Grafinger Wirt:"Er spricht besser Bairisch als Deutsch"

Lesezeit: 3 min

Der Wirt vom Heckerbräu in Grafing: Kumba Singh Gurung. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kumba Singh Gurung trägt Lederhosen und betreibt ein Wirtshaus in Grafing. 1996 kam er aus Bhutan nach Bayern. Über seinen jahrelangen Kampf um einen deutschen Pass.

Von Merle Hubert , Grafing

Es war bereits zu fortgeschrittener Stunde: "Vielleicht zwei oder drei Uhr früh", erzählt Kumba Singh Gurung. Wie so oft saßen die Mitglieder der Grafinger Bayernpartei am Stammtisch beisammen. Diese Abende hatten Tradition. Nicht einmal, sondern sogar zwei- oder dreimal die Woche kamen alle ins Heckerbräu am Marktplatz in Grafing. Nichts ging über ein kühles Bier bei Gurung, ihrem Lieblingswirt. Seine Gastfreundschaft wussten sie zu schätzen. Kumba Singh Gurung hatte bereits die Küche aufgeräumt und setzte sich zum Stammtisch dazu. Und als alle schon ein paar Bier getrunken hatten, da wandte sich der Wirt mit einem Anliegen an seinen Freund Walter Schmidtke, Stadtrat und Vorsitzender der Bayernpartei in Grafing.

"Ein Asiate in Lederhosen"

"Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit Kumba", erzählt Schmidtke. Das Wirtshaus am Marktplatz, den Grafingern besser bekannt als "Reiterstüberl" oder "Knödel", stand lange Zeit leer. Als Schmidtke entdeckte, dass das Gebäude neu bewirtschaftet wird, ließ er es sich nicht nehmen, hineinzuschauen. "Und auf einmal stand da - in diesem bayerischen Wirtshaus - ein Asiate in Lederhosen", sagt Schmidtke.

Integration
:Was wir geschafft haben

Seit dem großen Fluchtjahr 2015 setzen sich Menschen in Bayern vermehrt zum Ziel, Neuankömmlinge zu integrieren. Fünf Erfolgsgeschichten.

Von Korbinian Eisenberger

Kumba Singh Gurung ist gebürtiger Bhutaner. Das "Heckerbräu" ist sein Ein und Alles: Morgens bis spät abends arbeitet er in der Gaststätte. Meist trifft man den quirligen Bhutaner mit einer roten Kochjacke in der Küche an. Dennoch lässt er es sich nicht nehmen, seine Gäste im Wirtshaus persönlich willkommen zu heißen - meist sogar in Lederhose. Und auch wenn Pünktlichkeit nicht immer seine Stärke ist, sind sich alle Gäste einig: "Warten lohnt sich!"

Gurungs Vorfahren stammen aus Nepal. In den 1990er-Jahren wurden die Angehörigen der nepalesischen Minderheit aus Bhutan zwangsausgebürgert. In Nepal sah man die Menschen als bhutanische Eindringlinge, in Bhutan als nepalesische Illegale. So kam Gurung vor 26 Jahren über Frankreich als Flüchtling nach Bayern.

"Kumba war handlungsunfähig ohne Lichtbildausweis"

2018 zog er schließlich von München nach Grafing und pachtete das dortige Heckerbräu. Auch um seine, wie er sagt, "Leidenschaft für die bayerische Küche" auszuleben. "Er spricht besser Bairisch als Deutsch und - genauso gut Bairisch wie Dzongkha", sagt Schmidtke. Dzongkha ist die Amtssprache Bhutans.

Kumba Singh Gurung (rechts) mit seinem neuen Ausweis und Walter Schmidtke, der ihm geholfen hat, die Dokumente zu bekommen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Trotz alledem hat Gurung immer noch keine deutsche Staatsbürgerschaft. Seinen Aufenthaltstitel muss Gurung alle drei Jahre neu beantragen, den Reiseausweis für Ausländer alle zehn Jahre. Hierfür werden Passdokumente aus seinem Heimatland benötigt, um seine Identität zu bestätigen. Doch die Regierung Bhutans weigert sich, Angehörigen der nepalesischen Minderheit diese Dokumente auszustellen.

Damals, an diesem Stammtischabend, erzählte Gurung dem Stammtischbruder Schmidtke von seinen Schwierigkeiten mit den Ämtern. Sein einziges Ausweispapier, das er besaß: eine zerfledderte, lichtbildlose Fiktionsbescheinigung. "Kumba war handlungsunfähig ohne Lichtbildausweis", erzählt Schmidtke. "Er hatte große Probleme, sein Geschäft zu führen, konnte keinen Führerschein machen." So beschloss der Ortsverband, Gurung zu helfen, an gültige Ausweisdokumente zu gelangen.

"Je skurriler es wurde, desto mehr Ehrgeiz habe ich entwickelt"

Und das war alles andere als einfach. Es folgte ein 18 Monate langer Kampf mit Behörden und Botschaften - darunter die Botschaft des Königreichs Bhutan in Brüssel, der Münchner Flüchtlingsrat, das Honorargeneralkonsulat in Berlin, die bhutanische Botschaft in Genf, Regierungsvertreter in Berlin, Caritas, Diakonie, die Landratsämter München und Ebersberg und und und. "Je skurriler es wurde, desto mehr Ehrgeiz habe ich entwickelt", erzählt Schmidtke. Für Gurung und seine Lebensgefährtin war diese Zeit nervenaufreibend. "Das war ein schlimmes Gefühl", sagt Gurung. "Ich hatte große Angst abgeschoben zu werden." Nicht zuletzt wegen seines drei Jahre alten Sohns.

Nach eineinhalb Jahren zahlten sich die Bemühungen aus. Ein vierseitiger, offizieller Antrag auf einen Reisepass, in dem unter anderem Kreisrat Thomas Lechner von der Bayernpartei, die grüne Bezirksrätin Ottilie Eberl und der CSU-Bundestagsabgeordnete Andreas Lenz ein gutes Wort einlegten, hatte Erfolg. Endlich konnte der oberbayerische Bhutaner Singh Gurung einen Reisepass und einen Aufenthaltstitel in den Händen halten. "Das nächste Ziel ist die Einbürgerung", sagt Walter Schmidtke. Zunächst aber musste gefeiert werden - mit einem 13-Liter Holzfass im Heckerbräu und einem bayerischen Spanferkel, natürlich zubereitet vom Grafinger Asiaten in Lederhosen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusUkraine-Krieg
:"Die Friedensbewegung ist schwach, da gibt es nichts schönzureden"

Werner Schmidt-Koska engagiert sich seit Jahrzehnten gegen den Krieg. Für ihn gibt es nur einen Grund, zu den Waffen zu greifen. Und viele Gründe, für Frieden auf die Straße zu gehen. Doch wieso hat das bis vor ein paar Tagen so lange niemand getan?

Interview von Thorsten Rienth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: