Klimaschutz:Bürgerrepublik Deutschland

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Der klimafreundliche Umbau dieses Landes wird zum größten Vorhaben der jüngeren deutschen Geschichte. Gelingen wird er nur, wenn viele ihn zu ihrem Projekt machen.

Von Michael Bauchmüller

Wie wenig sich in diesem Land mal einfach so durchsetzen lässt, dafür gibt es viele Beispiele. Maskenregeln, Impfpflichten, Stromleitungen, Endlager. Wo der Staat etwas auf Biegen und Brechen will, da ist der Widerstand nicht fern; und je dringlicher das Projekt, desto größer der Kampf. Nicht selten führt er an den Rand der Spaltung, oder, im Fall der Pandemie, tief hinein. Und das alles ist noch nichts gegen ein anderes Großprojekt, das da anrollt.

In weniger als 24 Jahren soll dieses Land klimaneutral sein. Kraftwerke müssen massenhaft Windrädern und Solarzellen gewichen sein, die dann Millionen Elektroautos und Wärmepumpen antreiben. Die Industrie, Flugzeuge, Schiffe sollen auf grünen Wasserstoff umgestiegen sein, die Landwirtschaft soll nur noch einen Bruchteil ihrer heutigen Klimagase verursachen. Rundherum braucht es eine komplett neue Infrastruktur für grünen Strom, grünen Wasserstoff, abgeschiedenes CO₂. Jeder Tag zählt. 24 Jahre sind, gemessen an üblichen Investitionszyklen, ein Wimpernschlag. Nur eines wird nicht funktionieren: das Ganze einfach mal durchzuziehen.

Als Elitenprojekt kann der Klimawandel nicht klappen

Denn bei allen Diskussionen um technische, physikalische, zuweilen geopolitische Fragen kommt eines zu kurz: die gesellschaftliche Herausforderung, der sich dieses Land gegenübersieht. Bislang ist die Klimawende ein Elitenprojekt, das zwar viele billigen, sich aber nur wenige zu eigen machen. Heikel wird sie immer dort, wo sie an den Einzelnen heranrückt: Wenn ein Windrad in der Nachbarschaft entsteht, Parkplätze einem Radweg weichen sollen, mit einer Technologie wie der Kohleverstromung auch Tausende Arbeitsplätze verschwinden. So schön und sauber die Welt jenseits dieses großen Umbaus auch sein mag - auf dem Weg dorthin lauern unzählige solcher Konflikte. Zusammengenommen können sie eine Wucht entfalten, die alle Klimapolitik zurückwirft, wenn nicht vereitelt.

Diese Gefahr lässt sich nur bannen, wenn möglichst viele Menschen den Umbau ihres Landes zu ihrem Projekt machen. Soll der Umbau nicht als ein Projekt des "Staates" daherkommen, das Betroffene zu erdulden haben, müssen Bürgerinnen und Bürger mitreden und mitgestalten dürfen. Aus Frankreich, Dänemark, Großbritannien gibt es Beispiele für "Bürgerräte", in denen zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger über Klimapolitik verhandeln. Dadurch befassen sich plötzlich nicht mehr nur breite Schichten mit dem Klimaschutz; sie fördern auch häufig ganz neue Ideen zutage. Regionale Beispiele zeigen, wie Mitsprache, etwa beim Verlauf von Stromleitungen, bessere Lösungen und sogar Akzeptanz schaffen kann.

Es braucht mehr als folgenloses Partizipationstheater

Ohne solche neuen Formen der Beteiligung, das haben wissenschaftliche Berater des Bundes dieser Tage noch einmal untermauert, wird sich ein breiter, robuster Rückhalt für dieses Unterfangen kaum erreichen lassen. Und ja, sie werden die Modernisierungsfähigkeit dieses Staates auf eine harte Probe stellen. Denn eine Befriedung werden Bürgerräte nur erreichen, wenn Regierung und Parlamente sich ernsthaft mit ihren Vorschlägen auseinandersetzen; wenn Behörden flexibel genug sind, sie auch umzusetzen. Als folgenloses Partizipationstheater funktionieren Bürgerräte nicht.

Klimapolitik, der grüne Umbau, wird oft als Chance zur Modernisierung Deutschlands gepriesen. Das stimmt. Aber sie wird scheitern, wenn sie nicht von einer anderen Modernisierung begleitet wird - im Miteinander von Bürger, Verwaltung und Staat.

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