Politische Bildung:Referenten bangen weiter um ihre Zukunft

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Die freiberuflichen Referenten des Max Mannheimer Studienzentrums in Dachau haben wegen Corona eine unsichere Zukunft. Weil sie bislang durch jedes Raster fallen, kämpfen Politiker für Hilfen vom Staat und bessere Arbeitsverhältnisse.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Die Referenten des Max-Mannheimer-Studienzentrums Dachau (MMSZ) blicken in eine ungewisse Zukunft. Die Werkverträge, die einige durch die Corona-Krise finanziell gebeutelte Freiberufler von der Einrichtung erhalten haben, laufen Mitte bis Ende September aus. Noch ist unklar, wie und ob die Seminarleiter anschließend weiterhin am MMSZ arbeiten können. "Zunächst sind die Ergebnisse aus den aktuell vergebenen Werkverträgen zu sichten und zu bewerten. Ob sich hieraus ein Bedarf für neue oder Folgeverträge ergibt, kann erst nach deren Abnahme beurteilt werden", so Michael Waldhäuser, Geschäftsführer der Stiftung Jugendgästehaus Dachau.

Beim MMSZ denkt man zudem darüber nach, das Online-Angebot für Schulklassen dauerhaft zu erweitern. Seit Monaten können aufgrund der Auswirkungen der Pandemie keine Seminare im Studienzentrum stattfinden. Zum Ende des Schuljahres hielten Referenten Online-Studienseminare, an denen die Jugendlichen von zu Hause aus am Laptop teilnehmen konnten. Der Stiftungsvorstand unterstützt laut Waldhäuser die Absicht des MMSZ, diese Online-Seminare auch im neuen Schulhalbjahr anzubieten. "Das MMSZ wird den Beleger-Schulen aktiv diese Möglichkeit anbieten. Inwieweit dies von den Schulen angenommen wird, ist aktuell noch nicht absehbar", so Waldhäuser.

Nicht nur die Referenten in Dachau sind betroffen

Weitere Werkverträge und der Ausbau der digitalen Leistungen wären Lösungen, die einigen Referenten zumindest für die nächsten Monate helfen können. Normalerweise buchen Schulklassen am Max Mannheimer Studienzentrum außerschulische Seminare. Darin klären die rund 30 freiberuflichen Referenten die Jugendlichen über Antisemitismus und die Geschichte der Konzentrationslager auf. Doch da wegen Corona seit Monaten keine Seminare mehr stattfinden können, erhalten die Referenten keine Honorare mehr. Einige Freiberufler kämpfen in der Krise finanziell ums Überleben.

Nicht nur die Referenten des MMSZ in Dachau sind betroffen. Hierzulande findet ein großer Teil der Aufklärung über die Verbrechen des Nationalsozialismus außerhalb der Schulen statt. Die gedenkstättenpädagogische Arbeit wird vielerorts von Freiberuflern geleistet, die sich oftmals in prekären Arbeitsverhältnissen befinden und kaum mehr als den Mindestlohn verdienen. Die Krise hat dieses strukturelle Problem verschärft. Jetzt müssen sich freiberufliche Seminarleiter andere Jobs suchen, um zumindest über die Runden zu kommen. Sie fallen nicht unter den staatlichen Rettungsschirm für sogenannte Soloselbstständige, weil viele Referenten bei anderen Bildungseinrichtungen geringfügig beschäftigt sind und formal nicht als Soloselbstständige gelten. Wie viele Freiberufler in Bayern eine Soforthilfe beantragt, aber nicht bekommen haben, ist unklar. Eine entsprechende statistische Erfassung sei nicht erfolgt, teilt die bayerische Staatsregierung auf eine Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Florian von Brunn mit. Dieser sagt: "Wir dürfen diese bewährten Kräfte nicht im Regen stehen lassen."

"Das ist unzureichend, was wir uns da leisten"

Es gibt Befürchtungen, dass irgendwann nach der Corona-Krise, wenn die Schulen wieder in den regulären Betrieb übergehen und außerschulische Seminare stattfinden können, niemand mehr übrig ist, der außerschulische Seminare im gedenkstättenpädagogischen Bildungsbereich leiten kann - und das vor dem Hintergrund von zunehmendem Antisemitismus und Rechtsextremismus, die bis in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen. In Dachau haben sich eine ganze Reihe von Politikern dem Problem angenommen und drängen auf kurz-, aber auch langfristige Lösungen des Problems. Richard Seidl ist der Zeitgeschichtsreferent der Stadt Dachau, er sitzt für die Grünen im Stadtrat und ist Mitglied im Beirat der Stiftung Jugendgästehaus. Seidl arbeitet als Lehrer und unterrichtet unter anderem Geschichte. Er weiß, wie wichtig die außerschulischen Seminare gerade beim Thema NS-Vergangenheit sind. Es sei wichtig, dass die Schüler historische Orte wie das ehemalige KZ Dachau besuchen würden. Die "Authentizität und Anschaulichkeit" könne man im Schulunterricht nicht ersetzen. In der Corona-Krise sehe man, auf welch wackligen Beinen der politische Bildungsbereich stehe. "Das ist unzureichend, was wir uns da leisten", so Seidl. Die prekären Arbeitsverhältnisse in dieser Branche, aber auch in der Pflege oder Kinderbetreuung, seinen "ein Unding". Die Gefahr bestehe, dass man die Referenten verliere und niemand mehr übrig sei, wenn sich die Situation wieder normalisiere. "Das macht mir Sorgen." Seidl plädiert dafür, sich am MMSZ mittelfristig anders zu organisieren.

Eine Möglichkeit könnte sein, Referenten fest anzustellen. Beispiele für so ein Vorgehen gibt es: An der KZ-Gedenkstätte Dachau und am NS-Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg hat man in den vergangenen Jahren mit einem Teil der freiberuflichen Referenten Arbeitsverträge geschlossen. Der Hintergrund war allerdings ein völlig anderer als jetzt die Corona-Krise: Die Einrichtungen wollten so Scheinselbständigkeit bei ihren Mitarbeitern vermeiden.

Auch im Landtag ist das Thema längst angekommen. Der Dachauer Stimmkreisabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU) hofft nach wie vor, dass die Referenten des MMSZ unter den staatlichen Rettungsschirm für Erwachsenenbildung fallen können. Die bayerische Staatsregierung stellt für Volkshochschulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen 30 Millionen Euro bereit. Seidenath kämpft dafür, dass davon auch die Freiberufler am MMSZ profitieren, das formell als Einrichtung beim Sozial- und nicht beim Kultusministerium angesiedelt ist. "Das ist noch nicht vom Tisch", sagt er. Grundsätzlich suche man bei den zuständigen Stellen "mit Leidenschaft" nach einer Lösung, um den Referenten zu helfen. "Wir sind auf einem guten Weg." Die Aufgabe sei knifflig und erfordere ein wenig mehr Zeit.

Werkverträge sind eine Zwischenlösung

Die Grünen im Landtag drängen seit Monaten auf eine politische Lösung des Problems und machen Druck auf die Staatsregierung. Kurz vor der Sommerpause hat die Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel eine schriftliche Anfrage eingebracht. Es ist ein umfassender Fragenkatalog zu "Bildungsangeboten im Bereich Erinnerungskultur". Triebel will von der Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern wissen, wie diese die Situation der Bildungsreferenten am MMSZ einschätze. Zudem fragt sie, ob sich die Regierung dafür einsetze, mehr Planstellen am MMSZ zu schaffen. Seidenath kritisiert das Vorgehen der Grünen. Eine schriftliche Anfrage trage nicht zur Lösungsfindung bei, sagt er. Antworten auf Triebels Anfrage wird es nach der Sommerpause geben.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Florian von Brunn äußert im Fall der Referenten am MMSZ Unverständnis darüber, dass diesen nicht auf unbürokratischem Weg geholfen werden kann. Er verweist darauf, dass Geld eigentlich vorhanden sein müsste. Die Teilnahme an den pädagogischen Programmen des MMSZ ist für Schulklassen normalerweise kostenlos. Die Seminare werden von den Stiftungsträgern Freistaat Bayern, Stadt Dachau und Landkreis Dachau subventioniert, wobei der Freistaat den Löwenanteil trägt. Somit kommt das Geld für die Honorare der Referenten vom Staat. Wenn nun aber keine Seminare mehr stattfinden, könnte das eingeplante Geld doch ausgegeben werden, um den Referenten zu helfen - findet zumindest von Brunn. Wenn man das Geld habe, könne man es auch den Mitarbeitern zukommen lassen, sagt er. Wie die Grünen-Politikern Triebel fordert auch von Brunn eine langfristige Lösung des Problems. Die Ausschreibung von Werkverträgen könnte zwar kurzfristig helfen, sollte aber eigentlich ein einmaliger Vorgang sein.

© SZ vom 17.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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