Man könnte glatt verzweifeln ob dessen, was in kürzester Zeit offenbar sag- und machbar, ja, salonfähig geworden ist: Statt konstruktiver Kritik schlägt einem oft blanker Hass entgegen, Kommentare gehen unter die Gürtellinie, und Aktion und Reaktion stehen immer weniger in einem Verhältnis zueinander. Es obliegt anderen zu bewerten, ob die sozialen Medien nun ein Nährboden oder ein Brandbeschleuniger sind, eine Verrohung lässt sich aber längst nicht mehr nur dort ausmachen, sondern ist in der gesamten Gesellschaft und in der Politik Usus geworden. Vergessen ist, dass Meinungsfreiheit zwar jede Meinung zulässt, dass man aber nicht alles, was man sagen kann, auch sagen sollte. Moralische Grenzen sind längst vielfach niedergerissen, von Spaltern und Hetzern. Hauptsache laut, denn offenbar fällt es vielen immer noch leicht, jenen zu folgen, die sich als starker Maxe aufführen, als Besserwisser, die sich angeblich trauen, Wahrheiten zu benennen, was aber nur dazu dient, aufzuwiegeln und Stimmen zu fangen, statt realistische und vor allem verträgliche Lösungen für das Gemeinwohl zu finden.
Man muss sich schon fragen, warum es in einem Land wie Deutschland, noch dazu in Oberbayern, so unfassbar viele Unzufriedene gibt, die bereit sind, Werte, Moral und Miteinander über Bord zu werfen zugunsten extremer Parteien. Ein Land, wo so gut wie jeder ein Leben lebt, von dem die Mehrheit der Welt nur träumen kann. "Count your blessings", sagen englischsprachige Menschen manchmal, auf Deutsch: Zähle mal all das Gute in deinem Leben. Und genau das sollte jeder hierzulande öfter tun. Sich vergegenwärtigen, wie gut wir es haben, dank der Freiheit und der Demokratie - und dass wir das erhalten sollten.
Um gleich einmal den Anfang zu machen: Es ist gut, dass sich gerade auf den Straßen etwas rührt. Es mag durchaus Zweifler geben, die die Wirkung solcher Demonstrationen als temporär abtun, oder - vielleicht zu Recht - anmerken, dass es sich um eine Blase handelt, in der eh nur jene Menschen erreicht werden, die bereits ähnlich denken. Nicht aber jene, mit denen man doch dringend den Dialog suchen müsste. Ja, es darf nicht alleine bei Demos bleiben, es muss weitergehen: Wer auf der Straße sich zu Toleranz und Offenheit bekennt, muss das auch zu Hause, im Job, überall leben und mit jedem Nachbarn das Gespräch suchen.
Und wer befürchtet, dass das alles eh nichts mehr bringt, dem sei gesagt: nicht verzweifeln. Weitermachen. Vor wenigen Tagen riefen Bekannte aus Schottland durch. Sie hatten in den Nachrichten von den Demos in Deutschland erfahren und wollten kurz sagen, wie froh sie sind, dass Deutschland diese Zeichen setzt. Die Außenwirkung also ist mindestens genauso wichtig wie die Innenwirkung. Ganz im Sinne von lokal handeln, aber global wirken.