Derby im Grünwalder Stadion:Wo der Löwe wohnt

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„Dem Stadtmeister zur Ehr“: Das rot-weiße Meer feiert den Derbysieg – den zweiten in dieser Saison – des FC Bayern II gegen 1860. (Foto: Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Kinderschminken für Erwachsene, Aufklärung für Minderjährige und Applaus für einen Bus: Wie Giesing das Münchner Regionalliga-Derby erlebt.

Von Gerhard Fischer

Giesing, Sonntag, 11.30 Uhr: Vier Stunden vor Anpfiff des Derbys in der Fußball-Regionalliga zwischen dem FC Bayern II und 1860 München sind mehr Polizisten am Stadion als Fußballfans. Auf der Grünwalder Straße stehen, aneinander gereiht wie Zugwaggons, 15 Polizeiwagen. Zwischen den Autos und der Arena stehen Plakate von politischen Parteien. Die Linke wirbt für eine Veranstaltung am 3. Mai, sie heißt: "Wird der Freistaat zum Polizeistaat? Das neue Polizeiaufgabengesetz." Aber vermutlich hat kein Linker etwas dagegen, dass die Beamten hier friedliche Anhänger schützen.

Im Wienerwald am Stadion sitzen ein paar Löwen-Fans. Die Speisekarte bietet ein "1860 Menu": Cordon Bleu mit Pommes, dazu Bier, für 18.60 Euro. Wie viel Bier man dazu bekommt, steht nicht dabei. Ein paar Gäste gucken auf einen Fernsehschirm, auf dem der Sport1-Doppelpass läuft, wo Mario Basler gerade mit Reibeisenstimme erklärt, warum Max Meyer Schalke verlässt ("keine Wertschätzung, kann in England zehn Millionen verdienen"). Die Löwen-Fans reden über den Relegationsgegner Saarbrücken und dessen - auch von ihnen - wertgeschätzte Stürmer Behrens und Schmidt, die im Südwesten zusammen fast 40 Tore geschossen haben.

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Die Bayern-Reserve gewinnt das Stadtderby mit 3:1. Die Löwen müssen deshalb weiter auf den Titel in der Regionalliga Bayern warten.

12.45 Uhr: Die ersten stimmgewaltigen Fans kommen am Stadion an. "Hier regiert der TSV", brüllen sie in der Lautstärke einer Heavy-Metal-Band. Und sie rufen noch ein paar Dinge, die minderjährige Leser verschrecken würden. Währenddessen fahren leisere Löwen-Fans per Tram zum Trainingsgelände an der Grünwalder Straße 114. Es sind jene, die keine Stadion-Karten bekamen, weil die Bayern ja diesmal Gastgeber sind und die Löwen bloß 1300 Tickets zur Verfügung haben. Am Trainingsgelände findet das "Public Viewing" statt, moderiert von Stadionsprecher Stefan Schneider, der diesmal nicht im Stadion ist, weil die Bayern ja Gastgeber ...

Als die Fans die Tram verlassen, fährt gerade ein Bus mit 1860-Schriftzug vorbei; die Anhänger applaudieren - bis eine blonde Blaue fragt: "San's des überhaupt?" Die Spieler, meint sie. Man kann nämlich nichts erkennen, die Scheiben sind abgedunkelt. Vielleicht ist er leer. Egal. So ein Bus freut sich auch mal über Applaus.

Auf dem Trainingsgelände baut Liz Broßmann ihren Stand auf; Broßmann bietet an, das Löwen-Maskottchen auf die Wangen zu malen. "Eigentlich bin ich Kinderschminkerin", sagt sie, "aber manchmal kommen auch Männer, wenn sie schon was gezischt haben." Willy Bierofka spaziert aufs Gelände. Bierofka, Vater des 1860-Trainers Daniel, schaut sich um, das Gelände ist jetzt ein Wimmelbild mit vielen blau-weißen Personen. "Wahnsinn", sagt er, "das gibt es nur bei Sechzig."

Stefan Schneider steht etwa 50 Meter (wir runden auf 60 auf) von Bierofka entfernt vor der Großleinwand und sagt, dass 2600 Fans Tickets erworben hätten. "Und dazu kommen noch Kurzentschlossene." Schneider holt eine Dame auf die Bühne. Es finden Gewinnspiele statt, die Sieger bekommen den 1860-Dress in Wunschgröße - nicht dass einer mit 1,90 Metern und 130 Kilo mit einem S-Trikot nach Hause gehen muss. S bekommt die Dame.

14 Uhr, mit der Tram zurück zum Stadion. Eine Familie fährt mit, Mutter, Vater, zwei Töchter. "Hier wohnt 1860", sagt die Mutter und deutet auf das Trainingsgelände. "Wer ist das?", fragt die ältere Tochter, sie ist vielleicht acht. "Ein Fußballverein", sagt der Vater. Am Stadion geleitet die Polizei einige Hundert Löwen-Fans von der Silberhornstraße zur Ostkurve - erwachsene, brüllende, präpotente Männer und einige Frauen. Die Bayern-Fans kommen vom Candidplatz her. Auch sie singen Dinge, die jüngere Leser verschrecken würden. Gröberes passiert nicht. "Es ist relativ ruhig", sagt die Polizei kurz vor dem Anpfiff. Die Bayern-Fans zeigen ihre Fahnen auf der Gegengeraden - samt eines Spruchbandes, auf dem steht: "Dem Stadtmeister zur Ehr erstrahlt unsere Kampfbahn im rot-weißen Fahnenmeer." Die Löwen-Fans kontern diese optische Überlegenheit mit Rufen: "60 München!"

Als Kwasi Okyere Wriedt in der 20. Minute das 1:0 für die Roten auf dem Rasen erzielt, rufen die Roten auf den Rängen: "Die Nummer eins der Stadt sind wir!" Die Löwen halten dagegen, aber als Raphael Obermair vor der Pause das 2:0 gelingt, verstummen sie. Es dauert bis zur 65. Minute, ehe sie stimmlich wieder übernehmen, bis zu Daniel Weins Anschlusstreffer. Und dann stehen sie sogar auf und applaudieren: Timo Gebhart, der sieben Monate lang fehlte, zieht sich die Trainingsklamotten aus und kommt ins Spiel.

Derrick Köhns 3:1 verdirbt den Löwen wieder die Laune. 1860-Fans in der Ostkurve werfen Bierbecher auf den Rasen, und der Referee unterbricht die Partie. Als es weitergeht, singen die Bayern-Fans: "So was hat man lange nicht gesehen - so schön." Als sie ihren Block verlassen, in dem sonst die Löwen-Fans stehen, sieht man, dass sie ein paar Quadratmeter Stufen rot und weiß angestrichen haben. Das ist in den Augen der Blauen eine größere Provokation. Indes bleibt es auch nach dem Spiel zunächst ruhig. Laut Polizei kommt es nur zu "sieben, acht" Festnahmen.

© SZ vom 30.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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