Psychische Gesundheit:Die Landung seines Lebens

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Auf seinen großen Triumph folgte eine harte Landung. Heute kennt er seine Grenzen, sagt Ex-Profisportler Sven Hannawald. (Foto: Christian Endt)

Skispringer-Legende Sven Hannawald nimmt bei einer Veranstaltung über psychische Gesundheit in Kirchseeon das Publikum mit auf die wechselhaften Stationen seines Lebens.

Von Franziska Langhammer, Kirchseeon

Wo ist er, der Sven? Bestimmt ist er gleich da. Wird er sich verspäten? Immer wieder dreht man sich um und schaut zur Tür. Dabei hat er eigentlich noch Zeit, der Sven, bis er dran ist. Etwa 100 Menschen sind am vergangenen Donnerstag der Einladung des Berufsförderungswerks (BFW) München und der AOK Bayern zum 20. Unternehmerabend gefolgt und warten nun gespannt auf den Hauptredner des Abends.

"Der psychischen Gesundheit auf der Spur - Impulse für gesunde Unternehmen" lautet der etwas sperrige Titel der Veranstaltung, die jedoch sehr kurzweilige und informative Vorträge beinhaltet. Ziel des Abends ist es, die anwesenden Unternehmer dafür zu sensibilisieren, wenn ihre Mitarbeiter Anzeichen eines Burnouts aufweisen. Und das kommt immer öfter vor: Laut Statistik fühlt sich jeder zweite Arbeitnehmer von Burnout bedroht, so Uta Drager vom BFW, die den Abend moderiert.

Und plötzlich steht er da, der Sven. Weißes Hemd, dunkle Hose, aufmerksamer Blick. Stehend hört er sich den Vortrag seiner Vorrednerin an, dann geht er nach vorne. Auf die Frage, wie es ihm geht, antwortet er: "Die Sonne scheint Gott sei Dank mal, ich freu mich über solche Tage." Sven Hannawald hat als Skispringer Geschichte geschrieben - und war einer der ersten Hochleistungssportler in Deutschland, die ihren Burnout öffentlich gemacht haben. Heute ist der 49-Jährige hier, um über seine persönlichen Erfahrungen damit zu sprechen.

Der Ex-Profisportler gewann als Erster alle vier Teilwettbewerbe der Vierschanzentournee

Bevor er aber zu erzählen beginnt, wird der "Sprung seines Lebens", wie die Moderatorin ihn bezeichnet, nochmals auf großer Leinwand gezeigt. Mit seinem Sprung am 6. Januar 2002 in Bischofshofen schaffte Hannawald es als erster Teilnehmer der Vierschanzentournee, alle vier Teilwettbewerbe zu gewinnen. Auf der Leinwand sieht man den Skispringer jubeln und seine Familie umarmen. "Gänsehaut pur", sagt Uta Drager dazu. Ob er diesen Moment genießen konnte? "In solchen Momenten spürt man es, aber man kann es nicht einschätzen", sagt Hannawald.

Lange konnte er die körperlichen Symptome nicht einschätzen, die ihn seit dieser Zeit begleiteten. Bei Kleinigkeiten habe er zu weinen begonnen, erzählt Sven Hannawald, er habe schlecht geschlafen und sich wie ein körperliches und seelisches Wrack gefühlt. "Ich wusste nicht mehr, wer ich war." Die Ärzte können ihm nicht weiterhelfen. "Auf dem Papier hatte ich Superwerte", so Hannawald. Bis er endlich zu einem Arzt kommt, der genauer hinschaut.

Nach einer halben Stunde habe dessen Diagnose fest gestanden: Burnout. Der Arzt habe ihm dringend geraten, in eine Klinik zu gehen, erinnert der ehemalige Profisportler sich. Psychische Erkrankungen sind zu diesem Zeitpunkt nichts, worüber öffentlich gesprochen wird - vor allem nicht im Leistungssport. Dabei gehören gerade dort innere Kämpfe zum Tagesgeschäft. "Ich kenne niemanden, der ganz oben steht und keine schweren Tiefs hinter sich hatte", so Hannawald. Seine erste Reaktion damals ist jedoch nicht: "Oh Gott, ich muss in die Klapse!" Vielmehr sieht er die Klinik als einzige Möglichkeit, so schnell wie möglich wieder zum Leistungssport zurückzukehren.

Als er aus der Klinik entlassen wurde, hat sich Hannawald wie ein neuer Mensch gefühlt

In den ersten Tagen, berichtet Hannawald, habe ihn eine starke Unruhe verfolgt, viele Gedanken. "Ich habe es hinbekommen, dank meiner Ärztin." Viele Gespräche und vor allem der neutrale Ort, den die Klinik darstellte, hätten ihn nach einiger Zeit wieder zurück zu sich gebracht. "Ich habe gemerkt, dass ich die Füße wieder am Boden gespürt habe", so formuliert Hannawald es. Nach sechs, sieben Wochen wird er aus der Klinik entlassen - als "völlig anderer Mensch". Es dauert noch einige Zeit, bis er einsieht, dass er nicht als Skispringer in den Leistungssport zurückkehren wird. "Ich habe mich 24 Stunden, sieben Tage die Woche nur mit Skispringen beschäftigt", sagt er rückblickend, "das hat mich körperlich kaputt gemacht."

Heute steht Sven Hannawald wieder ganz im Leben. Er hat eine Familie gegründet, arbeitet als TV-Experte und hält Vorträge zum Thema Psychische Gesundheit. Wie er die Balance hält? "Ich nehme mir Zeit für Pausen", sagt er. In denen gehe er spazieren, verbringe Zeit mit seiner Familie, mache Sport. Und er habe gelernt, Aufgaben auch mal stehen zu lassen und erst am nächsten Tag zu erledigen - anfangs schwierig für einen Perfektionisten wie Hannawald: "Ich mache Dinge entweder richtig oder gar nicht." Dass er nicht wieder in einen kräftezehrenden Kreislauf aus Stress und Leistungsdruck rutsche, da ist der ehemalige Skispringer sich sicher: "Jetzt spüre ich meine Grenzen."

Zum Ende der Veranstaltung fasst Sven Hannawald das, was er für sich gelernt hat, noch einmal in zwei Sätzen zusammen: "Trainer ist die einzige Position, von der ich glaube, dass mir der Erfolg der anderen wichtiger wäre als meine Gesundheit. Deswegen sage ich dazu kategorisch Nein."

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