Amtsgericht Ebersberg:Ein Jahr auf Bewährung für eine Flasche Likör

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Symbolfoto. (Foto: U. J. Alexander/Imago Images)

Eine Vermieterin verschafft sich Zugang zur bewohnten Mietwohnung und klaut dort eine Spirituose. Tags darauf gesteht sie es der Mieterin - und wird von ihr angezeigt.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Eine Flasche Haselnuss-Likör mit 700 Milliliter Inhalt kostet je nach Angebot zwischen zehn und 20 Euro. Eine Frau aus dem südlichen Landkreis Ebersberg zahlt nun einen Preis, der sich in Geld nicht bemessen lässt. Eine 64 Jahre alte Geschäftsfrau stand am Dienstag wegen einer solchen Likörflasche vor dem Amtsgericht Ebersberg. Im Prozess räumte sie ein, dass sie sich im Oktober 2021 Zugang zu einer Wohnung verschaffte und dort einen Diebstahl beging. Beute: eine Flasche Frangelico. Die Frau zeigte sich im Gerichtssaal vollumfänglich geständig. Schnell wurde deutlich, dass es sich nicht um einen "Wohnungseinbruchsdiebstahl" im klassischen Sinn gehandelt haben kann. Ganz im Gegenteil.

Die nun Angeklagte nämlich war und ist die Eigentümerin genau jener Wohnung, aus der sie den Schnaps stahl. Seinerzeit verhielt es sich allerdings so, dass sie die Wohnung an eine Mieterin vermietete. An jenem Abend, den die Angeklagte mit einer Flasche Wein eröffnet hatte, kam sie zu der Einschätzung, "dass der Wein nicht reicht". Sie entsann sich des Drittschlüssels für die Mietwohnung, sperrte damit die Tür auf und entschied sich in der Speisekammer für das alkoholische Getränk mit Spuren von Nüssen.

Sehr wahrscheinlich wäre all dies nie bekannt geworden, hätte die Frau einen Tag - und eine Flasche Frangelico - später nicht die Reue gepackt. Im nüchternen Zustand sei sie zu ihrer Mieterin gegangen und habe ihr berichtet, dass der Nusslikör inzwischen nicht nur den Besitzer gewechselt habe, sondern alles in allem nicht mehr einsatzfähig war. "Es tut mir seit einem halben Jahr jeden Tag leid", sagte die Angeklagte dazu im Gericht. Ihre Mieterin allerdings reagierte auf die Beichte samt Entschuldigung auf ihre Weise. Sie zeigte ihre Vermieterin wegen Einbruchs und Diebstahls an.

"Nicht die Person, die sich der Gesetzgeber vorgestellt hat, als er dieses Strafmaß geschaffen hat."

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Der deutschen Justiz ist zu eigen, dass sie in solchen Fällen offenbar keine andere Möglichkeit hat, als tatsächlich Ermittlungen einzuleiten und einen Schöffen-Prozess zu eröffnen. Ein Richter, zwei ehrenamtliche Schöffen, eine Protokollantin, eine Staatsanwältin, ein Verteidiger, drei Journalisten und eine Angeklagte verbrachten also wegen des Frangelico eine knappe Stunde in einem Ebersberger Gerichtssaal. Während andere Prozesse, womöglich gar von gravierendem Ausmaß, warten mussten.

Die persönlichen Beweggründe der Frau, eine Flasche Wein mit flankierenden Maßnahmen in Form eines nicht gerade niedrigprozentigen Getränks zu bedenken, wurden vor Gericht recht umfangreich besprochen. Ergebnis: Das Motiv ähnelt wenig dem für Diebe typischen. Durst zählt nämlich hierzulande sehr selten dazu.

Viel interessanter ist die letzte Pirouette dieses tragikomischen Schauspiels in Gerichtssaal Nummer II. Sie zeigt, wie kurios es bisweilen um die Niederungen der deutschen Justiz bestellt ist: Bereits vor dem Urteilsspruch kommen Staatsanwältin, Verteidiger und Richter zu dem Ergebnis, dass die geständige Likör-Diebin mindestens zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt werden muss. Gesetz ist Gesetz, und in dem Fall handele es sich um einen Gesetzesabschnitt, der keinerlei Spielräume wegen "minderschweren Falles" erlaube. Der einzige Lichtblick zwischen all diesen Paragrafen dürfte aus Sicht der Angeklagten gewesen sein, dass diese Strafe nicht zwingend vollstreckt werden muss.

Und so kam es dann auch: Der Richter blieb in seinem Urteil unter der Forderung der Staatsanwältin, die ein Jahr und drei Monate auf Bewährung plus einer Zahlung von 1000 Euro an eine gemeinnützige Organisation gefordert hatte. Hätte das Gericht die Möglichkeit gehabt, der Frau noch weniger aufzubrummen, wahrscheinlich wäre es dazu gekommen. "Sie sind nicht die Person, die sich der Gesetzgeber vorgestellt hat, als er dieses Strafmaß geschaffen hat", sagte der Richter. Ergebnis: Die Frau, bisher ohne Einträge, wurde allein zur Mindeststrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Bewährungszeit ist zwei Jahre. Das Urteil ist rechtskräftig.

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