Kultur und Pandemie:Bei Minusgraden in der Vorhölle

Lesezeit: 5 min

Die Pinakothek der Moderne hat geöffnet. Aber ein Besucheransturm sieht anders aus. (Foto: Catherina Hess)

Die aktuellen Corona-Regeln lassen Kulturgenuss für Geimpfte mit Schnelltest zu, bei einem Viertel maximaler Auslastung. Doch was und wer bleibt dabei noch übrig in Theatern, Konzertsälen und Museen? Anekdoten aus dem Alltag der Künste.

Von Josef Grübl, Susanne Hermanski, Oliver Hochkeppel, Yvonne Poppek, Sabine Reithmaier und Antje Weber, München

Wie in der Vorhölle gefangen, so fühlt sich das an. Als die Krankenhaus-Ampel auf Rot sprang und mancherorts die Tausendermarke übersprungen hatte, dachten viele im Kulturbetrieb, der nächste flächendeckende Lockdown würde bald folgen. Das wäre die Hölle gewesen. Hätte aber auch klare Fakten geschaffen. Stattdessen kam die Vorschrift einer maximalen Auslastung etwa der Theaterräume von 25 Prozent plus der Auflage von 2G plus für die Besucher. Das ist zumindest für die meisten zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Doch wie sieht es nun aus in der Realität, in der außer neuerlicher Verwirrung durch bundesweit leicht abweichende Regeln nicht mehr viel vor oder zurück zu gehen scheint? In der Kulturhungrige mitgefangen sind in dieser Not? Und wo es etwa in einer Gemeinde wie Kochel keine einzige Möglichkeit gibt, einen offiziellen Schnelltest zu machen? Wo man weit dafür fahren muss, um einen zu erhalten?

Rückwärts chronologisch

Sie sei vom Literaturhaus ausgeladen worden, klagte mit leisem Lachen eine Freundin, die sich auf die Lesung von Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel am Mittwoch gefreut hatte. Ihr wurde wie so vielen anderen per Mail oder Telefon abgesagt, da man beim Literaturhaus zuletzt rückwärts chronologisch vorging und nur die 25 Prozent Zuschauer in den Saal ließ, die als erste ihre Tickets gebucht hatten. Man selbst hatte das Glück, sich bei Strubel als Berichterstatterin weiterhin eingeladen zu fühlen und plante Tage im voraus pflichtschuldigst die Testung; da im eigenen Stadtviertel seit neuestem an vielen Teststellen fast alle Termine der näheren Zukunft vergeben sind, dauerte die Online-Suche fast eine Stunde. Machte nichts, lief doch - bis die Schriftstellerin aus Potsdam am Tag vor der Lesung doch noch absagte. Bei den beiden folgenden, letzten Literaturfest-Terminen, nicht ganz so prominent besetzt, waren in dieser Woche dagegen noch manche der erlaubten 50 Plätze frei, und weitere Dezember-Lesungen lässt das Literaturhaus kurzentschlossen ausfallen. Die Lage ist eben komplex, für Veranstalter wie Kulturwillige. Die einen im Bekanntenkreis zeigen denn auch keine Lust mehr, sich für jeden Ausstellungsbesuch testen zu lassen und richten sich resigniert darauf ein, kulturfern zu überwintern. Die anderen buchen jetzt erst recht einen der kurzfristig neu vergebenen Sitze in der Oper: Da geht noch was.

Wer Kunst will, muss frieren

Es gibt auch professionelle Notwendigkeiten, in ein Museum zu gehen. Etwa, weil man für seine Leser etwas über die neue Ausstellung in dem ebenfalls immer noch recht neuen kleinen Pavillon 333 neben der Pinakothek der Moderne schreiben will. Also stellt man sich klaglos eine Dreiviertelstunde in den Schneeregen vor dem Testzelt in die Schlange. Glücklich negativ - Test, Impfnachweis, Ausweis mit Lichtbild und bei München-Ticket gebuchten Time-Slot am Einlass ordnungsgemäß vorgezeigt - stellt man fest: Der Pavillon hat, anders als auf der Homepage angekündigt, gar nicht auf. Die Erklärung ist banal: Personalmangel wegen Corona, es gibt einfach nicht genügend Aufsichten. Oder vielleicht auch nun nicht genügend Geld für sie, weil kaum noch Eintrittsgeld reinkommt? Was soll's. Man sieht sich einfach zwei der anderen tollen Ausstellungen im Hauptgebäude zum zweiten Mal an, und freut sich, dass man jetzt so frisch getestet noch schnell ins Schwimmbad und ins Konzert gehen kann. Wenn schon knapp an der Lungenentzündung vorbeigeschrammt, dann muss sich das auch lohnen.

Die etwas andere Corona-Regel

Es gibt eine neue Corona-Regel: Die kreativen Ideen kommen aus dem Volkstheater. Das war schon dieses Jahr im März so. Als alle noch rätselten, wie sich unter den neuen Bedingungen die Theater aufsperren ließen, bestellte Volkstheater-Intendant Christian Stückl kurzerhand 5000 Schnelltests und ein Zelt, um loslegen zu können. Das Equipment kam zwar nicht zum Einsatz, aber schon damals galt das Credo im Haus, die Hürden für einen Theaterbesuch möglichst gering zu halten. Nun, da nur noch 25 Prozent des Publikums erlaubt und ein aktueller, negativer Test erforderlich sind, scheut das Volkstheater wieder keine Mühen. Es stornierte nicht alle, oft ausverkauften Abende, um dann ein Viertel der Karten wieder in den Verkauf zu geben. Statt dessen wurde durchtelefoniert, sagt Pressesprecher Frederik Mayet. Der Reihe nach. Waren alle Plätze vergeben, wurde den übrigen Kartenbesitzern abgesagt. Wer eine Karte hat, kann an der Kasse einen Termin für einen Test ausmachen, sagt Mayet. Die Station ist direkt vor dem Theater, derzeit nur für Besucher. Am Sonntag hätten sie 70 Tests in einer Stunde geschafft. Die Belohnung: "Alles, was wir im Dezember haben, ist voll", sagt Mayet. Ein Blick in den Spielplan lohnt sich dennoch: Es gibt durchaus noch Karten.

Zum Tanzen ideal geeignet

Keiner, sagt Daniel J. Schreiber und runzelt die Stirn. Weil der Direktor des Buchheim-Museums die Antwort dann doch zu negativ findet, rätselt er gemeinsam mit Pressefrau Sabine Bergmann, ob und, wenn ja, wie viele Besucher sich an diesem grauen, verregneten Wintertag in sein Haus nach Bernried verirrt haben. Viele sind es jedenfalls nicht. Was für diejenigen, die es trotzdem gewagt haben, nicht wirklich schlimm ist. Ist der angebotene und beaufsichtigte Schnelltest erstmal absolviert, haben sie die Räume ganz für sich, müssen sich über Abstände und sonstige Regelungen keine Gedanken mehr machen. Außerdem ist es eine ganz neue Erfahrung, den Expressionisten-Saal einmal ohne andere Menschen zu erleben. Kein Gedrängel vor den Highlights, niemand, der einem ungeduldig über die Schulter schaut. Macht richtig gute Laune. Überhaupt ist es der ideale Zeitpunkt, um das Motto der gerade laufenden Ausstellung von Katharina von Werzs als Einladung zu verstehen und konkret umzusetzen: "Tanz vor der Stadt" - wann sonst kann man das in einem Museum sonst schon wagen.

Froh über jeden

50 Leute, das ist vom Wochenende an die neue Obergrenze für private Feiern. In der Drehleier ist das schon seit dem 24. November die maximale Zuschauerzahl, ist es doch zufällig genau die zulässige Kapazität nach der geltenden 25-Prozent-Regel. Die Premiere seines neuen Soloprogramms Mitte Dezember hat Karsten Kaie deswegen vorerst auf Mitte Januar verschoben. Seine älteren Programme hat er aber diese Woche noch gespielt. Und es als "persönlichen Erfolg verbucht, dass 37 Besucher gekommen sind." Denn wer hat schon Lust, sich, obwohl durchgeimpft und womöglich sogar schon geboostert, bei Regen, Sturm oder jetzt wieder Minusgraden in die Schlange vor den Teststationen zu stellen. Oder wie im Schlachthof vor dem Theater auf das Ergebnis des mitgebrachten Schnelltests zu warten. So ergibt sich ein völlig uneinheitliches Bild, das voraussichtlich erst mal bleiben wird: Vieles ist abgesagt, und was allen Widrigkeiten zum Trotz läuft, kann boomen, genauso gut aber auch nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Es wird wieder ein komischer, harter, einsamer Winter. Ganz besonders für die Kultur.

Volle Leinwand, leere Ränge

Auf dem Filmplakat sind mehr Menschen zu sehen, als ihn Menschen sehen dürfen. "The French Dispatch" ist mehr Wimmelbild als Film, auf dem Plakat versammeln sich so viele Hollywoodstars wie sonst nur bei der Oscarverleihung: Bill Murray, Frances McDormand, Timothée Chalamet, Léa Seydoux, Christoph Waltz und viele mehr. Da gehen einem die Augen über, das will man auch ein zweites oder drittes Mal sehen. Wegen der 2-G-plus-Regeln muss sich an diesem Nachmittag keiner Sorgen machen: Der Innenhof des City-Kinos ist menschenleer, die Kontrollen sind vorbildlich, der Kinosaal weit von der vorgeschriebenen 25-Prozent-Auslastung entfernt. Wer schon einmal von einer Privatvorstellung träumte, hat derzeit gute Chancen dazu. Keine verhaltensauffälligen Sitznachbarn, kein Popcorn-Geraschel, keine Handys. Dann aber beschleicht einen ein ungutes Gefühl: Wird für so wenige Zuschauer überhaupt gespielt? Fünf Reihen hinter einem sitzt nur noch eine einzelne, bemaskte Person, das war's. Kurz bevor der Film beginnt, kommen aber doch noch drei weitere Zuschauerinnen. Oben auf der Leinwand wird es voll, unten im Saal bleibt es angenehm leer.

© SZ/srh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: