Es ist schon finster in Zorneding, als Gregor Schlicksbier wie jeden Abend aus der S-Bahn aussteigt. Am Montag um kurz nach 18 Uhr nimmt er auf dem Weg nach Hause wie immer die Bahnhofstraße. Weil der Schnee den Bürgersteig blockiert, weicht er mit seinem Rollstuhl auf den Rand der Straße aus. "Da kommen drei Burschen auf mich zu und blockieren mir den Weg", erzählt er.
Sie sind um die 16 Jahre alt, sprechen deutsch, klingen einheimisch. Einer droht ihm. "Er meinte, 'gleich hau'n wir dir aufs Maul'." Gregor Schlicksbier schiebt sich vorbei, setzt seinen Weg fort, im Schnee kommt er aber nur langsam voran. So ist er ein leichtes Ziel: "Ein Hagel Schneebälle", sagt er, Treffer am Rücken und am Hinterkopf. "Sie hatten ihre Freude dabei."
Immerhin, "aufs Maul" bekommen hat Gregor Schlicksbier nicht auf dem Heimweg vom Bahnhof. Doch auch wenn er körperlich keinen Schaden davongetragen hat, so kann er dieses Erlebnis nicht so einfach abhaken. Noch am Abend postet er auf seiner Facebookseite einen kurzen Text. "Schockiert" darüber, dass ihn die drei "bedrohten und als Zielscheibe für Schneebälle hernahmen" schildert er den Vorfall. Seine Facebookfreunde reagieren empört. 30 Kommentare sammeln sich bis Dienstagmittag unter dem Posting. "Unglaublich und respektlos, dumm und überflüssig", lautet einer. Noch unglaublicher ist, was Gregor Schlicksbier und seine Frau am Tag danach am Telefon erzählen.
Man muss wissen: Gregor Schlicksbier sitzt seit zwölf Jahren im Rollstuhl. Der 56-Jährige ist halbseitig gelähmt und sieht auf einem Auge schwach, auf dem anderen ist er blind, jeder Stoß gegen seinen Kopf könnte für ihn der letzte sein. Wie genau es dazu kam, will er nicht groß thematisieren, "so wichtig bin ich nicht", sagt er. Ihm geht es vielmehr darum, an etwas zu erinnern, was so manchem Menschen offenbar abhanden gekommen ist: "Anstand und Respekt", wie es eine Facebooknutzerin ausdrückt. Eine andere ruft dazu auf, "die Augen ein wenig offen zu halten".
Schlicksbier ist Denkmalpfleger in München, in Zorneding im Ortsverband der Grünen engagiert und Behindertenbeauftragter der Gemeinde. "So etwas wie am Montag ist mir in Zorneding noch nie passiert", sagt er. Ganz im Gegenteil: Er und seine Frau erleben die Leute im Ort als hilfsbereit und zuvorkommend, wenn es mit dem Rollstuhl kompliziert wird. "In Zorneding hat man ein gutes Gefühl", sagt Roberta Schlicksbier. Dann erzählen beide, wie es weiter nordwestlich zu geht.