Tatort aus Zürich:Gefährlich niedrig

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Ja, es ist Fürsorge: Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher, links) mit der traumatisierten Ella (Maura Landert). Tessa Ott (Carol Schuler) betrachtet den Kanarienvogel. (Foto: Pascal Mora/ARD Degeto/SRF)

Der Zürich-Fall "Blinder Fleck" wirft vor allem eine Frage auf: Wie konnte ein derart goldrichtiges Ermittlerteam nur so schnell verbiedern?

Von Claudia Tieschky

Seit 2020 ermitteln Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) in Zürich, und nach den Jahren mit ihrem Vorgänger Flückiger aus Luzern sah man den Neuanfang mit Freude. Das Duo war sich emotional und intellektuell fremd - und aufregend rau. Grandjean: aus dem französischsprachigen Jura stammend, verschlossen, und mit profunder Unmenschen-Kenntnis vom Job beim Internationalen Strafgerichtshof zurückgekehrt. Ott: als tendenziell labile Person am eigenen Schopf herausgezogen aus der Existenz einer reichen Tochter und dann mit Umweg über die Hausbesetzerszene zur Profilerin geworden. In ihren ersten Fällen waren sie zwei Außenseiterinnen, von unterschiedlichen Himmelswinden herangeweht. Endlich, dachte man. Nun kommen Dinge ja oft anders, aber trotzdem ist es absolut verblüffend, wie der Zürcher Tatort bei dieser goldrichtigen Konstellation in so kurzer Zeit derart schlimm verbiedern konnte.

Hart am Rand einer Soap: Im Showdown eilen alle genau zur Stelle, an der sie sein müssen

Der aktuelle Fall heißt "Blinder Fleck", er ist nach "Seilschaften" die zweite Zürich-Episode in diesen Jahr von den Autorinnen Claudia Pütz und Karin Heberlein und Regisseur Tobias Ineichen. An einem beschaulichen Waldrand sind zwei Männer verabredet, einer kommt mit dem Rad, der andere im SUV mit der Familie. Dann sind drei Menschen tot, die Männer und die Ehefrau im Wagen. Überlebt hat Ella, die kleine Tochter. Der Fall führt Grandjean und Ott einerseits ins Business mit Drohnen und Gesichtserkennungssoftware. Und andererseits zurück zu Kriegsverbrechen in Bosnien. Dem Fall fehlt also keineswegs grundsätzlich die Relevanz. Dass sie dann aber doch fehlt, liegt am Glaubwürdigkeitsproblem - nicht so sehr des Plots, sondern der Machart. Drohnenmäßig gesprochen: Die Flughöhe in Sachen emotionale Komplexität ist schon fast gefährlich niedrig.

Grandjean muss über weite Teile aussetzen, weil sich die traumatisierte Ella beständig an sie klammert. Um zu betonen, wie ernst Grandjean die Fürsorge nimmt, wird das immer und immer wieder gezeigt. Als sie ihren Freund Milan herruft, der Ella auf Kroatisch "Blistaj, blistaj, zvijezdo mala" vorsingt, da sinkt das Kind nach einer halben Strophe so schnell in den Schlaf, dass der Mann mit der Nummer auftreten könnte. Und so geht es weiter, hart am Rand einer Soap: Im Showdown rennt jemand quer durch Zürich genau zu der Stelle, an der die Person sein muss, damit sie der Tod ereilt. Oder jemand schafft es von jetzt auf gleich auf ein Hochhausdach, weil das Böse nie Brotzeit macht. So eine Kritik macht einfach überhaupt keinen Spaß. Wo sind Grandjean und Ott von 2020 hin? Löst doch den Fall bitte mal in Zürich.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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