Antisemitismus:"Es brennt bereits lichterloh"

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Neben vielen Demonstranten, die in den vergangenen Tagen antisemitische Parolen skandierten, gab es auch Menschen, die sich auf Kundgebungen etwa mit Plakaten klar gegen Antisemitismus aussprachen. (Foto: dpa)

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, begrüßt die parteiübergreifende Resolution gegen Antisemitismus - der Dachauer Abgeordnete Bernhard Seidenath hat daran mitgewirkt

Von Helmut Zeller, Dachau/München

Die Fernsehbilder von den antisemitischen Ausschreitungen auf deutschen Straßen bekommt der Dachauer Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath nicht mehr so bald aus dem Kopf. Pro-palästinensische Demonstranten brüllen ihren Judenhass hinaus, in den sozialen Medien werden Jüdinnen und Juden beschimpft und bedroht, Übergriffe auf Synagogen und andere jüdische Einrichtungen verbreiten ein Klima der Angst unter deutschen Juden. Deshalb hat Seidenath, wie er der SZ sagt, wesentlich am Zustandekommen einer parteiübergreifenden Resolution des bayerischen Landtags gegen Antisemitismus mitgewirkt. Dem CSU-Vorsitzenden im Landkreis Dachau ist natürlich klar, dass diese Resolution erst ein Anfang sein kann. Aber Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, bezeichnet die Resolution, die von allen Parteien - die AfD hat sich der Stimme enthalten - getragen wird, als einen "demokratischen Aufschrei gegen Judenhass". "Das habe ich mir lange gewünscht, und ich freue mich", erklärt Charlotte Knobloch, denn dieser Aufschrei hätte nicht dringlicher sein können.

Dachau im Mai 2021. Seit drei Tagen feuert die terroristische Hamas aus dem Gazastreifen Tausende von Raketen auf Ortschaften und Städte in Israel, die israelischen Streitkräfte antworten mit massiven Flugangriffen - auf beiden Seiten sterben Zivilisten. Der Judenhass bricht in Deutschland wieder einmal lautstark und gewalttätig hervor. In Dachau dröhnende Stille. Auch Landrat Stefan Löwl (CSU) vermisst einen Aufschrei. Er sucht im Landratsamt nach einer israelischen Staatsflagge, will ein Zeichen gegen den Hass auf den Straßen setzen, aber warum auch sollte dort eine sein. Es ist Feiertag, Christi Himmelfahrt, Löwl fährt zum israelischen Generalkonsulat in München und borgt sich eine Fahne, die er vor seinem Behördengebäude hissen lässt. Er postet von sich und der Generalkonsulin Sandra Simovich ein Foto auf Facebook.

Andernorts wird die Fahne von Antisemiten und Israelhassern heruntergerissen und verbrannt, in Dachau nicht. Löwl ist aber noch heute verwundert, das keine zivilgesellschaftliche Organisation, keine Partei in diesen Tagen mit einer Erklärung gegen Judenhass auftritt. "Man kann israelische Politik wie jede andere kritisieren, aber unsere Demokratie kann und wird es nicht hinnehmen, dass vermeintliche Kritik als Vorwand für antisemitische Übergriffe genutzt wird", betont der Landrat.

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Apropos sogenannte Israelkritik: Auf den Straßen ertönen wie schon beim Gazakrieg 2014 die "Hamas, Hamas, Juden ins Gas"-Rufe, wieder recken Demonstranten Schilder mit der Aufschrift "Kindermörder Israel" in die Luft, die auf klassische antisemitische Klischees wie die Ritualmordlegende zurückgehen. Israel ist der Jude unter den Staaten, das Land wird delegitimiert und dämonisiert - die gefälschten Protokolle der Weisen von Zion sind in Ländern des Nahen Ostens Bestseller. Aber der Hinweis auf den "importierten Antisemitismus" von der AfD oder von CDU-Politikern wie dem heutigen Gesundheitsminister Jens Spahn oder Friedrich Merz darf nicht vom hausgemachten deutschen Antisemitismus ablenken, der nach 1945 nie verschwunden war. Zum israelbezogenen Antisemitismus gab das Bielefelder Institut für Gewalt- und Konfliktforschung 2018/2019 eine interessante Studie heraus: 40 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass man es verstehe, wenn einem die Juden wegen der israelischen Politik unsympathisch würden.

Und das bekommen deutsche Jüdinnen und Juden, die per se überhaupt nichts mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu tun haben, schon seit langem zu spüren. Charlotte Knobloch verwies unter anderem auf den weit fortgeschrittenen Vertrauensverlust in der jüdischen Gemeinschaft: "Wer den Fehler begeht, als jüdischer Mensch sichtbar in den Sozialen Medien aktiv zu sein, der verliert sehr schnell das Grundvertrauen in seine Mitmenschen und in die Gesellschaft. Der Judenhass, der sich zuletzt wieder aggressiv gezeigt hat, ist mit Kleinklein nicht zu überwinden. Wenn jüdische Menschen nicht mehr das Gefühl haben sollen, mit ihrer Angst alleingelassen zu werden, muss die demokratische Politik vereint für ihre Werte einstehen, und zwar klar, unmissverständlich und vor allem parteiübergreifend." Genau deshalb hält Generalkonsulin Sandra Simovich die Resolution der Parteien im Landtag für sehr wichtig, wie sie der SZ sagt. Gerade auch, weil die Resolution "Antisemitismus entschieden bekämpfen" nicht nur ein Bekenntnis formuliert, sondern auch Maßnahmen in allen gesellschaftlichen Bereichen fordert und vorschlägt.

In der Nacht auf Freitag, zwei Uhr Ortszeit, tritt eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas in Kraft. Am Abend zuvor hat der bayerische Landtag die Resolution verabschiedet, die Fraktionen von Freien Wählern, CSU, Grünen, SPD und FDP stimmen geschlossen dafür. Der Landtagsabgeordnete Seidenath ist zufrieden - diese Einmütigkeit ist selten, wie er sagt, und wirklich ein Zeichen. Als Dachauer Abgeordneter hält er es mit Blick auf die NS-Geschichte, das ehemalige Konzentrationslager für seine Pflicht so zu agieren. Dass keine Erklärungen, Stellungnahmen aus dem Lern- und Erinnerungsort Dachau, wie die Stadt sich selbst nennt, gekommen sind, hält er wie Landrat Löwl für verwunderlich.

Charlotte Knobloch drängt darauf, die Resolution auch in konkrete politische Taten zu übersetzen: "Wenn Rechtsextreme und muslimische Verbände Israel- und Judenhass befeuern, dann werden Grenzen überschritten. Eine Politik, die hier nicht handelt, verliert ihre Daseinsberechtigung. Wer jetzt noch von 'Alarmzeichen' spricht, verkennt die Lage: Es brennt bereits lichterloh. Wenn die demokratische Politik zusammenkommt, ist das Löschwasser da; es muss jedoch auch eingesetzt werden."

Das Löschwasser: Seit Jahren fordern Charlotte Knobloch und der Zentralrat der Juden ein Verbot der antisemitischen al-Quds-Tage, 1979 vom iranischen Revolutionsführer Chomeini ausgerufen, an denen Hunderte von Demonstranten die Auslöschung Israels fordern - dafür aber ist der Bayerische Landtag nicht zuständig. Aber löschen kann man auch - muss man sogar - mit Geld. Mehr Personal für Einrichtungen wie Rias Bayern etwa, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus; drei Stellen sind ein bisschen wenig für ein Land, in dem diese Einrichtung 2020 30 Prozent mehr antisemitische Übergriffe gezählt hat als im Vorjahr. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel hat einen Antrag im Landtag eingebracht. Demnach soll der Freistaat alle Personal- und Sachkosten zur Sicherheit der jüdischen Gemeinden im Freistaat übernehmen. Zwar bewachen Polizeibeamte jüdische Einrichtungen, wenn sie es denn tun, aber die Gemeinden müssen notwendiges zusätzliches, geschultes Personal, Überwachungsanlagen und Sicherheitsschleusen selbst bezahlen. Bernhard Seidenath ist da offen, wenn Bedarf ist, wie er sagt: Wir müssten den Schutz der jüdischen Bürger und Bürgerinnen gewährleisten.

© SZ vom 22.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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