100 Tage Schwarz-Rot in München:Nase-vorn-Spiel im Rathaus

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Die CSU regiert mit, die Grünen sind jetzt politische Gegner: Dieter Reiter ist seit 100 Tagen Chef im Münchner Rathaus. Warum der neue OB der SPD aufpassen muss, nicht als Teil einer Doppelspitze wahrgenommen zu werden.

Von Dominik Hutter, München

Manchmal verliert er noch den Überblick - wenn es vor lauter Änderungsanträgen und Sonderwünschen kompliziert wird im Stadtratsalltag. Dann kokettiert Dieter Reiter mit der Neulingsrolle, bedankt sich für die Hilfestellung aus dem Plenum und versucht so die Klippe zu umschiffen. Als Sitzungsleiter ist der SPD-Mann für witzige Formulierungen bekannt, er lästert auch mal über sich selbst und pflegt einen lockeren Stil. Hier hat einer alles im Griff, soll sein Auftreten suggerieren. Sogar, wenn er mal kurzzeitig was nicht im Griff hat.

100 Tage ist Dieter Reiter nun Münchner Oberbürgermeister, und man kann nicht sagen, dass er einen einfachen Start gehabt hätte. Gegen die Irrungen und Wirrungen der von ihm geleiteten Koalitionsverhandlungen war das alte rot-grüne Bündnis die reinste Kuschelecke. Im Rathaus am Marienplatz ist jetzt sehr vieles anders als in den 20 Ude-Jahren.

Schmid gibt sich gerne staatsmännisch

Plötzlich sitzt der einstige Hauptfeind CSU mit am "Regierungstisch", die Grünen sind politische Gegner, und wenn Reiter nicht aufpasst, könnte er bald als Teil einer Doppelspitze wahrgenommen werden. Im Rathaus wird bereits gelästert über den Co-OB Josef Schmid, der sich nur ein paar Zimmer weiter auf der gleichen Etage eingenistet hat. Und gerne betont, dass er - anders als Reiter - die stärkste Stadtratsfraktion im Rücken hat.

Schmid, der liberal-großstädtische CSU-Mann, gibt sich gerne staatsmännisch. Als der Dirigent Lorin Maazel starb, kam nicht nur von Reiter, sondern auch aus dem Schmid-Büro eine Kondolenzmeldung. Das ist nicht üblich, normalerweise beschränkt sich die Stadt in solchen Fällen auf die Reaktion ihres obersten Repräsentanten. Und der heißt nun mal Dieter Reiter. Aber Schmid sieht sich nicht als einfacher Zweiter Bürgermeister mit fest zugeteiltem Themengebiet.

Als höchster CSU-Mann im schwarz-rot regierten Rathaus nimmt er für sich eine Allrounder-Rolle in Anspruch. Die kürzlich erfolgte Stellenmehrung in seinem Büro begründete er damit, er müsse "die Gesamtlage mitsteuern". Was beim Oberbürgermeister anfalle, falle auch bei ihm an. Die eigentliche Botschaft lautet: München hat zwei Oberbürgermeister. Reiter und Schmid.

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Tatsächlich hat es in den vergangenen Wochen so ausgesehen, als wäre Schmid omnipräsent. Er eröffnete das Filmfest, fuhr bei der Radltour am Mittleren Ring mit, begutachtete - die Sonnenbrille cool am Hemdenknopf baumelnd - die Fluss-Surfer am Eisbach und strich mit über die Schulter geworfenem Sakko durch die Künstlerateliers an der Dachauer Straße.

Typisch CSU ist das nicht unbedingt, aber das will Schmid ja auch gar nicht sein. Und speziell die Kulturszene kann Hinwendung aus dem Rathaus gut gebrauchen. Denn anders als Christian Ude nimmt man weder Reiter noch Schmid eine feste Verwurzelung im Kreis der Münchner Schöngeister ab.

Reiter bleiben die Schmidschen Aktivitäten natürlich nicht verborgen, und immer wieder leistet er sich kleine Spitzen gegen den Kontrahenten. Beim Kamelrennen auf der Theresienwiese etwa, das erst von Schmid begrüßt und dann von Reiter beerdigt wurde. Oder bei der von der SPD misstrauisch beäugten Doppelfunktion als Wirtschaftsreferent, die Reiter - ganz der Dienstvorgesetzte - sehr genau beobachten will, um den Amtsinhaber notfalls zur Ordnung zu rufen.

Und dass die CSU irgendwann ihren heiß ersehnten zusätzlichen Wiesntag erhält, ist ähnlich wahrscheinlich wie eine Budweiser-Orgie im Augustinerzelt. Auch der Fehler, das glamouröse Filmfest der CSU zu überlassen, dürfte Reiter kein zweites Mal passieren. Obwohl er ganz bodenständige Argumente vorbringt: Beim gleichzeitigen und von Reiter besuchten Stadtgründungsfest seien schließlich zahlreiche Menschen anwesend gewesen, die sich um die Stadt verdient gemacht haben.

100 Tage sind noch keine Ära

Untätigkeit kann Reiter niemand vorwerfen. Der neue Oberbürgermeister hat sich zahlreiche unter Ude liegen gebliebene Themen vorgeknöpft: die maroden Schulbauten etwa, den Personalmangel in den Kindertagesstätten, die Altstadtquerung für Radfahrer oder auch den Trambahnausbau. Viele Verbesserungen sind zwar erst gerade auf den Weg gebracht, mit bislang noch offenem Ausgang. 100 Tage sind aber eben auch noch keine Ära, zumal der Stadtrat wegen des Koalitionsgeplänkels erst Ende Mai arbeitsfähig war. Dass nun ein frischer Wind durch die neugotischen Flure am Marienplatz weht, dürfte nicht einmal die Opposition abstreiten.

Die ist, und das ist für die Regierenden ja nicht unangenehm, ziemlich klein und reichlich zersplittert in dieser Amtsperiode. CSU und SPD, die sehr sachlich und konstruktiv miteinander umgehen, haben bisher den "Kleinen" trotz gegenteiliger Beteuerungen kaum Raum zum Mitgestalten gelassen. Was sich noch ändern wird, da sind sich Christsoziale und Sozis einig: Weil sich die beiden Großen nämlich in sehr vielen Punkten uneins sind.

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Die windelweichen Formulierungen des Bündnispapiers kündigen bereits an, wo es später Konfliktpunkte geben wird. Bei der Westtangente der Trambahn beispielsweise, die von der SPD seit vielen Jahren gefordert und von der CSU heftig bekämpft wird. Eine Einigung gilt angesichts der Vorgeschichte als unwahrscheinlich.

Und so könnte beim Thema Nahverkehr plötzlich wieder die alte rot-grüne Phalanx entscheiden, verstärkt durch Tram-Freaks aus den Reihen von ÖDP und Linken. Wenig harmonisch dürfte es in schwarz-roten Runden auch bei den Themen Radwege in der Rosenheimer Straße, Tunnelbau am Mittleren Ring oder Nachverdichtung der Gartenstädte zugehen.

So könnte die aus immerhin elf Gruppen bestehende Opposition doch noch zu ihrem Recht kommen. Wobei die Arithmetik eher für das linke Spektrum spricht, falls das denn die SPD stützen will. Schon jetzt zeichnet sich eine Art Abstimmungsgemeinschaft zwischen Grüne, Rosa Liste, ÖDP und Linken ab. Piraten und Hut tendieren mit der FDP zur anderen Oppositionsseite, Richtung Bürgerliche Mitte.

© SZ vom 08.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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