Nichts ist bekanntlich so schwer zu widerlegen wie ein Vorurteil. Dass dies aber manchmal doch leichter geht, als man denkt, zeigt ein Ausflug in der S-Bahn von Ebersberg nach München an einem Wochenende im September. Es ist Mittagszeit, viel ist nicht los in den Waggons. Immer mal wieder steigt jemand zu, die Reihen sind eher spärlich besetzt. Plötzlich ertönt in erschreckender Lautstärke ein Lied, Herzschmerz verpackt in Geigengeschrammel. Das Lied läuft zehn Sekunden, zwanzig, eine halbe Minute. Ein Klingelton also kann es nicht sein. Es dauert nicht lange, da löst ein anderes Lied das Fiedeln ab. Diesmal wummern harte Bässe durch die Sitzreihen, und zum großen Entsetzen einiger Mitreisender setzt düsterster Ghetto-Rap ein. "Nobody tells me what to drug. Nobody tells me what to druuuug."
"Des muasst da aa moi oschaugn. Des ist echt guad", empfiehlt die Frau
Doch etwas neugierig geworden dreht man sich vorsichtig um - und stutzt. Erwartet hatte man natürlich irgendwelche Jugendliche, die sich die neuesten Songs vorspielen. Stattdessen sitzt, nur ein paar Sitze weiter, ein älteres Ehepaar in Tracht. Bestimmt schon Mitte, eher Ende Siebzig. Ungerührt hält der Mann sein Handy dicht vor seine Augen und guckt darauf interessiert ein Video. Auch seine Frau ist auf Youtube unterwegs und drückt ihm, nachdem der nachtschwarze Drogenrap vorbeigezogen ist, ihr Smartphone in die Hand. "Des muasst da aa moi oschaung", sagt sie und zupft dabei das Band an seinem Hut zurecht. "Des ist echt guad." Der Mann gibt ein zustimmendes Geräusch und lässt auch das nächste Video laufen.
Zwischen Eglharting und Marienplatz haben die beiden bestimmt an die fünf Videos geshared und gewatcht. Eines allerdings, da geht es um die Queen, skippen die beiden Trachtler. "Naaa, von da Elizabeth hob i scho ois gseng!", sagt nämlich die Frau. Kurz bevor sie aussteigen, rücken die beiden Hut und Dirndlschürze zurecht, schauen sich um, ob sie was vergessen haben, und verlassen dann mit erhobenem Haupt die Bahn.
Zurück bleiben schmunzelnde Mitreisende. Und die drängende Frage: Muss man diese beiden Influencer kennen? Vielleicht wäre es doch gar nicht schlecht, sich mal bei diesem Instagram anzumelden. Oder mal wieder einen Tweet abzusetzen. News-Pressure hin, FOMO her - wenn eine Sache nicht mehr als Ausrede für kulturelle Neuheiten taugt, dann ist es doch das Alter.