Öffnungsstrategien der Theater:Ernste allgemeine Verunsicherung

Volkstheater in München, 2017

Bereit für die Besucher: Im Volkstheater an der Brienner Straße will man am 26. März wieder vor Publikum spielen. Vor dem Theater soll ein Zelt aufgebaut werden, in dem sich Gäste vor der Vorstellung selbst testen oder testen lassen können.

(Foto: Stephan Rumpf)

Theoretisch dürfen Bühnen von 22. März an wieder öffnen. Aber wie realistisch ist das? Und wer testet wie? Während das Volkstheater forsche Pläne schmiedet, überwiegen anderswo noch die Zweifel

Von Barbara Hordych, Yvonne Poppek, Egbert Tholl, Antje Weber und Michael Zirnstein

Die Ankündigung gleicht in diesen Tagen einer Sensation: Das Volkstheater nimmt den Spielbetrieb wieder auf. Am 26. März soll vor Publikum die Premiere von "Die Tragödie des Macbeth" gezeigt werden. Das Theater an der Brienner Straße hat einen Spielplan mit eigenen Produktionen bis zum 11. April aufgestellt, die Karten dafür können seit Donnerstag gekauft werden. Schon am 5. März - früher als jede andere Spielstätte - legten sich Intendant Christian Stückl und sein Team fest, dass sie das Haus öffnen werden. Obwohl über allem die Frage steht: Wie wird es überhaupt möglich sein, den Spielbetrieb aufzunehmen?

"Uns wird es nicht einfach gemacht. Man hat fast das Gefühl, wir sollen nicht spielen", sagt Pressesprecher Frederik Mayet. "Wir gehen voraus und müssen uns selbst um alles kümmern." Der Grund liegt darin, dass nur vage formuliert ist, unter welchen Bedingungen Theater-, Opern- und Konzerthäuser öffnen dürfen. Voraussetzung ist - bei einer Inzidenz über 50, wie gerade in München - eine stabile oder sinkende 7-Tage-Inzidenz von unter 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner. Wer ein Theater besuchen will, benötigt einen "tagesaktuellen" negativen Schnell- oder Selbsttest.

Doch was genau bedeutet "stabil"? Bedeutet "tagesaktuell" am selben Tag oder innerhalb von 24 Stunden? Wie können die Ergebnisse kontrolliert werden? Und angenommen, das Theaterpersonal testet am Eingang, wer übernimmt die Haftung, wenn etwas schiefgeht? Auf all diese Fragen hat das Volkstheater noch keine Antworten. Aber es herrscht Zuversicht. Würde man abwarten, bis alles geklärt sei, verzögere sich die Organisation des Spielbetriebs unnötig, so die Argumentation. Und wer weiß, ob später das Haus aufgesperrt werden könnte: Bei einer Inzidenz von über 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen ist alles wieder zu. In München steigt die Zahl der Infektionen gerade an.

Das Volkstheater geht davon aus, dass das Publikum mit einem tagesaktuellen Test am 26. März kommen kann. Um die Hürde möglichst gering zu halten, habe das Haus 5000 Schnelltests bestellt, sagt Mayet. Vor dem Theater soll ein Zelt aufgebaut werden, in dem sich die Besucher vor der Vorstellung selbst testen oder testen lassen können. Die Kosten trägt das Volkstheater. Wer die Tests vornehme, sei indes noch nicht geklärt. Für die Vorführung hat das Volkstheater ein Hygienekonzept erarbeitet: Im Zuschauerraum sei jede zweite Reihe ausgebaut. Pro Haushalt können maximal vier Karten gekauft werden. Zwischen zwei Haushalten bleiben jeweils zwei Sitzplätze leer. So können 140 bis 150 Karten pro Abend in den Verkauf gehen - deutlich mehr als die vor dem Lockdown erlaubten 50 Zuschauer.

Dass man im Freistaat weg will von starren Zuschauerzahlen und "die ganze Kapazität des zur Verfügung stehenden Raums" freigeben möchte, das bestätigte am Donnerstagabend auch das Kunstministerium. Die maximale Zuschauerzahl werde sich nach den örtlichen Gegebenheiten sowie der Einhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstandes und den gängigen Hygienemaßgaben richten, ließ Kunstminister Bernd Sibler verlauten. Auch wenn "Details dazu derzeit noch ausgearbeitet" würden, und auch wenn nun wohl eine Menge Arbeit auf die kommunalen Behörden mit der Überprüfung der jeweiligen Konzepte zukommt, ist Sibler guten Mutes: "Die kulturelle Durststrecke nähert sich dem Ende. Kunst- und Kulturschaffende erhalten wieder Auftrittsmöglichkeiten, und das Publikum darf hoffen, wieder Kunst vor Ort zu erleben."

Im Volkstheater ist man dennoch vorsichtig: Sollte es die Pandemielage nicht zulassen, dass vor Publikum gespielt werde, werden die Tickets zurückerstattet, heißt es. Zehn an die Coronalage angepasste Produktionen kann das Volkstheater zeigen. Die Mitarbeiter werden zwei Mal die Woche getestet, sagt Mayet. Das sei mehr, als vorgeschrieben. Los geht es im Volkstheater bereits in der Nacht auf den 22. März, dem Stichtag, zu dem Theater gemäß Stufenplan wieder öffnen dürfen: Um 0.01 Uhr tritt die Band Katharr auf der Bühne des Großen Saals auf. Karten gibt es dafür auch.

5000 Schnelltests, ein Zelt vor dem Eingang - was für das Volkstheater als städtische Bühne zu realisieren ist, dürfte den Privattheatern schwerer fallen. Sobald diese den Spielbetrieb wieder aufnehmen, falle für sie die staatliche Unterstützung weg, die Einnahmen dürften wegen der Einschränkungen aber zu gering sein, um sich zu finanzieren, sagt Jennifer Becker vom Kulturreferat. So heißt es etwa aus dem Metropoltheater, dass man auf Ansagen "von oben" warte. Man gehe davon aus, kurzfristig reagieren zu müssen. Das Hofspielhaus kündigt hingegen an, den Spielbetrieb mit dem Solostück "Der Kontrabass" am 25. März wieder aufzunehmen. Besucher sollen sich auch dort testen lassen können, für zehn Euro.

Auch andere Veranstalter überlegen, wie sie vorgehen sollen. Die unsubventionierte Veranstaltungsbranche hat es am schwersten. Bei einer Mitgliederberatung des Verbandes der Münchner Kulturveranstalter (VdMK) sei die Stimmung mehr als zurückhaltend gewesen. Wegen der komplizierten Test-Logistik und der Reduzierung der Zuschauerzahlen könne niemand derzeit kostendeckend veranstalten, berichtet Christian Kiesler von der Agentur Target. Vor allem größere Konzerte werde es seiner Ansicht nach erst wieder geben, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft sei und man nur einen Teil des Publikums testen müsse. Die Münchner Volkshochschule hat sich bereits festgelegt und will am 12. April von reinen Online-Veranstaltungen wieder zu Präsenzangeboten übergehen, auch in hybrider Form.

Im Literaturhaus ist man noch unentschieden: "Wir überlegen täglich, ob und ab wann wir das Publikum wieder in den Saal lassen können und sollen", so Pressesprecherin Marion Bösker von Paucker. Man habe ja bereits im Herbst Erfahrungen mit hybriden Veranstaltungen gesammelt, da sei es "super" gelaufen. Da das aber nun inzidenzabhängig sei, könne man letztendlich nur am jeweiligen Tag entscheiden. "Und das macht es uns sehr, sehr schwer." Noch denkt man nach über Fragen wie: "Müssen wir, wenn wir den Motor wieder angeworfen haben, dann eine Woche später wieder zusperren? Und die gekauften Tickets für den Saal zurückerstatten?" Das Wichtigste sei, die Veranstaltungen nicht zu gefährden - "nichts wird ausfallen, egal was die Inzidenz sagt".

Ein spezieller Fall sind die Staatstheater. Noch besteht für diese im Prinzip die Dienstanweisung, bis zum 31. März geschlossen zu bleiben. Doch machte Ministerpräsident Markus Söder in der Runde mit den Intendanten am Donnerstag deutlich, dass er sich von 22. März an einen Spielbetrieb wünsche, bei aller Vorsicht. Doch fehlen auch für die Staatstheater einige Antworten, wie es im Detail laufen könnte. Vom Gesundheitsamt gebe es, so Christoph Koch von der Staatsoper, verschiedene Parameter, nach denen sich jedes Haus individuell eine Obergrenze ausdenken kann. Dazu gehören die Lüftung, die Frage, wie viel Platz zwischen den Mitgliedern der einzelnen Haushalte frei sein muss. Die Staatsoper hoffe, im Laufe der kommenden Woche darüber Klarheit zu erreichen. Fest steht: Am 21. März findet die Premiere vom "Rosenkavalier" als Stream statt. Am 22. März folgt dann die Stream-Premiere der Rosenmüller-Inszenierung von Rossinis "Signor Bruschino". Danach würde der Graben wieder auf Normalzustand zurückgebaut. Geplant ist dann die erste Live-Aufführung vom "Rosenkavalier" am 28., immer noch in der reduzierten Orchesterfassung von Eberhard Kloke - für die volle Orchesterbesetzung ist unter den herrschenden Bedingungen kein Platz. Bezüglich der Tests hofft man, dass viele Besucher bereits mit einem aktuellen Test kommen; es gibt Überlegungen, eine gewisse Zahl davon im Haus anzubieten.

Die Theater werden verpflichtet, Tests anzubieten. Doch wie das funktionieren kann, weiß auch Ingrid Trobitz nicht, die stellvertretende Intendantin des Residenztheaters: "Bislang hilft in dieser Hinsicht das Gesundheitsamt nicht. Es gibt noch kein Rahmenkonzept von Ministerium/KVR/Gesundheitsamt. Auch ist die Frage nicht geklärt, wer die Tests zahlt. Das Residenztheater hat dafür keinen Sponsor, würden wir die Tests gratis anbieten, bräuchten wir kaum mehr Karten verkaufen, es lohnte sich nicht. Auch wissen wir noch nicht, wie die Tests logistisch durchgeführt werden könnten." Der Plan: Wiedereröffnung am 25. März. Ansonsten haben sie den Plan für 1. April in der Schublade. Auch das Gärtnerplatztheater strebt eine Premiere vor Publikum am 26. März an. Auch hier seien viele Fragen offen und es herrsche das Prinzip Hoffnung auf Antworten, so Intendant Josef E. Köpplinger.

Und im Gasteig? Christian Beuke, Managementdirektor der Münchner Philharmoniker: "Wir bereiten uns jetzt darauf vor, unsere Tore für das Publikum am 24. März für ein Konzert mit Valery Gergiev wieder zu öffnen." Das "bewährte Hygienekonzept aus dem Herbst" werde nun um die Tests ergänzt. Damit sei man in der Lage, 650 Personen zu empfangen. Doch auch hier herrscht Unklarheit über die Umsetzung der Testvorgaben: "Selbsttests sind in dieser Größenordnung sicher nicht das alleinige Allheilmittel, daher bemühen wir uns jetzt um jede Form der Hilfestellung", sagt Beuke, damit alle, die mögen, getestet ins Konzert gehen könnten.

In der Schauburg plant Andrea Gronemeyer die Wiedereröffnung ihres Hauses am 22. März mit der Premiere von "Ich hab noch nie" von Nelly Winterhalder ab 14 Jahren - vor maximal 25 Zuschauern. "Natürlich sind das wenig. Aber wir wollen unbedingt wieder spielen", sagt Sprecherin Kathrin Schäfer. Auch hier gilt: Voraussetzung für den Besuch ist ein tagesaktueller negativer Test.

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