SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 25:Mit Patienten sprechen, obwohl sie nicht antworten

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Julia Rettenberger berichtet über die Pflege von tief sedierten Menschen. Worüber sie mit ihnen redet - und welche Themen sie ausspart.

Protokoll: Johanna Feckl

Wenn Patienten tief sediert sind, dann funktionieren einige Prozesse im Gehirn anders als im wachen Zustand. Durch die starken Medikamente, die wir verabreichen müssen, können Bilder im Kopf entstehen, die zur tatsächlichen Situation gar nicht passen. Da wird die Umlagerung im Bett von der linken auf die rechte Körperhälfte schon mal als das Wackeln einer Schifffahrt interpretiert. Das Problem: Es muss sich nicht um eine gemütlich schunkelnde Schifffahrt handeln. Die Vorstellungen können genauso gut grausig und angsteinflößend sein - eine Horrorschifffahrt durch Sturmfluten.

Es gibt Verhaltensweisen, die das Risiko für das Entstehen solch schlimmer Szenen möglichst gering halten: Sprechen. Wir Pflegekräfte reden mit den tief sedierten Patienten, obwohl sie nicht antworten und auch sonst keine äußere Regung ihres Körpers darauf schließen lässt, dass sie uns verstehen. Aber: Wahrscheinlich ist, dass sie uns trotzdem hören und die persönliche Ansprache den Genesungsprozess positiv beeinflusst. Denn im Nachhinein können sich manche Patienten durchaus an die eine oder andere Situation aus dieser Zeit erinnern. Deshalb ist es für Angehörige wichtig, bei ihren Besuchen zu reden.

Wenn ich zum ersten Mal am Tag zu einem solchen Patienten ins Zimmer trete, nehme ich durch eine Initialberührung Kontakt mit ihm auf. Klassischerweise ist das eine Hand auf der Schulter, sanft, sodass er spürt, dass da jemand ist. Danach stelle ich mich mit meinem Namen und meiner Funktion vor. Außerdem nenne ich Datum, Wochentag sowie Uhrzeit und beschreibe, wie das Wetter an diesem Tag ist. Damit biete ich dem Patienten eine kleine Orientierung über das Hier und Jetzt.

Wenn es sich zeitlich ergibt, dann erzähle ich auch, was in der Welt los ist. Aber ich achte darauf, dass es positive Nachrichten sind - die schweren Erdbeben in Griechenland oder den mutmaßlichen Mord an dem 14-jährigen Mädchen in Bogenhausen lasse ich weg. Ich muss dem Patienten schließlich nicht auf dem Silbertablett eine Vorlage für einen Albtraum servieren, der konkurrenzfähig zur Horrorschifffahrt wäre. Was ich hingegen immer tue: Die pflegerische Versorgung, die ich bei dem Patienten vornehme, schrittweise erklären. Denn jeder Patient hat das Recht zu erfahren, was mit ihm passiert. Auch der tief sedierte.

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"Wenn ich ununterbrochen in die Krankheitsverläufe und das Drumherum auf der Intensiv eingebunden bin, dann ist das nicht gesund." Julia Rettenberger über Abkapseln im Urlaub.

Protokoll: Johanna Feckl

Das Ziel ist von alldem, dass der Patient immer weiß, was gerade um ihn herum und mit ihm passiert. Wir möchten vermeiden, dass er in eine Situation gerät, in der er sich verloren fühlt und sich dadurch im schlimmsten Falle plötzlich auf einer Horrorschifffahrt wieder findet. Das ist eine grundlegende Voraussetzung für einen respektvollen Umgang.

Julia Rettenberger ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 27-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf_Station .

© SZ vom 02.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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