Krieg in der Ukraine:Zwischen Menschlichkeit und Menschenhändlern

Lesezeit: 3 min

Zuletzt war vor ziemlich genau einem Jahr die Kirchseeoner Gymnasiumsturnhalle zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut worden. Noch einmal will der Landrat aber nicht auf diese Art der Unterbringung zurückgreifen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Kirchseeon und Zorneding werden die Helferkreise reaktiviert. Ein Markt Schwabener warnt ukrainische Frauen und Kinder vor Wohnungsanbietern aus dem kriminellen Milieu. Wie sich zwei Orte auf bis zu 250 Flüchtlinge vorbereiten.

Von Korbinian Eisenberger, Zorneding/Kirchseeon

Es könnten auch Touristen sein, die in diesen Tagen in so vielen Orten der Region ankommen. Menschen in Privatautos mit teils schwer leserlichen Nummernschildern. Jene, die aussteigen, tragen teilweise schicke Taschen in der Hand oder Wimperntusche im Gesicht. Kaum jemand hat mehr als einen Koffer dabei. Es könnten tatsächlich Touristen sein - wüsste man es nicht besser.

Die Region bereitet sich vor auf ukrainische Flüchtlinge. Es kommen Menschen an, die ihre Heimat sehr schnell und mit wenig Gepäck verlassen haben. Im Landkreis Ebersberger wird ein Großteil der Neuankömmlinge in Kirchseeon und Zorneding erwartet. Denn dort stehen die größten Unterkünfte bereit: hundert Plätze in Containern unweit des Zornedinger Bahnhofs. Und 150 in der Schulturnhalle des Kirchseeoner Gymnasiums, wo am Dienstag noch Betten aufgestellt wurden.

Kein Mensch kann derzeit sagen, wie viele Menschen aus der Ukraine kommen werden, und wie lange sie wo untergebracht werden sollen. Der Landkreis steht jedenfalls vor großen Herausforderungen, das wird den Einheimischen zunehmend bewusst. Darauf lassen auch die Aussagen jener Engagierter schließen, die bereits erprobt sind. "Der Helferkreis hat sich wieder formiert", ist von Beate Obersteiner aus Kirchseeon zu erfahren. Und von Ingrid Sendrowski aus Kirchseeon heißt es: "Es sind noch ein paar Aktive da, wir versuchen, die Strukturen wiederzubeleben."

"Kaum jemand hat viel dabei, weil sie damit gerechnet haben, dass sie bald wieder nach Hause können"

45 000 Ukrainer sind in wenigen Tagen in Bayern angekommen, jeden Tag werden es mehr. "Kaum jemand hat viel dabei, weil sie damit gerechnet haben, dass sie nur kurzfristig wegmüssen und bald wieder nach Hause können", so das Zwischenfazit von Ingrid Sendrowski vom Helferkreis in Zorneding. Die Frage ist nun, ob sich die Hoffnung der Geflüchteten bewahrheitet. Je nachdem, wie sich die Kriegssituation in der Ukraine entwickelt, dürfte auch das Engagement der Menschen im Landkreis mehr oder weniger gefragt sein.

Krieg in der Ukraine
:"Wo geht's hier zur 46?"

In Zorneding kommen am Mittwoch die ersten ukrainischen Kriegsflüchtlinge an. Die meisten haben nur das Nötigste dabei. Begegnungen mit Menschen auf der Suche nach Orientierung.

Von Korbinian Eisenberger und Barbara Mooser

Dabei gerät nahezu in Vergessenheit, dass es vor Putins Einmarsch auch schon Kriegsflüchtlinge in Bayern gab, nicht wenige davon aus Syrien. In Zorneding bieten drei Ehrenamtliche bis heute jede Woche Sprechstunden zu Behördenangelegenheiten an. Insgesamt ist von den 2015 aufgebauten Helferstrukturen aber wenig geblieben. Von den einst 120 Helfern auf der Kirchseeoner Liste standen Anfang März etwa noch 20 Namen im Mail-Verteiler. Aktiv tätig seien bis heute sechs davon, erklärt Sprecherin Yvonne Reimann. In Zorneding entwickelten sich die Dinge ähnlich. Zusammengerechnet waren in beiden Helferkreisen bis vor kurzem noch etwa zehn Personen in der ehrenamtlichen Asylhilfe beschäftigt. Ändert sich mit dem Ukraine-Krieg daran etwas?

Tobias Vorburg vom Markt Schwabener Verein Seite an Seite, der sich für die Flüchtlingshilfe einsetzt. (Foto: Christian Endt)

Steigen die Mitgliedszahlen wieder an? Tobias Vorburg vom Verein Seite an Seite mit Sitz in Markt Schwaben beobachtet ein etwas verändertes Phänomen verglichen mit 2015. "Das klassische Helferkreis-System verlagert sich nun sehr stark in privates Engagement", sagt Vorburg, der die Szene bayernweit im Blick hat. Viele seien in kleinen Privatinitiativen aktiv, Gruppen würden Grenzfahrten tätigen, die Angebote für privaten Wohnraum seien so hoch wie nie. "Von der konkreten Hilfsbereitschaft insgesamt ist es kein Vergleich zu 2015 und 2016", so Vorburg.

"Ukrainische Frauen und Kinder sind gefährdet, an Menschenhändler zu geraten oder in die Sexarbeit hineinzurutschen"

Letztlich wird es bei ehrenamtlichen Helfern - ob formiert, organisiert oder einfach nur motiviert - sehr stark darum gehen, Wohnraum zu finden. Etwa auch im Kreis Ebersberg. Zumindest Stand jetzt, sollen dort sowohl die kernsanierte Zornedinger Containeranlage als auch die zum Lager umfunktionierte Kirchseeoner Turnhalle lediglich als Auffanglager dienen. Von dort sollen die Menschen, so die Hoffnung des Landratsamts, so schnell wie möglich auf Privaträume verteilt werden. Entscheidend wird hierbei nicht nur sein, ob das gelingt, sondern wie gut es gelingt.

Bei aller Solidarität, die zuletzt zu beobachten war, müssen ukrainische Geflüchtete selbst in Deutschland mit Gefahren rechnen, eventuell auch hier in Bayern. Das sagt Tobias Vorburg, der durch seine jahrelange Flüchtlingsarbeit bundesweit vernetzt ist. Aus Berlin sei dieser Tage von dubiosen Wohnungsangeboten zu hören gewesen. "Erste Fachverbände warnen davor, dass ukrainische Frauen und Kinder gefährdet sind, an Menschenhändler zu geraten oder in die Sexarbeit hineinzurutschen." Aus seiner Sicht, so Vorburg, liege es in der Verantwortung der Behörden, Wohnungsangebote entsprechend kritisch zu prüfen.

Sehr viel Hilfe konzentriert sich dieser Tage auf die Ukraine und jene, die nun hier ankommen. Zu Recht, sagt Ingrid Sendrowski vom Zornedinger Helferkreis. Bei den solidarischen Gedanken und Taten zugunsten der Neuankömmlinge sei nur nicht zu unterschlagen, dass auch andere in der Gemeinde Hilfe benötigten. Nicht zuletzt jene, die vor einigen Jahren auch einmal Neuankömmlinge waren und womöglich nie mehr zurückkehren können. "Wir haben hier auch noch andere Geflüchtete wohnen, die Hilfe brauchen", sagt Sendrowksi. Deswegen werde es in der Zornedinger Asylunterkunft auch weiterhin die Behörden-Sprechstunden geben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Krieg in der Ukraine
:"Wir werden das wieder schaffen"

Der Landkreis Ebersberg bereitet sich auf 1000 Ukraine-Flüchtlinge vor. Die ersten sind bereits hier. Nun geht es auch darum, Fehler wie 2015 zu vermeiden.

Von Korbinian Eisenberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: