Wahl in Görlitz:Anti-Stimmung in der Europastadt

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Blick auf Görlitz von ZgorzelecBlick auf Görlitz von Zgorzelec Polen am Ostufer der Neisse aufgen

Blick auf Görlitz vom polnischen Zgorzelec aus.

(Foto: imago/Winfried Rothermel)

Görlitz wird zum Schauplatz für einen Trend, der sich im Osten abzeichnet: Die AfD wird stärkste Kraft. Jetzt könnte auch noch ein Rechtspopulist Oberbürgermeister werden. Eindrücke aus einer Stadt mit vielen Verlierern.

Von Antonie Rietzschel, Görlitz

Am Tag danach wehen am Ufer der Neiße zwei Europaflaggen. Dort wo sich die Altstadtbrücke über den Fluss spannt. Die 80 Meter lange Stahlkonstruktion verbindet die Städte Görlitz und Zgorzelec miteinander, Deutschland und Polen. Auf dem Dach eines alten Getreidespeichers postiert, sollten die Flaggen vor der Europa- und der Kommunalwahl ein Bekenntnis sein. Eine Botschaft an jene, die sich für Abschottung einsetzen. Am Tag danach kann der Anblick nicht darüber hinwegtäuschen, dass Anspruch und Realität in der Europastadt Görlitz längst nicht mehr zusammenpassen.

Görlitz ist zum Schauplatz einer Anti-Stimmung geworden, die sich besonders in Ostdeutschland verfestigt hat. Die AfD wurde in den neuen Bundesländern bei der Europawahl vielerorts stärkste Partei - entgegen dem bundesweiten Trend. Zehn Prozent konnte die AfD deutschlandweit einfahren. In Görlitz stimmten 32 Prozent der Wahlberechtigten für die Partei.

Parallel zum europäischen Parlament wählten die 57 000 Bewohner einen neuen Stadtrat und den Oberbürgermeister. Auch hier fiel das Ergebnis eindeutig aus: 36 Prozent der Stimmen fielen auf den AfD-Kandidaten Sebastian Wippel. Zwar wird es einen zweiten Wahlgang geben. Doch Sonntagabend war Wippel in der Stadt der eine Sieger, unter vielen Verlierern.

Es ist 21.15 Uhr, als AfD-Kandidat Wippel um Ruhe bittet. Im Wirtshaus Zur Altstadt haben sich seine Anhänger versammelt. Draußen vor der Tür stehen zwei Muskelmänner mit Glatze. Auf ihren T-Shirts prangt das Wort "Sicherheit". Drinnen stehen vor allem Ältere im dunklen Gewölbe des Wirtshauses zusammen. Ein Mann trägt ein T-Shirt der rechtsextremen "Identitären Bewegung". Die Luft ist stickig. Zwei Drittel der für die Oberbürgermeisterwahl abgegebenen Stimmen sind zu diesem Zeitpunkt ausgezählt. Das endgültige Ergebnis steht noch nicht fest. Klar ist: Wippel, 36 Jahre alt, liegt vorn. Im weißen Hemd steht er im Wirtshaus. "Wir haben es geschafft", sagt er. Jubel bricht aus, Gläser werden in die Höhe gereckt. Es gibt Freibier.

Oberbürgermeisterwahl - Görlitz

Sebastian Wippel in Feierstimmung.

(Foto: dpa)

Wippel sitzt für die AfD im sächsischen Landtag. In seiner Fraktion gilt er als Experte für Innere Sicherheit. Ein Thema, das er auch im Wahlkampf in Görlitz gesetzt hat. Zwar ist die Kriminalität im Kreis auf einem neuen Tiefstand seit Öffnung der Grenzen Ende 2007 - doch Drogendelikte und Einbrüche sind ein großes Problem. Wippel, selbst Polizist, zeichnete im Wahlkampf das Bild einer Stadt in Angst. Von Vergewaltigungen war die Rede. Von Jugendlichen, die Hundebesitzer anpöbeln und auch zuschlagen. Im Zusammenhang mit den Tätern sprach er von "Neueingewanderten". Auf sein eigenes Sicherheitsgefühl angesprochen, sagte Wippel: "Ich bin 1,90 Meter groß und kampfsporterprobt."

Die Leitlinien seiner Politik hat er mal so zusammengefasst: "Richtig ist, was für Deutschland gut ist. Richtig ist, was für das deutsche Volk gut ist. Und was richtig ist, muss gemacht werden. Und ich werde es tun." In Görlitz setzte er sich für Grenzsicherung, mehr Polizei und Videoüberwachung ein. Und hatte Erfolg.

Das Café Kugel ist nur wenige Schritte von Wippels Wahlparty entfernt. Und doch eröffnet sich am Sonntagabend zwischen den hellen unverputzten Wänden eine völlig andere Welt. Im deckenhohen Edelstahlregal stehen Weinflaschen. Im Wirtshaus Zur Altstadt gibt es Würzfleisch und Sauerbraten. Im Café Kugel steht Tatar mit Rote-Beete, Paprika-Mayonnaise und Kartoffelbrot auf der Speisekarte. Franziska Schubert sitzt an einem der Tische und sagt: "Wäre ich nicht angetreten, Wippel wäre durchmarschiert." Schubert ist mit dem Anspruch in den Wahlkampf gegangen, als erste Frau ins Rathaus einzuziehen. Und als erste Grüne. Jetzt muss sie sich damit zufriedengeben, dass Wippel aus dem Stand nicht gleich über 50 Prozent geschafft hat.

Schubert sitzt wie Sebastian Wippel im Landtag. In ihrer Fraktion ist sie die Finanzexpertin. Mit 37 Jahren hätte sie Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Landtagswahl Anfang September werden können. Stattdessen beackerte sie in den vergangenen Monaten Kommunalthemen. In einem schier endlosen Marathon besuchte sie Unternehmen, zeigte Investoren die Stadt. Gleichzeitig organisierte sie ein Europapicknick, ging zum Kaffeeklatsch der deutsch-polnischen Frauengruppe. Sie führte einen zutiefst pro-europäischen Wahlkampf.

Oberbürgermeisterwahl - Görlitz

An der Altstadtbrücke hängten Schuberts Unterstützer ein riesiges Banner auf und hissten die Europaflaggen.

(Foto: dpa)

Es waren Schuberts Unterstützer, die an der Neiße die Europaflaggen hissten und dazu ein riesiges Banner mit Schuberts Konterfei ausrollten. Die Hoffnungen waren groß - auch, weil hinter Schubert ein breites Bündnis aus Bürgern der Stadt stand, die ebenfalls zur Stadtratswahl antraten. Der Verein "Bürger für Görlitz" wurde zur Kommunalwahl 2014 zweitstärkste Kraft. Jetzt kommen sie mit Schubert als Spitzenkandidatin auf 17 Prozent. Bei der Direktwahl zum Oberbürgermeisteramt lief es für sie zwar besser, aber nicht gut genug.

Im Café Kugel schwankt Franziska Schubert am Sonntagabend zwischen Zuversicht und Wut. "Wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken. Ist doch toll, was wir hier geschafft haben", sagt sie, als eine Gruppe Unterstützer müde lächelnd hereinkommt. Sie schüttelt Hände, ruft überschwänglich "Schön, dass ihr da seid". Dann kehrt sie an den Tisch zurück, knallt im Gespräch das Handy auf den Tisch. Sie ist sauer auf die Linke. Weil die lieber eine eigene Kandidatin zur Oberbürgermeisterwahl aufstellte, als sich hinter Schubert zu stellen. So wie die SPD. Schubert ist sauer auf das Europawahl-Ergebnis: "Das kann man nicht mehr erklären."

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