Klimaschutz:Schöne Ziele, aber keine Wege dorthin

Lesezeit: 2 Min.

Bis 2045 soll jetzt Deutschland bei netto null Emissionen stehen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Im Eiltempo schrauben Union und SPD die deutschen Klimaziele hoch. Doch damit allein ist noch kein Gramm Kohlendioxid eingespart.

Kommentar von Michael Bauchmüller, Berlin

Wie sich mit Klimazielen Politik machen lässt, wusste schon Helmut Kohl. 1995, kurz vor einer UN-Klimakonferenz in Berlin, verblüffte er damit selbst Umweltschützer: Um ein Viertel wollte Kohl die Emissionen senken, bis 2005. Auf der Konferenz, geleitet von einer Umweltministerin namens Angela Merkel, machte das Versprechen viel Eindruck. Eingehalten wurde es nicht, aber das musste einen Helmut Kohl 2005 nicht mehr interessieren. Da war er längst Geschichte.

Wird es diesmal auch so laufen? Am Mittwoch, nur 147 Stunden nach einer kritischen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, hat die Bundesregierung mal eben alle Klimaziele heraufgeschraubt. Bis 2045 soll jetzt Deutschland bei netto null Emissionen stehen - statt 2050, wie die selbe Bundesregierung erst 2019 beschlossen hatte. Bis 2030 sollen die Emissionen nun um 65 Prozent unter das Niveau von 1990 sinken - statt um 55 Prozent, wie es bisher im Gesetz steht.

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Im Lichte der Klimakrise ist das alles richtig und geboten, die Koalition verdiente reichlich Applaus dafür - sähe es nicht in ihrem Maschinenraum so viel chaotischer aus als oben auf der Brücke. Dort unten streiten die Fachpolitiker seit Monaten darüber, wie konkret in den nächsten Jahren der Ausbau der erneuerbaren Energien vonstattengehen soll. Dass sie der Schlüssel zum Klimaschutz sind, bestreitet in der Koalition keiner. Konkrete Ausbaupfade aber, an denen sich Investoren und Netzbetreiber orientieren könnten, fehlen. Stattdessen schwingt ein Ministerpräsident in Bayern sonntags große Klimareden. An Werktagen aber verteidigt er mit Händen und Klauen jene Abstandsregel, die einen stärkeren Ausbau der Windenergie in Bayern vereitelt.

Den Zahlen Taten folgen zu lassen wird ein Kraftakt, wie ihn das Land selten erlebt hat

Schöne Ziele, aber keine Wege dorthin - so wird das nichts. Natürlich braucht es einen erheblich höheren Preis auf Kohlendioxid, um auch private Investitionen in klimafreundliche Alternativen zu lenken. Doch den Sozialdemokraten ist das Mittel nicht geheuer, sie fürchten soziale Verwerfungen - obwohl sich die verhindern lassen, wenn man es richtig macht. Teile der Union klammern sich an den Verbrennungsmotor. Dabei ist klar, dass die Deutschen nicht mit diesem Antrieb zur Klimaneutralität fahren werden, ja können. Stattdessen ist nun allenthalben die Rede von "Innovationen", die das Klima schützen sollen. Welche das sind, kann erst einmal offenbleiben. Hauptsache, die schönen neuen Ziele bringen Union und SPD über die Wahl. Helmut Kohl hätte es kaum besser machen können.

Aber 2021 ist nicht 1995, so einfach lässt sich vor Klimazielen nicht mehr kapitulieren. Und das macht die Entscheidung dieses Mittwochs dann doch bedeutsam: Mit Union, SPD, Linkspartei und Grünen steht nun eine breite Mehrheit im Prinzip hinter den höheren Klimazielen. Jede dieser Parteien wird sich nach der Bundestagswahl (in welcher Rolle auch immer) für die Erreichung der neuen Ziele einsetzen müssen, will sie nicht ihre Glaubwürdigkeit riskieren.

Den Zahlen Taten folgen zu lassen wird ein Kraftakt, wie ihn das Land selten erlebt hat. Er kann Deutschland von Grund auf modernisieren, die Abhängigkeit von fossilen Importen vermindern und das Leben insgesamt gesünder machen. Er kann die Bundesrepublik international zu einem Leuchtturm machen und helfen, die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzumildern. Aber wie das konkret gehen soll, überlässt auch diese Koalition mal lieber ihren Nachfolgern.

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