AfD-Erfolg im Osten:Katastrophengerede hilft nicht

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In Brandenburg und Sachsen hat bei der Europawahl keine Partei stärker abgeschnitten als die AfD, in Thüringen und Sachsen-Anhalt erreichte sie Platz zwei knapp und in Mecklenburg-Vorpommern deutlich hinter der CDU. (Foto: dpa)

In den östlichen Bundesländern haben mehr Wähler für Rechtsaußen gestimmt als vielerorts im Westen. Das ist betrüblich. Aber mehrheitlich ist die Zivilgesellschaft auch im Osten demokratisch gesinnt.

Kommentar von Cornelius Pollmer

Das Wahlergebnis im Osten Deutschlands lädt ein, seinen Reflexen mal wieder freien Lauf zu lassen. In Brandenburg und Sachsen hat bei der Europawahl keine Partei stärker abgeschnitten als die AfD, in Thüringen und Sachsen-Anhalt erreichte sie Platz zwei knapp hinter der CDU. Die Kommunalwahlen gingen weniger eindeutig aus, aber auch hier legte die AfD zu und liegt teilweise vorn. Und jetzt: wieder Alarmismus, wieder Fatalismus, wieder schnurgerade Fingerzeige aufs ewig undankbare Dumm- und Dunkeldeutschland?

Von all dem gibt es seit mindestens fünf Jahren genug. Zur Selbstvergewisserung der Absender mögen Empörungsrufe und patriarchalische Empfehlungen noch immer hilfreich gewesen sein, darüber hinaus sind sie es nicht. Und jetzt stattdessen: Komplettaufgabe, noch mehr Angst, Mauer aufbauen und über alles doch besser wieder schweigen? Von all dem würde garantiert nichts besser und erst recht nicht in diesem Jahr, in dessen Herbst im Osten drei Landtage gewählt werden. Was also dann?

Der Osten hat am Sonntag keinen Rechtsruck erlebt, er hat in beunruhigender Kontinuität ein weiteres Mal ein weiteres bisschen mehr rechts gewählt. Mögliche Gründe dafür sind tausendfach erörtert, mögliche Folgen davon fast genauso häufig skizziert worden.

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Da ist die Wohlstandskluft zum Westen, da ist das demografische Gift der Überalterung weithin entleerter Landstriche, da sind urban-progressiv geprägte Diskurse, in denen es zu häufig an Themen, Personen und Perspektiven aus dem Osten mangelt. Da ist die lange Zeit zunehmende Abwesenheit des Staates im Alltag vieler Bürger, da ist noch immer oft Schweigen in Familien und teils in Stadtgesellschaften, da sind Wunden wegen DDR oder Treuhand oder weswegen auch sonst. Und dort, wo nicht geschwiegen wird, wird allzu oft geschrien und nicht gesprochen. All das wird mit jeder Wahl nicht weniger richtig, aber es erklärt auch nicht mehr.

Geleitet von einer lüsternen Unbeirrbarkeit

Es ließe sich lange spekulieren, ob zum Beispiel der besonders strukturschwache Osten des Ostens deswegen besonders stark AfD gewählt hat, weil er die handelnde Politik "nur" weiter bedrängen möchte um Investitionen und andere Darreichungsformen von Zukunft. Oder ob sein Wahlverhalten längst von einer lüsternen Unbeirrbarkeit geleitet wird, die erst mit einem Ende aller bisherigen Verlässlichkeit in den Verhältnissen wieder rissig werden könnte.

Zu wünschen aber ist dem Osten etwas anderes, gerade weil das viele Warnen und Erklären bislang nichts genützt hat und offenbar auch nicht die Zusage von Staatsmilliarden für den Strukturwandel oder das dreihundertvierte Dialogformat. Zu wünschen ist dem Osten, dass die schon als Vokabel dunkel funkelnde "Machtübernahme" der AfD nicht dauernd auch noch von jenen herbeigeredet wird, die eine solche Übernahme als Letztes auszubaden hätten, käme sie denn je. Zu wünschen ist ihm ein genauer und ruhiger Blick auf Realitäten.

Kleiner Spickzettel: Wenn irgendwo ein Drittel der Leute rechts wählt, heißt das noch immer, dass zwei Drittel es nicht tun. Zu wünschen ist dem Osten schließlich und am allermeisten, dass jene dauerhaft sichtbarer werden, die sich in ihm noch immer heißen Herzens bemühen um eine freie Gesellschaft und einen fairen Umgang miteinander. Sie sind zehn Mal Grund genug, sich nicht vom Osten abzuwenden.

© SZ vom 28.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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