Von draußen geht es nach drinnen und danach ist es schon wieder kurz vor Ende: Daniel Kehlmann weiß genau, was er erzählen und wie er Geschichten erzählen möchte. Deshalb hat er seinen neuen Roman "Lichtspiel" auch in drei Kapitel aufgeteilt, in Draußen, Drinnen und Danach. Damit zieht der Bestsellerautor das lesende Publikum sehr geschickt hinein in eine Erzählung über einen als links geltenden Filmkünstler, der sich den Nationalsozialisten ausliefert, es geht um künstlerische Integrität, Korrumpierbarkeit und das Leben in der Diktatur. Der 48-Jährige erzählt das in drei großen Kapiteln, diese Aufteilung kann man auch bei seiner Lesung im Rahmen des Literaturfests München übernehmen.
Draußen geht es also los: Da schneit es an diesem Dienstagabend im November, der Weg von der S-Bahn am Rosenheimer Platz zur Muffathalle ist eisig. Dorthin wurde die Lesung aufgrund der großen Nachfrage verlegt, später wird jeder Platz im Saal belegt sein. Kehlmanns Publikum lässt sich von den äußeren Widrigkeiten nicht abhalten, karawanenartig zieht es den Berg hinab. Eine Frau hakt sich bei ihrem Begleiter unter und testet seine Belesenheit, indem sie die Shortlist-Titel des Deutschen Buchpreises abfragt. Nur einen Atemhauch später fragt sie, welchen Kehlmann er denn am besten finde: "Die Vermessung der Welt", "Ruhm" oder "Tyll"? Auch das scheint ein Test zu sein, denn der Eingehakte weicht ironisch aus: "Ich stehe nicht auf ihn, aber auf seine Bücher."
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Drinnen stehen zwei Ledersessel auf der Bühne und Hunderte Stühle davor. Am Bierstand bilden sich lange Schlangen, vor dem Büchertisch auch, fehlt eigentlich nur noch der Stand mit den Fan-Shirts. Es geht pünktlich los, der SZ-Redakteur Christian Mayer moderiert, die Lesung wird Spielfilmlänge haben. Der ganz in Künstlerschwarz gewandete Schriftsteller liest mit einem guten Gespür für Pointen zwei Kapitel aus "Lichtspiel", zwischendurch werden Filmausschnitte gezeigt. Kehlmann ist gebürtiger Münchner, der Abend dürfte also eine Art Heimspiel für ihn sein. Beim Literaturfest war er noch nie, insofern ist die Lesung auch eine Premiere. 1997 las er nebenan im Muffatcafé aus seinem ersten Roman, da kamen aber nur vier oder fünf Gäste.
"Wer ist das?", fragt eine Dame im Roman einmal. "Der Pabst", antwortet ihr Gegenüber. "Der Papst?" "Nicht der Heilige Vater, der Regisseur." Auf diesen Unterschied wird auch gleich zu Beginn der Lesung hingewiesen: Es geht also um den Pabst mit weichem "b", um den Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst. Schon lange habe er einen Regie-Roman schreiben wollen, erzählt Kehlmann, der Beruf fasziniere ihn. Er sei auch mit mehr Regisseuren befreundet als mit Schriftstellern.
In Pabsts "umgedrehter Emigrationsgeschichte" habe er den perfekten Stoff gefunden: Der mit Stummfilmen wie "Die freudlose Gasse" oder "Die Büchse der Pandora" bekannt gewordene Österreicher arbeitete bereits 1934 in Hollywood, kehrte aber in seine Heimat zurück - und drehte später unter Goebbels Filme für die nationalsozialistischen Machthaber. Trotzdem behauptet Kehlmann: "Das ist mein lustigstes Buch." Das NS-Regime sei zwar furchtbar gewesen, "aber auch vollkommen lächerlich". Es geht also um das Komische im Schrecklichen.
Danach wird es persönlich: Daniel Kehlmann erzählt von seinen Großeltern, die Juden waren und sich als "Halbjuden" ausgaben, um die NS-Zeit zu überstehen. Sein Vater Michael war Jahrgang 1927, er kam kurz vor Kriegsende in ein KZ. "Er hat auch den Schulalltag des Dritten Reichs miterlebt", sagt der Sohn. Davon habe er später oft erzählt, vieles davon sei in das Buch eingeflossen. Auch an diesem kurzweiligen Abend gibt es viel zu erzählen, doch nach 90 Minuten ist Schluss.
Vorbei ist es aber nicht: Eine lange Schlange zieht sich durch die Halle, an deren Ende steht der Autor und signiert seine Bücher. Wie es ihm danach gehe, fragt ein besorgter Leser. "Haben Sie Handkrämpfe?" "Nein, das passiert nie", antwortet Kehlmann. "Ich schreibe ja auch meine Bücher alle mit der Hand."