Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hat die katholische Kirche für ihren Umgang mit dem Missbrauchsskandal kritisiert. Insbesondere mit Betroffenen gehe sie teilweise "bis heute nicht angemessen" um, sagte er im Landtag: "Das muss sich ändern." Er erwarte, "dass die Kirche stärker auf die Opfer zugeht", und die Betroffenen "empathischer behandelt" würden. Für eine unabhängige Ombudsstelle, die Betroffene berate und begleite, wie es die Grünen fordern, habe er "viel Sympathie", sagte er am Donnerstag im Justizausschuss: "Eine unabhängige Stelle wäre hilfreich." Auch dies eine indirekte, aber deutliche Kritik am Umgang der Kirche mit Betroffenen. Zwar sei er selbst dafür thematisch nicht zuständig, aber innerhalb der Staatsregierung gebe es darüber Gespräche.
Die bisherigen Zahlungen der katholischen Kirche an Betroffene - in der Regel maximal 50 000 Euro als freiwillige "Anerkennungsleistung" für erlittenen Missbrauch - hält Eisenreich für zu niedrig. Er sei gespannt, wie Gerichte die Frage der Entschädigung beurteilten.
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Kritik der Grünen am früheren Agieren der Münchner Staatsanwaltschaft nannte Eisenreich "berechtigt". Die Strafverfolger forderten das erste Missbrauchsgutachten der Münchner Erzdiözese von 2010 erst im Jahr 2019 an. Dies hätte früher geschehen müssen, sagte der Minister. Es war die erste Untersuchung einer deutschen Diözese zu Missbrauch durch Kleriker, angefertigt von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW). Veröffentlicht wurde eine kurze Zusammenfassung, das Gutachten selbst enthält die Namen aller Beschuldigten. Warum die Staatsanwaltschaft das Gutachten jahrelang ignoriert habe, während öffentlich intensiv über die Verbrechen durch Kleriker an Kindern diskutiert worden sei, könne man heute nicht mehr sagen, beteuerte Eisenreich.
Er betonte, dass in den Jahren nach 2010 zwar Körperverletzungsdelikte wie etwa Ohrfeigen, die im Gutachten erwähnt seien, verjährt seien, nicht aber Sexualstraftaten. Die Feststellung, dass das verspätete Agieren der Staatsanwaltschaft keine Auswirkung auf die Strafverfolgung von Sexualdelikten gehabt habe, stamme von der Staatsanwaltschaft selbst, sagte der Justizminister.
Dass das erste Münchner Gutachten auch 2019 keine Ermittlungen ausgelöst habe, hat laut Eisenreich mehrere Gründe: Die aufgeführten Taten seien strafrechtlich nicht relevant oder bereits früher bearbeitet worden, sie seien verjährt oder die Beschuldigten verstorben. Ob zwischen 2010 und 2019 jemand verstorben und deshalb nicht ermittelt worden sei, wisse er nicht, so Eisenreich.
Nach Veröffentlichung der zweiten, wesentlich umfangreicheren Missbrauchsstudie durch WSW im Januar 2022 sei die Staatsanwaltschaft gleich tätig geworden. Derzeit liefen auf dieser Basis 39 Vorermittlungsverfahren und sechs Ermittlungsverfahren gegen Kirchenmänner.
Die Frage der Grünen, warum es bislang keine Durchsuchung von Kirchenbüros gegeben habe, erklärte Eisenreich so: Entweder hätten die Diözesen die Unterlagen freiwillig herausgegeben. Oder es habe kein Anfangsverdacht bestanden, wie im Fall der bundesweiten Studie zu Missbrauchsfällen von 2018. Diese sei anonymisiert erstellt worden, weshalb sich alle Generalstaatsanwälte in Deutschland einig gewesen seien, dass man auf dieser Basis keine Durchsuchungen vornehmen könne. Dennoch seien die Strafverfolger tätig geworden und hätten die Diözesen um freiwillige Herausgabe der Akten gebeten. Dieser Wunsch sei erfüllt worden.
Eisenreich appelliert an Betroffene, Strafanzeige zu stellen
Eisenreich appellierte an Betroffene von Gewalt durch Priester und andere Kirchenleute, Strafanzeige zu stellen. Dies sei der erfolgversprechendste Weg, die Taten juristisch aufzuklären, die bisherige Erfahrung zeige das. Untersuchungen, die die Diözesen selbst in Auftrag geben, seien hingegen für die gesellschaftliche Aufarbeitung enorm wichtig. Er erwarte von allen bayerischen Diözesen, solche Gutachten anfertigen zu lassen, wie es München getan habe und woran Passau gerade arbeite.
Toni Schuberl, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, erkannte ausdrücklich das Bemühen Eisenreichs im Kontext des Missbrauchsskandals an. Zugleich kritisierte er das frühere, jahrelange Nicht-Handeln der Strafverfolger: "Was ist passiert? Nichts ist passiert!" Dies sei ein "Versagen der Staatsregierung und der Staatsanwaltschaft". Schuberl forderte, dass der Staat weitere Bereiche der katholischen Kirche in den Blick nehme, die bislang kaum untersucht seien: Klöster, Ordensgemeinschaften, kirchliche Schulen und Heime. Nötig sei auch eine "Dunkelfeldstudie". Man habe es mit einer Organisation zu tun, "die bewusst vertuscht" habe. Deshalb müsse sich der Staat endlich aktiver engagieren.