Kommunalwahl:Robert Habeck in Grafing: Der Schattenmann in Haferlschuhen

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Politiker mit Profil (von links): Angelika Obermayr, Waltraud Gruber und Robert Habeck am Mittwoch im Hafenmair-Haus in Grafing. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Grünen-Bundesvorsitzende stiehlt seinen Parteikolleginnen Angelika Obermayr und Waltraud Gruber in Grafing die Show.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Seine Partei hat gerade Oberwasser, das weiß Robert Habeck ganz genau. "Bayern gehört nicht mehr der CSU", ruft er deshalb durch den Saal. "Das ist kein Unglück der Demokratie, das ist gelebte offene Gesellschaft!" Der Grünen-Bundesvorsitzende ist da eigentlich noch bei der Begrüßung. Aber die gut und gerne 200 Besuche im Hafenmair-Haus, wo die Grafinger Grünen ihre Kommunalwahlkampfzentrale eingerichtet haben, quittieren es am Mittwochvormittag mit einem ersten stürmischen Applaus.

Nach zwei Sätzen wiederholt sich die Szene. "Die bayerische Zivilgesellschaft macht jeden Tag vor, dass sich Tradition und Fortschritt nicht ausschließen", baut Habeck den Spannungsbogen auf. "Wer auf dem Standbein fest steht, hat mit dem Spielbein mehr Möglichkeiten." Dazu hebt er das rechte Bein und schwenkt locker den Fuß. Jeder soll sehen, welche Schuhe der Flensburger trägt: bayerische Haferlschuhe. Der Saal johlt.

Bis zur Kommunalwahl am übernächsten Wochenende ist Habeck gefühlt auf einer regelrechten Grünen-Tournee durch den Freistaat. Kein Grünen-Amtsträger - also solche aus der Preisklasse von Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr oder der stellvertretenden Landrätin Waltraud Gruber aus Aßling -, wo Habeck einen Besuch auslässt. Längst haben auch die Grünen ihre Wahlkämpfe durchprofessionalisiert. Und dass Habeck an diesem Morgen in die Haferlschuhe geschlüpft ist, dürfte kaum Zufall sein.

Im Hafenmair-Haus knien Leute auf dem Boden, Kinder quäken und am Getränketisch kassiert niemand. Stattdessen steht dort die "Soli"-Kasse in Form einer zerbeulten Blechbüchse. "Einen Euro bitte", hat jemand auf den Zettel daneben geschrieben . Das gilt auch, wenn sich jemand eins der alkoholfreien Biobiere nimmt. Erstaunlich viele Scheine liegen drin. Finanziell scheint es den Grafinger Grünen-Sympathisanten nicht allzu schlecht zu gehen. Zumindest denjenigen, die wochentags um 10 Uhr Zeit für eine Politveranstaltung mitbringen.

Seit CSU und Grüne sich zu Hauptgegnern erklärten, haben sich ihre Spitzen aufeinander eingeschossen. Und so bleibt auch Habecks Nachladefrequenz generell hoch. Er schwenkt von der politischen Metaebene gen regionalpolitischer Basisarbeit: Dass gerade die bayerischen Landwirte so vehement gegen neue Bundesverordnungen protestieren, könne er "total" nachvollziehen. "Man hat immer mehr aus ihnen herausgepresst, sie gezwungen, immer mehr und immer günstiger zu produzieren". sagt er. "Und jetzt gibt man ihnen Umweltauflagen, die echt teuer werden für sie."

Zuhause in Bayern, sagt Habeck, lästerten die Christsozialen über die neuen Landwirtschaftsverordnungen der Bundesregierung. Aber in Berlin bringe die CSU dann nicht den Mumm mit, neue Gesetze konsequenterweise zu verhindern. "Das wäre ja problemlos möglich: Am Kabinettstisch herrscht das Prinzip der Einstimmigkeit."

Eine solche CSU-Blockade wäre Habeck wohl gerade recht. "Dann könnten wir inhaltlich darüber reden, wie wir Umwelt-, Landwirtschaft- und Klimapolitik nicht länger gegeneinander stellen, sondern sie endlich zusammenhängend anschauen." Das sei ja gerade die Debatte, die in die breite Öffentlichkeit gehöre - nicht nur an den Kabinettstisch.

Solche Sätze sitzen. So sehr, dass Moderator und Grünen-Vorsitzender Hermann Maier seine Mühe damit hat, Obermayr, die Grafings Bürgermeisterin bleiben will, und Gruber, die Ebersberger Landrätin werden will, irgendwie in Szene zu setzen. Und das liegt nicht daran, dass Maier für den Job der Falsche wäre. Aber sobald Obermayr ein paar Sätze zu kommunaler Bildung sagt oder Gruber der "Fridays for Future"-Bewegung Respekt zollt, meldet sich irgendwer der 200 zu Wort und "will den Robert was fragen".

"Wie wollt ihr die Probleme an den Grenzen lösen?" Gemeint ist etwa die türkisch-griechische. Habeck fängt mit Selbstkritik an. "Wir können nicht Trump für seine Mauer gen Mexiko kritisieren und dann wie jetzt wieder die Bilder aus den Lagern in Griechenland zulassen." In den Jahren nach 2015 hätten es die Regierungen "total verschlafen", auf europäischer Ebene ein faires Verteilsystem zu etablieren.

Ganz ohne Zwang werde ein solches wohl nicht funktionieren. "Aber warum docken wir nicht ein Anreizsystem an?" Auch EU-Landwirtschafts-Subventionen ließen sich anstatt an den Nationalstaat direkt an die jeweilige polnische oder ungarische Kommune ausbezahlen. "Was, wenn wir jetzt noch Geld für Unterbringung, Versorgung und Betreuung der Leute drauflegen?" Und was, wenn die Kommune unterm Strich vielleicht sogar ein kleines Plus mache? "Dann könnte, wenn Polen weiterhin keine Geflüchteten aufnehmen will, Danzig sagen: Wir sehen das anders. Wir machen mit."

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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