Festival:Wachsamer Weltbürger

Lesezeit: 4 min

Carl Amery (1922-2005) , Schriftsteller, Naturschützer und Zeitkritiker, im Jahr 2002, in dem auch sein Buch "Global Exit" erschien. (Foto: imago stock&people)

Der Schriftsteller und ökologische Vordenker Carl Amery lieferte lebenslang Denkanstöße. Anlässlich seines 100. Geburtstages erinnert ein großes Festival in den drei Städten Freising, München und Passau an den zivilisationskritischen Dichter.

Von Sabine Reithmaier, München-Passau-Freising

"Der Untergang der Stadt Passau", erschienen im Jahr 1975, war Carl Amerys größter literarischer Erfolg. Der düstere Science-Fiction-Roman, retrospektiv aus dem Jahr 2112 erzählt und 2013 spielend, passt zur aktuellen Pandemie-Zeit. Hat darin doch eine "Seuche" fast die gesamte Menschheit ausgelöscht. Die wenigen Überlebenden in Passau, Rosenheim und Ungarn sind sich unschlüssig, ob die Epidemie eine Strafe Gottes ist oder ob sie ein "verrückter Wissenschaftler" ausgelöst hat. Unklar ist zunächst auch, wie sie künftig wirtschaften sollen. Die Passauer mit ihrem machtgierigen "Scheff" entscheiden sich für die kapitalistische Variante und setzen wieder auf Ausbeutung, während sich die Rosenheimer ökologisch korrekt mit einer Kreislaufwirtschaft organisieren. Keine Frage, wer scheitert - das verrät schließlich schon der Titel.

Carl Amery, der unermüdliche Warner und hellsichtige Seher, hätte am 9. April seinen 100. Geburtstag gefeiert. Aus seinen scharfzüngigen Essays wird auch heute noch gern und häufig zitiert. Aber werden seine Romane noch gelesen? Arwed Vogel, bayerischer Landesvorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller (VS), ist sich da nicht so sicher. "Im klassischen Lesekanon ist er nicht", sagt er. Aber sein 100. Geburtstag sei eine Gelegenheit, den bayerischen Schriftsteller wieder stärker ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. Mit Lesungen, Filmen, Führungen, Ausstellungen, Diskussionsrunden und einem Konzert erinnert das Carl-Amery-Festival mit dem Untertitel "Ökologie und Literatur" an den 2005 verstorbenen, bayerischen Weltbürger, ein Versuch, die fundamentalen Überlegungen und Gedanken des Schriftstellers wieder in die aktuelle Debatte einzubringen. Veranstaltungsorte sind die drei Städte München, Freising und Passau, jene Orte, in denen Amery die meiste Zeit seines Lebens verbrachte.

Arwed Vogel, der bayerische Landesvorsitzende des Verbands deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen und Organisator des Carl-Amery-Festivals. (Foto: privat)

Arwed Vogel ist davon überzeugt, dass die Wiederbelebung funktionieren wird. Schließlich habe Amery sehr eingängig und pointiert geschrieben, sehr früh auf die sich anbahnende ökologische Katastrophe hingewiesen, Verbindungen zu gesellschaftlichem Verhalten aufgezeigt und Lösungswege entwickelt. Vogel hat den Autor noch persönlich erlebt, schwärmt von der Wachheit, mit der er seine Lesungen bestritten hat. "Er war ein sehr zugewandter Mensch ohne Allüren. Ihm ging es immer um die Sache, nie um seine Person."

Vermutlich gibt es nicht viele Schriftsteller, die sich neben dem Schreiben so vielen anderen Aufgaben widmen wie Amery. Er versuchte sich als Dramaturg, war Direktor der Münchner Stadtbibliothek (1967-1971), Mitglied der Gruppe 47, Präsident des westdeutschen PEN-Zentrums, eine Weile auch VS-Vorsitzender und gründete 1980 in Karlsruhe die Grünen mit, nachdem er die SPD aus Protest gegen Helmut Schmidts Wirtschaftspolitik verlassen hatte.

Der Künstlername ist ein Anagramm

Geboren wurde er als Christian Anton Mayer in München - aus seinem Nachnamen bildete er später das Anagramm Amery. Das Katholische, an dem er sich später so reiben sollte, ist ihm seit seiner Kindheit vertraut. Der Vater war Professor an den Theologisch-Philosophischen Universitäten von Freising und Passau. "In den Jahren der Pubertät bin ich mit Aufgaben betraut gewesen, die mich ausfüllten: mit der Arbeit für die Kirche und die katholische Jugend in der Verfolgungszeit", schrieb er später. "Ich habe während des Krieges einem katholischen Kreis angehört, in den mich meine besten und prächtigsten Freunde hineinholten und in dem ich weitere gute und prächtige Freunde fand." Genau diese Erfahrungen prädestinieren ihn später für seine Rolle als kritischer Begleiter der Amtskirche.

In Passau und Freising besuchte er das Gymnasium. Spuren davon finden sich nicht nur "Im Untergang der Stadt Passau", sondern auch im Roman "Das Geheimnis der Krypta" (1990), der in Freising spielt. Ebenfalls ein apokalyptischer Endzeit-Krimi, der die Verlierergeschichte der Menschheit erzählt. Ein Symbol dafür ist für Amery die mit kämpfenden Menschen und Drachen bestückte Bestiensäule in der Krypta des Freisinger Doms, eine romanische Darstellung des Weltenbrandes. Logisch, dass eine Besichtigung der Krypta mit zum Festivalprogramm gehört.

Massive Kirchenkritik

Nach der Kriegsgefangenschaft nimmt er sein unterbrochenes Philologiestudium wieder auf, beginnt zu schreiben und feiert mit zwei gegenwartskritischen Romanen "Der Wettbewerb" (1954) und "Die große deutsche Tour" (1958) die ersten Erfolge. Die deutsche Wohlstandsgesellschaft steckt zwar noch in den Kinderschuhen, aber Amery findet vieles schon damals absurd. Er begnügt sich nicht mit literarischem Schreiben, sondern versucht, mit seinen Essays die Menschheit aufrütteln, greift 1963 in der Kampfschrift "Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute" die Kirche der Adenauerzeit massiv an.

Früh nimmt er wahr, wie sehr die Menschheit, unentwegt streitend, auf ihre eigene Zerstörung hinarbeitet und aus Katastrophen nichts lernt. Sein Kampfgeist verlässt ihn zeitlebens nicht. 2002 erscheint "Global exit", ein Buch, in dem er dem Abendland eine "Kultur der kollektiven Selbstmordvorbereitung" attestiert und prophezeit, dass die Erde bald unbewohnbar sein wird und die Kirchen in Bedeutungslosigkeit versinken. An ihre Stelle trete "die Religion des Marktes". Beides lässt sich seiner Meinung nach verhindern, wenn die Kirchen den Kampf gegen die zerstörerische Ideologie des "totalen Marktes" aufnehmen würden.

Vielfältiges Veranstaltungsangebot

Immer alles noch sehr aktuell und sehr lesenswert. Das Festival startet am 22. März in München freilich literarisch. In der Münchner Seidl-Villa lesen und diskutieren Georg M. Oswald, Elisabeth Tworek und Schauspieler Stefan Merki über die Romane "Das Geheimnis der Krypta" und "Die Wallfahrer". Letzterer gilt als Amerys dichterisches Hauptwerk, in dem er in vier Geschichten von der Indienstnahme der Religion vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart erzählt.

Interessant zu werden verspricht auch der Abend in Freising (3.4.), bei dem, eingebettet in eine Ausstellung, Anna Mayer und Pia Mayer-Gampe, die Töchter Amerys, aus ihren Erinnerungen an das Leben der Familie in der Münchner Drächslstraße lesen. Und i m Passauer Scharfrichterhaus beleuchten der Schriftsteller Bernhard Setzwein, der Lichtung-Verlagsgründer Hubert Ettl und der Publizist Klaus Hübner verschiedene Facetten von Carl Amerys Werk.

Den Schlusspunkt setzt am eigentlichen Geburtstag (9.4.) die Verleihung des Carl-Amery-Preises 2022 an Judith Schalansky im Münchner Literaturhaus. Der Schriftstellerverband vergibt den Preis seit 2007 im Zweijahresrhythmus an Autoren, die mit zeitkritischer Literatur neue ästhetische Wege gehen. Auch das eine Erinnerung an das Lebenswerk des Namensgebers, der mit seinem Einsatz für eine friedliche, ökologisch vernünftig gestaltete Welt Maßstäbe gesetzt hat.

Carl-Amery-Festival "Ökologie und Literatur", 22.3. - 9.4., Freising - München - Passau. Programminfos unter www.carl-amery-festival.de .

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: