Corona-Krise in Dachau:Freiberufler: "Für viele von uns geht es um die Existenz"

Corona-Krise in Dachau: Leerer Lernort: Im Max Mannheimer Haus finden wegen der Corona-Krise derzeit weder Seminare noch sonstige Veranstaltungen statt.

Leerer Lernort: Im Max Mannheimer Haus finden wegen der Corona-Krise derzeit weder Seminare noch sonstige Veranstaltungen statt.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Max Mannheimer Studienzentrum in Dachau kann keine Seminare mehr anbieten. Die Mitarbeiter erleiden erhebliche Honorarverluste. Der Freistaat gibt vor, allen Betroffenen helfen zu wollen, aber auf ihren offenen Brief reagiert er nur mit Ablehnung.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Christof Zahner muss zusehen, wie sein Girokontostand nach unten geht. Dieser ist inzwischen in den dreistelligen Bereich gerutscht. Zahners monatliche Miete beträgt 650 Euro, hinzukommen Handy- und Internetkosten. Und was man halt zum Leben braucht. Diesen Ausgaben gegenüber stehen Einnahmen, die auf den Nullpunkt zulaufen. "Nächste Woche bekomme ich noch 150 Euro von einem Job", sagt der 40-Jährige, "dann laufe ich auf Reserve."

Zahner ist ein Ein-Mann-Unternehmen, ein sogenannter Soloselbständiger. Er arbeitet freiberuflich. Er leitet Seminare für Schüler am Max Mannheimer Studienzentrum in Dachau und am NS-Dokumentationszentrum in München. Daneben jobbt er als Türsteher. Er verdient monatlich 3000 Euro. Das hört sich viel an, tatsächlich ist es prekär. Als Selbständiger muss Zahner alle Nebenkosten selbst tragen, es gibt keinerlei Arbeitgeberanteile, keinen bezahlten Urlaub, keine Boni, keine Absicherung, weder im Krankheits- noch Katastrophenfall.

"Damit fehlt ein relevanter Teil unseres Einkommens"

Freiberufler wie Zahner kämpfen derzeit buchstäblich ums Überleben. Die Folgen der Corona-Krise bedrohen viele Freiberufler in ihrer Existenz. Mit dem Herunterfahren des öffentlichen Lebens brechen ihnen Honorare, die fest einkalkuliert waren, weg. Am Max Mannheimer Studienzentrum leiten rund 30 Referenten mehrtägige Seminare zur Geschichte und Nachgeschichte des Konzentrationslagers Dachau. Junge Menschen aus aller Welt setzen sich darin intensiv mit den Verbrechen und Opfern des Nationalsozialismus auseinandern. Nun, in der Corona-Krise, finden dort bis mindestens 19. April keine Veranstaltungen statt. Wie es dann weitergeht, weiß niemand. Zwar hat die Staatsregierung ein Soforthilfeprogramm aufgestellt, das sich auch an Freiberufler richtet. Doch wer genau antragsberechtigt ist und wann die Soforthilfe tatsächlich bei den Betroffenen ankommt, ist unklar. Viele Selbständige fühlen sich allein gelassen.

Zahner und die meisten anderen Referenten, die regelmäßig am Max Mannheimer Studienzentrum tätig sind, haben einen offenen Brief an die Einrichtung geschrieben. Es ist ein Hilferuf. Die Referenten schreiben darin, durch die Schließung des Seminarbetriebs entfalle ersatzlos ihr Honorar. "Damit fehlt ein relevanter Teil unseres Einkommens. Für viele von uns geht es dabei um ihre Existenz." Sie appellieren daher an die zuständigen Entscheider sowie Gremien, "uns für diesen Verdienstausfall zu entschädigen".

"Haushaltsrechtlich ist nichts möglich"

Doch die Antwort, die sie bekommen haben, ist für viele niederschmetternd: "Es handelt sich um einen Fall höherer Gewalt, welchen weder die Stiftung noch die Auftragnehmer zu vertreten haben. Für diesen Fall sehen die Verträge kein Ausfallhonorar vor, sodass es keinen Zahlungsanspruch der Auftragnehmer gibt." Das Antwortschreiben endet mit der Bitte an die Referenten, sich über die "Rettungspakete" der Staatsregierung zu informieren. Auf Nachfrage sagt der Geschäftsführer der Stiftung Jugendgästehaus Dachau, Michael Waldhäuser: "Wir schätzen die Arbeit unserer Freiberufler sehr und verstehe, dass es sie persönlich hart trifft." Doch in dieser Situation könne er nicht mehr tun. "Haushaltsrechtlich ist nichts möglich."

Die Teilnahme an den pädagogischen Programmen des Max Mannheimer Studienzentrums ist für Schulklassen aber kostenlos. Die Seminare werden von den Stiftungsträgern Freistaat Bayern, Stadt Dachau und Landkreis Dachau subventioniert, wobei der Freistaat den Löwenanteil trägt. Somit kommt das Geld für die Honorare der Referenten vom Staat. Wenn nun aber keine Seminare mehr stattfinden können, was passiert dann mit dem ohnehin eingeplanten Geld für die Mitarbeiter?

Waldhäuser meint, da es sich letztlich um Steuergelder handle, würde es an anderer Stelle für den "Rettungsschirm" des Staates für Freiberufler ausgegeben. Doch es ist fraglich, wer von den freien Mitarbeitern überhaupt die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen könnte. Ein Großteil der Referenten könnte leer ausgehen. "Wir begrüßen die Hilfe der bayerischen Staatsregierung für Soloselbständige, weisen aber darauf hin, dass diese Hilfe nur einen kleinen Teil von uns erreicht", schreiben sie ihrem offenen Brief. Hintergrund ist, dass viele Seminarleiter zumindest formal nicht unter die Kategorie der Soloselbständigen fallen. Sie sind etwa bei anderen Institutionen im Bildungsbereich geringfügig beschäftigt. In der Praxis ist die Grenze zwischen selbständiger und abhängiger Beschäftigung oft fließend.

Die VHS Dachau will einen Hilfsfonds für Dozenten einrichten

Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) sagt, er wolle sich über das Thema der Freiberufler am Max Mannheimer Haus informieren und gegebenenfalls an der zuständigen Stelle ansprechen. Klar ist aber für ihn: "Der Freistaat muss jetzt vorgeben, was zu tun ist." Zahner ist enttäuscht vom Max Mannheimer Studienzentrum: "Ich finde das schade. Das ist eine Institution, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, Demokratie und Menschenrechte zu lehren. Und im Konfliktfall duckt sie sich weg. Gleichzeitig wird von uns erwartet, dass wir flexibel sind und zur Verfügung stehen."

Ähnliche Probleme wie die Referenten des Max Mannheimer Studienzentrums haben auch die Dozenten, die an den Volkshochschulen tätig sind. Doch reagieren die anders: Dort arbeitet man bereits an Lösungen, um die Situation für die selbstständigen Kursleiter zumindest abzufedern. Der Förderverein der Volkshochschule Dachau will eine Art Hilfsfonds für die Dozenten einrichten. Wenn ein Kurs nicht nachgeholt werden kann, bekommen die Teilnehmer die Gebühr zurück. Diese zurückerstattete Gebühr können Teilnehmer ganz oder teilweise in den Fonds einzahlen. Die Kursteilnehmer können entscheiden, ob ihre Spende einem speziellen Dozenten oder dem gesamten Dozenten-Pool zugutekommt. Matthias Buschhaus, Geschäftsführer der VHS Dachau, spricht von einem "solidarischen Akt der Teilnehmenden in Richtung ihrer Dozenten". Gleichwohl hofft Buschhaus, dass nach den Osterferien wieder Kurse stattfinden können und es gar nicht so weit kommt, dass Seminare komplett gestrichen werden müssen. "Wir versuchen, so viele Kurse wie möglich nachzuholen", sagt er.

So sieht das auch Ksenija Pointner, Geschäftsführerin der VHS Dachau Land. Man versuche den Dozenten zu helfen, "wo es geht", sagt sie. "Aber unsere Möglichkeiten sind eingeschränkt." Man eruiere gerade, ob und welche Kurse die VHS auch online anbieten könne. "Das braucht ein bisschen Zeit." Gleichwohl wären die Online-Kurse für die Dozenten wohl nur eine Zugabe, "kein richtiger Ersatz". Deshalb hofft auch sie, "dass die Krise zeitnah überwunden sein wird und wir das Versäumte schnell nachholen können."

"Wir wollen unsere Referenten mitnehmen in dieser schwierigen Situation"

Auch beim Dachauer Forum sucht man nach einer Lösung für die rund 300 freiberuflichen Referenten. "Wir sind mit Hochdruck dabei zu überlegen, was wir tun können", sagt Geschäftsführerin Annerose Stanglmayr. Das Forum versuche, wenn möglich auf digitale Angebote umzustellen. "Wir wollen unsere Referenten mitnehmen in dieser schwierigen Situation." Beim NS-Dokumentationszentrum in München beschäftigt man sich derzeit intensiv mit der Situation der freiberuflichen Mitarbeiter. "Dieses Thema hat für uns hohe Priorität hat und wir arbeiten gemeinsam mit dem Kulturreferat unter Hochdruck an einer Lösung", sagt die Pressesprecherin des Dokumentationszentrums, Kirstin Frieden.

Christof Zahner hofft, dass auch beim Max Mannheimer Haus vonseiten der Geschäftsführung oder der Stiftung doch zumindest noch Dialogbereitschaft besteht. Auch wenn sich vom Dialog alleine keine Miete bezahlen lässt, wie er sagt. Ihn persönlich macht vor allem die Art der Kommunikation des Max Mannheimer Hauses mit den Freiberuflern betroffen. Dass jegliche Möglichkeit der Unterstützung abgelehnt werde. "Und selbst wenn es wirklich keinerlei Spielraum gäbe, wären ein paar Worte der Anteilnahme schön gewesen."

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