Eine klaffende Wunde, ein nie erfülltes Versprechen der Ratsherren und -damen, ein Spiegelbild geistig-kultureller Vernachlässigung - mit solchen Assoziationen verbinden Generationen von Neuperlachern den Hanns-Seidel-Platz. Jahrzehntelang fungierte er hauptsächlich als billiger, öder Parkplatz vor dem Pep-Einkaufszentrum. Passend dazu war das - inzwischen abgerissene - "Kulturzentrum" in einem eingeschossigen Provisorium untergebracht. Und auch wenn schon die ersten Wohnblocks errichtet worden sind, auf das einst geplante Herzstück müssen die Neuperlacher erneut verzichten: Statt eines externen Investors, der nach den spektakulären Plänen der Wiener Architekten Delugan Meissl Associated Architects mit Helmut Wimmer und Partner ein kulturelles Bürgerzentrum mit Sozialbürgerhaus hatte errichten wollen, will die Stadt nun selbst bauen. Die Chance, ein architektonisches Ausrufezeichen zu setzen, scheint deutlich geschwunden zu sein, ehe die Arbeiten daran überhaupt begonnen haben - und ein Termin für den ersten Spatenstich ist nicht absehbar.
Somit wird sich auch der nächste gewählte Bezirksausschuss für den Stadtbezirk (BA) Ramersdorf-Perlach noch länger mit dem Thema beschäftigen müssen. Eine entsprechende Ankündigung hat Erwin Bohlig (CSU) schon gemacht: Für den Fall seiner Wiederwahl zum Vorsitzenden des Unterausschusses Budget, Kultur und Sport werde er sein besonderes Interesse dem neu zu errichtenden Kulturhaus auf dem Hanns-Seidel-Platz zuwenden. Nach circa 25-jähriger Planungs- beziehungsweise Umplanungszeit solle es endlich verwirklicht werden - nach den Bedürfnissen der örtlichen Vereine und Initiativen sowie den Vorstellungen des BA. Darüber hinaus will sich Bohlig weiter dafür einsetzen, das Theatron im Ostpark für Veranstaltungen besser nutzbar zu machen. Voraussetzung dafür: Es muss ein Kanalanschluss für Toiletten installiert werden, um zum Beispiel den Auflagen des Kreisverwaltungsreferats bei einem Konzert mit Getränkeausschank Genüge zu tun. Für Bohlig ist es jedenfalls "menschenunwürdig und unzumutbar", dass Freizeitsportler und sonstige Besucher des Ostparks ihre Notdurft im Gebüsch verrichten müssen.
Wolfgang Thalmeir (CSU) hat eher das große Ganze im Blick, wenn er festhält: "Die Herausforderungen für den Bereich Stadtplanung und Bauvorhaben im 16. Stadtbezirk werden maßgeblich durch das weitere, extrem progressive Wachstum der Stadt geprägt sein." Die Folge davon dürften eine noch höhere Nachfrage am Wohnungsmarkt als heute sein und ein extremer Mehrbedarf an Infrastruktureinrichtungen. Da aber der Platz begrenzt sei, müssten Wohnungen, Infrastruktureinrichtungen und Gewerbe zwangsläufig enger zusammenrücken. Dadurch steige aber auch das Konfliktpotenzial. "Als Bezirksausschuss müssen wir genauso wie alle Stadträte einen Ausgleich finden zwischen den berechtigten und schutzwürdigen Interessen der Bürger, die schon - teilweise sehr lange - da sind, und denen, die neu dazu kommen", mahnt Thalmeir. Mauern aufzurichten, andere auszusperren, Gewerbe fernzuhalten, wie manche dies aus Angst vor den herausfordernden Aufgaben verlangen, könne für München als eine der größten Wirtschaftsmetropolen Europas keine Lösung sein. Notwendig sei "vielmehr eine kreative, innovative und moderne Stadtplanung, ohne jegliche Denkverbote, die auch über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus denkt und Einfluss nehmen kann", sagt Thalmeir.
Weltoffenheit, wenngleich unter einem anderen Blickwinkel, wünscht sich auch Sabrina Landes (Grüne). So habe sie als Mitglied des Unterausschusses Bildung, Gesundheit, Integration und Soziales sehr positiv erlebt, wie sich etwa ehrenamtlich Tätige für ein gutes Miteinander im Stadtbezirk einsetzen. Zugleich vermisst sie aber, dass beim Thema "Integration" die betroffenen Migrantinnen und Migranten beteiligt würden. "Immerhin hat in unserem Stadtteil fast die Hälfte der Menschen ihre familiären Wurzeln im Ausland. Sie sind im alten BA nicht vertreten gewesen und werden es auch im neuen nicht sein", erklärt Landes und fügt hinzu. "Wir müssen uns dringend Gedanken darüber machen, wie wir diese Mitbürgerinnen und Mitbürger an der politischen Willensbildung beteiligen. Wenn wir die Hälfte der Stadtteilbevölkerung von der politischen Teilhabe ausschließen, verfestigen wir damit die Bildung von Parallelgesellschaften."
Kommunalwahl in Ramersdorf-Perlach:Szenen einer Ehe
Dem Zweckbündnis zwischen CSU und Grünen war kein Glück beschieden
Neue Wege, im Wortsinn, würde auch Gunda Wolf-Tinapp (Grüne), die Vorsitzende des Unterausschusses Mobilität und Umwelt, gerne beschreiten. In einer wachsenden Stadt mit begrenztem Straßenraum müssten Alternativen entstehen, wozu sie insbesondere attraktive Radverbindungen zählt. Für den öffentlichen Personennahverkehr schlägt sie eine neue Trambahn in Ost-West-Richtung entlang der Ständlerstraße vor, die dann Neubaugebiete wie Hochäckerstraße, Alexisquartier und die Krankenhäuser in Neuperlach und Harlaching verbinden würde. Kurzfristig müssten auch die Busse mit eigenen Fahrbahnen raus aus dem Stau , lautet ein weiterer Vorschlag Wolf-Tinapps.
Fragt man die SPD-Fraktion nach den künftigen Herausforderungen, so erfährt man: "Dreh- und Angelpunkt wird in den nächsten Jahren auch für den 16. Stadtbezirk das stetige Wachstum sein." Es werde also darum gehen, erschwinglichen Wohnraum für alle zu schaffen, bei einer gleichzeitig maßvollen Nachverdichtung der Bestandsbebauung. Dabei müsse man für ein ausgeglichenes Verhältnis von frei finanzierten Wohnungen, Eigenheimen und sozialem Wohnungsbau sorgen. Nicht zuletzt gelte es, bei Neubauten auch die erforderliche nachgelagerte Infrastruktur zu beachten. Als Beispiele führt die SPD etwa Kinderbetreuungsplätze, Sport- Kinder- und Jugendeinrichtungen, Schulen, Senioreneinrichtungen und die Nahversorgung an.
Beim Blick in die mögliche Zukunft des Stadtbezirks äußert sich Thomas Kauer (CSU), der BA-Vorsitzende, ähnlich: "Erstens, wir brauchen weitere Schulen, mehr öffentlichen Nahverkehr, mehr Sportflächen. Zweitens, wir müssen eine Verbindung zwischen neuen und alten Bewohnern herstellen. Dafür braucht es Räume, wo sich Menschen treffen können. Genau die fehlen derzeit aber überall und für alle Generationen. Die Posse um das Bürgerhaus am Hanns-Seidel-Platz ist doch an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Drittens, wir brauchen vor Ort mehr Einfluss gegenüber der Stadt. Als Bezirksausschuss wissen wir doch besser über die Bedürfnisse Bescheid als ein Stadtrat, der fünf Minuten später über Großhadern entscheidet." München bleibe nur mit einer umfassenden Verwaltungsreform gestaltbar. Alles andere sei über kurz oder lang Mangelverwaltung. Kauer erwartet, dass Ramersdorf-Perlach "noch mehr zur Stadt in der Stadt" wird. Ein Ort, der zwar in München liege, von dem die Bewohner aber erwarten, dass er auch "alleine" funktioniere. Parallel zum Anstieg auf mehr als 120 000 Einwohner wandle sich auch deren Struktur und deren Ansprüche an Freiflächen, Infrastruktur, Teilhabe und Freizeitmöglichkeiten. Weshalb Kauer sagt: "Ich glaube, wir können hier einen Beitrag für ganz München leisten. Umgekehrt muss aber dann München auch einiges für uns tun."
Die Spitzenkandidaten (soweit bekannt): CSU: 1. Thomas Kauer, 2. Anja Burkhardt, 3. Simon Soukup. SPD: 1. Kurt Damaschke, 2. Astrid Schweizer, 3. Erhard Reinfrank. Grüne: 1. Gunda Wolf-Tinapp, 2. Sepp Sebald, 3. Vaniessa Rashid. ÖDP: 1.-3. Rudolf Schabl.