Aiwanger-Affäre:Flugblatt im Dachauer Gedenkstätten-Archiv

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Im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau befinden sich unzählige Dokumente, darunter auch eine Schülerarbeit, die Ende der 80er Jahre verfasst wurde. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Pamphlet aus dem Hause Aiwanger bewegt Bayern. Nun wurde bekannt: Seit Jahrzehnten liegt im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau eine Schülerarbeit, die das Schriftstück beinhaltet.

Von Jonas Junack, Dachau

Zwei Mappen trägt Verena Bierl, Pressesprecherin der KZ-Gedenkstätte Dachau, an diesem Mittwochvormittag unterm Arm. Eine aus Plastik, durchsichtige Front, grüner Rücken mit der Aufschrift "Quellen & Dokumentation". Und eine aus braunem Papier, versehen mit einem Plastikschild: "EVAKUIERUNGSMÄRSCHE Mallersdorf-Pfaffenberg Dokumentation", steht dort. Seit 1989 liegen beide still hier im Archiv herum, gut gekühlt. Doch seit ein paar Tagen, bestimmt das, was auf Seite 29 in dem braunen Ordner abgedruckt ist, die Debattenlandschaft Bayerns: Das Flugblatt, das an der alten Schule von Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) kursierte.

Darin ist die Rede von einem fiktiven "Bundeswettbewerb: Wer ist der größte Vaterlandsverräter?", heißt es dort. Bewerber sollten sich im Konzentrationslager Dachau melden. Als Preis wurde unter anderem ein "einjähriger Aufenthalt in Dachau" ausgelobt, die Rede war vom "Vergnügungsviertel Auschwitz" oder einem lebenslänglichen "Aufenthalt im Massengrab" bei freier Ortswahl.

Täglich kommen neue Vorwürfe ans Licht

Seit es an die Öffentlichkeit gelangt ist, ist die bayerische Regierung unter Druck. Am Dienstag hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seinen Vize zu einer Sondersitzung im Koalitionsausschuss zitiert. Nun soll Aiwanger schriftlich 25 Fragen zu der antisemitischen Hetzschrift beantworten, die er damals in seinem Schulranzen bei sich trug. Zudem kommen täglich neue Vorwürfe ans Licht. Da sind ehemalige Mitschüler Aiwangers, die unter Eid aussagen, Aiwanger habe damals antisemitische Witze über Juden gerissen und den "Hitler-Gruß" gezeigt, wie der Bayerische Rundfunk berichtet.

Durch die Affäre um Aiwanger hat es nun auch die Schülerarbeit in die Schlagzeilen geschafft. "Das Aiwanger-Pamphlet, das seit Jahrzehnten kursiert", betitelte die Welt am Dienstag einen ihrer Artikel.

Roman Serlitzky, damals wie Aiwanger Schüler des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf, einem Ort mit knapp 7000 Einwohnern, hatte 1988 eine Schularbeit verfasst mit dem Titel: "Letzte Heimat Steinrain? - Zur Geschichte des Judenfriedhofs bei Mallersdorf-Pfaffenberg". Auf 33 Seiten rekonstruiert die Arbeit, wie KZ-Häftlinge im April 1945 durch Mallersdorf getrieben worden waren. Ihr Ziel: Das KZ Flossenbürg. Der Autor hatte die Arbeit beim Schülerwettbewerb "Deutsche Geschichte" eingereicht, den der Bundespräsident seit 1973 ausruft, und damit den zweiten Platz gewonnen. Anschließend gelangte die Arbeit ins Archiv der Gedenkstätte.

Tatsächlich ist die Arbeit nur ein Dokument unter vielen

Im Zentrum steht ein kleiner Friedhof im Westen von Mallersdorf-Pfaffenberg. Seit 1947 ist er mit einem Gedenkstein versehen. Hier liegen die Gebeine von 67 Menschen, die auf dem Todesmarsch aus dem Konzentrationslager Buchenwald nach Flossenbürg im Frühjahr 1945 von SS-Männern erschossen worden waren.

Die Arbeit beinhaltet auch ein zeitgeschichtliches Dokument darüber, wie es Ende der 80er Jahre in der Gegend von Mallersdorf und speziell am Gymnasium zuging. Die Gedenkstätte am jüdischen Friedhof, heißt es, sei niemals ein Gesprächsthema unter den Schülern gewesen. Das Flugblatt, das Aiwanger nun belastet, wird in der Arbeit eingeleitet mit den Worten: "Als Negativbeispiel, wie sich andere Jugendliche derselben Altersstufe mit dem 3. Reich beschäftigen, sei nicht verschwiegen. Ein Flugblatt, das in Schulklos zirkulierte und von der Schulleitung rechtzeitig kassiert wurde."

Der Autor sagte Focus online, dass ihm sein damaliger Lehrer von dem Flugblatt erzählt und vorgeschlagen habe, es in die Arbeit einzubauen. Zudem habe der Lehrer auch einige Passagen schärfer formuliert, als er es geschrieben habe. Laut Focus online soll es sich um den Lehrer handeln, der nun die Flugblatt-Affäre ins Rollen brachte.

In der Arbeit heißt es weiter: "Das Flugblatt bestätigt einen unterschwellig immer vorhandenen antisemitischen Trend." Der Autor schildert, dass 1988 in einem "hiesigen Ortsteil" bei der Tochter eines Überlebenden des Konzentrationslagers Lublin-Majdanek eine Scheibe eingeworfen und das Wort "Reichskristallnacht" geschmiert worden sei.

Tatsächlich ist die Arbeit nur ein Dokument unter vielen, die in den Regalmetern im Archiv der Dachauer KZ-Gedenkstätte liegen. Der Name Aiwanger taucht darin nicht auf. Das Flugblatt ist ohne Angabe des Verfassers abgedruckt. Von der Brisanz des Inhalts der Arbeit wussten nur wenige. Den Mitarbeitern im Archiv der Gedenkstätte in Dachau konnte eine Verbindung zu Hubert Aiwanger kaum aufgefallen sein. Erst durch Medienanfragen, sei ihnen diese Verbindung klar geworden, bestätigt auch Verena Bierl, die Pressesprecherin der Gedenkstätte.

Und doch steht die Arbeit im Widerspruch zur These, bei dem Flugblatt handle es sich schlicht um eine "Jugendsünde". Es wird klar, dass es in Mallersdorf, sogar am Burkhart-Gymnasium, Menschen gab, die sich sehr kritisch mit der Geschichte des deutschen Faschismus befassten. Hinzu kommt: Das antisemitische Flugblatt ist überschrieben mit "Bundeswettbewerb" - es handelt sich offenbar um eine Reaktion auf den Wettbewerb "Deutsche Geschichte".

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