aber auch nicht sein durfte.

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Die Kunst der charmant-hinterfotzigen Fastenpredigt kultivierte von 1982 an der Volksschauspieler Walter Sedlmayr, dem der Journalist Hannes Burger zuarbeitete. Sedlmayr resümierte einmal: "Die gscherten Sachen muss man besonders freundlich sagen - dabei aber immer Herr bleiben." 1992 war der Schauspieler Max Grießer der erste Festredner, der in der Mönchskutte des Bruders Barnabas auftrat und somit der Gemütlichkeit viel Platz einräumte. Nach der Jahrtausendwende dominierten dann die scharfen Töne der politischen Kabarettisten. Während die Minister, Parteihengste und ihr Gefolge die Predigten von Bruno Jonas (2004-2006) noch süß-sauer lächelnd hinnahmen, gingen Django Asül (2007) und Michael Lerchenberg (2008-2010) als aus Unbotmäßigkeit gefeuerte Prediger in die Geschichte ein. So wurde 2011 der Weg frei für die erste Frau auf dem Starkbier-Podium, die von Luise Kinseher interpretierte Mama Bavaria, die den Weg der Sanftheit beschritt.

Da hatten ihre Vorgänger aber längst eine Barnabas-Euphorie losgetreten. Der Nockherberg wird seither im ganzen Land kopiert, jeder CSU-Ortsverband und jede Feuerwehr präsentiert mittlerweile einen Fastenprediger im Mönchsgewand. Über die bayerischen Vereinsheime und Wirtshäuser zieht nun in der Fastenzeit ein Millionenheer von Barnabassen hinweg, die ihren Zuhörern mal geschickt, mal talentfrei die Leviten lesen. Bisweilen müssen die Politiker selber für Spektakel sorgen. Wie der CSU-Grande Andi Scheuer, der einst beim Starkbierfest in Aiterhofen so unglücklich unters Bierfassl rutschte, dass sich das Gebräu fontänengleich über die Festgemeinde ergoss.

Dieser Text ist am 16. März 2018 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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