Landtagswahl in Ebersberg:Tigermücke, Trinkbrunnen und Tempolimit

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Wie umgehen mit den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels? Dazu diskutieren Christian Schulz (Moderation, Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit), Tobias Boegelein (Linke), Thomas von Sarnowski (Grüne), Doris Rauscher (SPD), Maria Hörtrich (FW), Thomas Huber (CSU), Marc Salih (FDP) und Wieland Bögel (Moderation, SZ Ebersberg). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Landtagskandidaten diskutieren über den Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit. In vielen Bereichen sind sich die Parteien-Vertreter einig, an einer Sache jedoch scheiden sich die Geister.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Die Bühne des Alten Kinos in Ebersberg wirkt ominös an diesem Dienstagabend: Rote und gelbe Scheinwerfer sind auf die dunklen Stühle gerichtet, wo gleich die Landtagskandidaten aller Parteien Platz nehmen werden. Die Farben wecken Assoziationen von Blut, Feuer, Hitze. Das passt zum Thema der Podiumsdiskussion, das auf einem Banner über den Sitzplätzen prangt: "Gesundheit braucht Klimaschutz!" Geladen hatte die Ebersberger Ortsgruppe der Initiative Health for Future (H4F). Sie setzt sich zusammen aus Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern sowie Angehörigen weiterer Gesundheitsberufe, die um die medizinischen Auswirkungen des Klimawandels einerseits und die klimaschädlichen Auswirkungen des Gesundheitssystems andererseits besorgt sind.

Das führt Yukiko Nave - Ärztin, ehemalige Stadträtin aus Grafing und Mitglied von H4F - aus. Sie verweist in einem Eingangsstatement auf die vielfältigen Risikofaktoren, die durch den Klimawandel auf die Menschen zukommen: Allergien werden mehr und halten länger; tropische Insekten - wie etwa die Tigermücke - wandern Richtung Norden und bringen Krankheiten wie Malaria mit sich; Hitzewellen fordern immer mehr Todesopfer; und die mentale Gesundheit werde obendrein "massiv" beeinträchtigt.

Gleichzeitig seien die Gesundheitssysteme nicht gut aufgestellt, um damit umzugehen. "Wir Fachleute tragen die steigende Krankheitslast, wir sind die erste Verteidigungslinie bei Pandemien, Hitze und Hochwasser", so Nave. Der Fachkräftemangel im Gesundheitssystem sei somit auch eine Frage der Klimaanpassung.

Christian Schulz ist Arzt und Mitglied bei H4F. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Es gibt also genug zu tun für die Fachleute, aber auch und vor allem für die Politik. Diese ist an diesem Abend vertreten durch den Physiker Tobias Boegelein (Die Linke), den Parteivorsitzenden der bayerischen Grünen und Kreisrat Thomas von Sarnowski, die Stadt- und Kreisrätin sowie Mitglied des bayerischen Landtags Doris Rauscher (SPD), die Erzieherin Maria Hörtrich (Freie Wähler), den Stadt- und Kreisrat sowie ebenfalls Mitglied des bayerischen Landtags Thomas Huber (CSU) sowie den Bundespolizisten und Poinger Gemeinderat Marc Salih (FDP). Sie sind die Kandidaten ihrer jeweiligen Partei für die Landtagswahl am Sonntag, 8. Oktober.

Moderiert wird die Veranstaltung von Christian Schulz, Arzt und Geschäftsführer der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit e.V., die H4F initiiert hat, sowie Wieland Bögel von der Süddeutschen Zeitung. Ersterer stellt den Politikerinnen und Politikern gleich zu Beginn der Diskussion die Gretchenfrage: Sechs von neun planetaren Grenzen - etwa in Bezug auf die Entwaldung, das Artensterben oder Wasserknappheit - seien laut einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung bereits überschritten. Was wollen die Parteien dagegen tun und wie wollen sie die Gesundheit schützen?

Bei vielen Themen herrscht - teils überraschende - Einigkeit

Hier herrscht noch weitestgehend Einigkeit zwischen den Parteienvertreterinnen und -vertretern. Linke, Grüne, SPD und Freie Wähler pochen auf mehr Tempo bei der Energiewende. Boegelein will insbesondere die regionale Stromerzeugung durch Windkraft und Solarenergie stärken, von Sarnowski kein Geld in Straßen investieren, sondern in den ÖPNV.

Doris Rauscher verweist darauf, dass Klimaschutz und -anpassung sowie Gesundheitsversorgung kein "Elite-Gut" sein dürfe und Maria Hörtrich wünscht sich neben mehr nachhaltiger Landwirtschaft mehr Bildung und Aufklärung. Dem schließt sich Marc Salih an, der außerdem an jeden Einzelnen appelliert, sorgsam mit seinem Körper umzugehen, um das Gesundheitssystem zu entlasten.

Doris Rauscher von der SPD ist Klimagerechtigkeit wichtig. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Thomas Huber wiederum verweist auf das Klimaschutzgesetz, das vom Landtag verabschiedet wurde und das Bayern bis 2040 klimaneutral machen soll. Es sei dabei allerdings wichtig, "Anreize statt Verbote" zu schaffen. "Klimaschutz muss umsetzbar sein", so Huber.

Auch beim Thema urbane Klimaanpassung überbieten sich die Politiker mit Ideen: Schwammstadt, Rückbau von Versiegelungen, mehr Begrünung, mehr Trinkwasserbrunnen, autofreie Zonen vor Schulen gegen das Elterntaxi und so weiter. Christian Schulz kommentiert die Antworten als recht "homogen", da müsse man nochmal nachbohren, sonst würde es "fad". Die nächste Frage-Antwort-Runde dreht sich passenderweise ums Essen. Eingangs geht es noch um vegetarische Ernährung in Kliniken und Kantinen sowie um bio-regionale, nachhaltige Erzeugung, die alle gut finden.

Thomas von Sarnowski von den Grünen will einen besseren ÖPNV. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bald dreht sich die Diskussion jedoch um den Vorschlag des Bundesernährungs- und Landwirtschaftsministers Cem Özdemir (Grüne), an Kinder gerichtete Süßigkeitenwerbung zu verbieten. Während von Sarnowski und seine Partei diese klar befürworten, berichtet Doris Rauscher von einem Dissens in ihrer Partei - sie selbst sei allerdings dafür. Etwas überraschend sprechen sich auch Huber und Hörtrich für ein solches Verbot aus, auch wenn sich Huber mehr Werbung für Bewegung und Sport als Verbote für Werbung wünscht. Und sogar Marc Salih würde bei einem Verbot mitgehen, das sich zielgerichtet an Kinder wendet, allerdings müssten Firmen ansonsten die Möglichkeit behalten, ihre Produkte zu bewerben. Tobias Boegelein bringt schließlich den Punkt an, dass jede Sucht - ob nach Zucker, Alkohol oder Tabak - ein Bedürfnis befriedige, insbesondere das nach Stressreduktion. Er plädiert deswegen dafür, Stress in der Gesellschaft zu reduzieren, etwa durch solide Sozialsysteme.

Drei sind für, zwei gegen ein Tempolimit, Hörtrich will einen Kompromiss

Richtiger Dissens kommt erst auf, als das - eher links-grün statt liberal-konservativ gestimmte - Publikum Fragen stellen darf. Die Ebersberger Logopädin Bärbel Aschauer-Lammel richtet sich an Thomas Huber und Maria Hörtrich: Sie will wissen, weshalb die Bemühungen der Ampel-Koalition in Sachen Klimaschutz so diffamiert werden müssten?

Als Huber antwortet, "es diffamiert hier keiner", geht ein ungläubiges Raunen durch die Menge. Bereits zuvor hatten die Zuschauerinnen und Zuschauer Thomas von Sarnowski applaudiert, als dieser kritisiert hatte, dass die Diskussion um den Klimawandel mit Kulturkampfbegriffen wie "Zwangsveganisierung" geführt werde. Huber verweist darauf, dass es die Aufgabe der Opposition sei, Kritik zu üben. So habe er etwa dem Heizungsgesetz im Ziel zustimmen können, nicht jedoch in der Sache.

Thomas Huber von der CSU wünscht sich, dass das Radnetz in Bayern schnell ausgebaut wird. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine weitere Logopädin, Andrea Maier aus Ebersberg, bringt schließlich eine klare Spaltung der Parteien zum Vorschein, nämlich beim Thema Tempolimit auf Autobahnen: Dieses könne indirekt zum Gesundheitsschutz beitragen, indem CO2 eingespart werde, und direkt das Gesundheitssystem entlasten, indem Verkehrsunfälle vermieden würden. Boegelein, von Sarnowski und Rauscher sehen das in einer kurzen "Ja/Nein"-Runde genauso, Hörtrich würde bei einem Tempolimit von 150 Stundenkilometern mitgehen. Huber und Salih sind jedoch klar dagegen. Salih begründet dies mit Studien, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kämen bezüglich der Nützlichkeit eines solchen Tempolimits. Christian Schulz kommentiert dies mit dem Verweis darauf, dass man immer schauen müsse, von wem eine solche Studie finanziert sei.

Das Publikum war zahlreich erschienen und nahm bei kontroversen Themen auch hörbar Anteil an der Debatte. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Thomas Huber verärgert das Publikum schließlich hörbar, als er zunächst sagt, dass er grundsätzlich gegen Verbote sei. Wieland Bögel verweist in diesem Moment darauf, dass es auch auf anderen Straßen Geschwindigkeitsbegrenzungen gebe. Huber behauptet daraufhin, das fehlende Tempolimit sei nötig, um den Verkehrsfluss aufrecht zu erhalten und schließt mit der rhetorischen Frage, was ein Limit bringen solle, wenn man Nachts auf einer lehren Autobahn unterwegs sei. Als jemand aus dem Publikum "Klimaschutz" ruft, antwortet Huber: "Nein, ich bin auch nicht wegen dem Klima dafür."

Am Ende der Veranstaltung wird der Ton dann aber wieder versöhnlicher, als jeder der Politiker noch einmal betont, wie wichtig das Thema Klimaschutz für ihn, sie und ihre Partei ist. Schließlich will niemand auf einem Planeten leben, der von sich aus rot glüht.

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