Schriftsteller:Heilige und Verkommene

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"Amerikas am meisten polarisierender Autor", meint die BBC: Jonathan Franzen. (Foto: imago)

Als Romanautor ist Jonathan Franzen bestechend, als Essayist kontrovers. Und beides wohl aus demselben Grund: Er kümmert sich um menschliche Widersprüche.

Von Felix Stephan

Eine der Konstanten in Jonathan Franzens umfangreichen Werk sind die Bezüge zur deutschen Kultur: In "Die Korrekturen" ist eine der Hauptfiguren geradezu besessen von dem Pessimismus der Schriften Arthur Schopenhauers. In "Purity" geht es ausführlich um das Erbe der DDR. Und sein neuer Roman "Crossroads" spielt gleich ganz unter den Deutschstämmigen in den USA, einer der großen Bevölkerungsgruppen des Landes. Im Zentrum steht die Pfarrersfamilie Hildebrandt, die in einem Vorort von Chicago lebt; der Vorgesetzte des Vaters heißt Haefle, die Nachbarn heißen Fritz und Susanna Niedermayer. Franzen, dessen eigener Name selbst gewisse Bezüge zu diesem Milieu nahelegt, hat 1979 ein Jahr in München studiert. Sein Deutsch ist passabel, bis heute hat er Freunde in Deutschland.

Wenn man also mit deutscher Literatur aufgewachsen ist, bewegt man sich im Werk Jonathan Franzens auf vertrautem Gelände. Franzen steht für ein europäisches Kunstverständnis, das geschult ist am realistischen Roman, an Dostojewski, Tolstoi, Thomas Mann, . Damit wirkt er mitunter rasend unzeitgemäß, immer wieder werden seine Romane von jüngeren Kritikern als Inbegriff des Archaischen und Überholten herangezogen, die BBC nannte ihn unlängst "Amerikas am meisten polarisierenden Autor". Franzen hält bis heute an der kategorischen Trennung von ernster und unterhaltender Literatur fest, er misstraut sowohl dem Markt als auch der Community.

Bloß nicht eindimensional sein

Als die berühmte Moderatorin Oprah Winfrey ihn mit seinem Roman "Die Korrekturen" einst in ihre Sendung einladen wollte, äußerte Franzen in mehreren Interviews öffentlich seine Zweifel, dass ein hochliterarischer Autor wie er in die Reihe der "schmalzigen, eindimensionalen" Bücher passe, die Winfrey sonst auswähle. Den Oprah-Winfrey-Sticker auf dem Cover seines Romans, der in den USA jedes Buch automatisch zum Bestseller macht, lehnte er ebenfalls ab, weil er ihn als kommerzielle Inbesitznahme seiner Kunst empfand. Oprah Winfrey lud ihn daraufhin wieder aus und erklärte, sie wolle ihm keine Schwierigkeiten machen.

Als Romanschriftsteller verteidigt Franzen die Autonomie der Kunst, als Essayist aber scheut er die gesellschaftspolitische Arena nicht. In den Zehnerjahren warnte er eindringlich vor den sozialen Medien ("Twitter steht für alles, wogegen ich eintrete"), neuerdings geht er am liebsten gegen jene Teile der Klimabewegung vor, deren Argumentation ihm allzu religiös erscheinen.

Vor zwei Jahren erschien seine Essay-Sammlung "Das Ende vom Ende der Welt", in der Franzen eine scharfe Trennlinie zog zwischen Naturschutz und Klimaschutz. Den Klimaschützern warf er in dem Buch vor, mit demagogischer Apokalyptik in erster Linie einen neuen Moralismus zu etablieren. Die quasireligiöse Rhetorik dieser Leute, in der jeder Einzelne schuldbeladen ist, mache den Menschen zum Jünger, reduziere die menschliche Widersprüchlichkeit auf eine banale Formel und ändere an unserem Verhältnis zur Natur genau gar nichts. Ohne systemische Veränderungen habe das Verhalten des Einzelnen jedoch keinerlei Auswirkungen.

Wer kennt sich selber schon gut - und kann über andere urteilen?

Naturschutz hingegen sei "romanhaft", schreibt Franzen: "Keine zwei Handlungsorte sind einander gleich, und keine Geschichte ist einfach." In der peruanischen Hochebene müsse man den Veränderungen anders begegnen als im Amazonas, die Bedrohungen für die Artenvielfalt in Tunesien seien andere als in London. Als Naturschützer aber könne man tatsächlich etwas ausrichten, wenn man konkret ein Stück Lebensraum bewahrt. Das ist nur eben mühsam und unglamourös.

Dass Franzen als Romancier so bestechend und als Essayist so kontrovers ist, hat womöglich ein und denselben Grund: Er stellt sich den Menschen als widersprüchliches Wesen vor, das manchmal das Gute will, aber Böses tut. Oder das sich verkommen und niederträchtig wähnt, während es in Wahrheit ein Heiliger ist. Das sich jedenfalls selbst nicht besonders gut kennt und deshalb mit Urteilen über andere fast immer danebenliegt.

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