"Maybrit Illner" zur Corona-Krise:Und plötzlich sind Pflegekräfte Helden

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Maybrit Illner (Mitte) diskutiert unter anderem mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach (li.). (Foto: ZDF/Svea Pietschmann)

Einer Krankenschwester ist es fast unangenehm, wie sehr sie in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" gefeiert wird. Und SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach warnt vor der Hoffnung, die Corona-Krise könnte bald vorbei sein.

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Yvonne Falckner rutscht einige Male irritiert auf ihrem Stuhl hin und her. Ihr ist anzumerken, dass ihr die plötzliche Wertschätzung für ihren Beruf als Krankenschwester zu drastisch daherkommt. Moderatorin Maybrit Illner überschüttet sie mit Lob. Erst ist Yvonne Falckner "systemrelevant", dann eine Heldin, am Ende mache sie "einen Mörderjob". Vermutlich wurde noch nie jemand in einer Talkshow derartig auf ein Heiligenpodest gehoben. Dass diese Anerkennung nun eine Krankenschwester erhält, verdeutlicht den Ernst der Lage.

Die ZDF-Talkshow beschäftigt sich, wie könnte es anders sein, mit der Coronavirus-Krise. Die Sendung trägt den Titel "Kampf gegen Corona - genug Geld, genug Kraft, genug Zeit?". Wer auf positive Antworten gehofft hat, der sollte danach mal wieder mit einem mulmigen Gefühl ins Bett gehen. Viel Grund zur Hoffnung auf ein schnelles Ende der Pandemie gibt die Runde nicht.

Dass es zu wenige Pflegekräfte gibt, weiß Deutschland schon seit Jahren. Nur wollte nie jemand ernsthaft dagegen etwas tun. Jetzt ist bisweilen Panik zu spüren, dass dieser Missstand in Corona-Zeiten schlimme Folgen haben könnte. Yvonne Falckner kann und will an diesem Abend nicht beschwichtigen, sie hat im Gegenteil einige Forderungen mitgebracht, die sie unter anderem mittels einer Petition auf der Internetplattform change.org auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zutragen will.

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Bis zu zehn Milliarden Euro Staatshilfe hat der Bund den Krankenhäusern indes zugesagt. Nadine Schmid-Pogarell bezweifelt, dass das reichen wird.

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Falckner sagt, das Klatschen der Menschen auf den Balkonen für die medizinischen Berufe sei schön, aber die Gesellschaft müsse sich jetzt dafür einsetzen, dass Pflegekräfte viel besser bezahlt werden. Dann würden viele der etwa 200 000 ausgebildeten Pflegerinnen, die in den vergangenen Jahren kündigten, sofort zurückkehren. SPD-Politiker Karl Lauterbach konkretisiert, der Bund müsse mehrere Hundert Euro im Monat auf den Lohn draufschlagen. Er unterstreicht das mit der Feststellung, dass in einem Krankenhaus niemand ein höheres Ansteckungsrisiko habe als die Pfleger. Ihm gegenüber sitzt FDP-Politiker Andrew Ullmann, der indes bei der Tarifautonomie bleiben will. Die Ärzteschaft habe vor einigen Jahren ja auch erfolgreich für höhere Löhne gestreikt. Ist das jetzt ein Streikaufruf für Pflegekräfte?

Die Unruhe in der Pflege ist nach Ansicht Falckners auch deshalb groß, weil etwa in der Ambulanz oder in den Alten- und Pflegeheimen Schutzausrüstung fehle. Sie nennt ihren Berufsstand deshalb martialisch "Kanonenfutter", weil soziale Distanz hier keine Option ist. Auch sei die Gefahr real, dass eine Pflegekraft das Virus in ein Seniorenheim trage, wo dann die größte Risikogruppe angesteckt werden könnte.

Wie schlimm es um die Verfügbarkeit von Schutzmaterial steht, verdeutlicht Hersteller und Großhändler Achim Theiler. Der Unternehmer redet sich in Rage, weil er schon am 5. Februar an Minister Spahn geschrieben habe, dass hier ein Problem aufziehe (worauf er nie eine Antwort erhalten habe). Denn quasi alles in diesem Bereich wird aus China bezogen, ausgerechnet aus dem Epizentrum Wuhan.

Das Erste von Corona betroffene Land hat früh die Lieferungen eingestellt. Inzwischen kosten Mundschutz oder Atemmasken zwanzig Mal mehr als vor der Krise. "Wir sind unglaublich schlecht vorbereitet, dabei hatten wir sechs Wochen Zeit", schimpft Theiler. Er bekommt Hilferufe von Kliniken oder Arztpraxen, er chartert aktuell Flugzeuge, um aus China wieder Material einzufliegen. "Es wird ganz, ganz knapp, es kommt jetzt gerade rein." Sein Lager sei leer, alles was reinkomme, gehe am gleichen Tag wieder raus. Theiler plädiert dafür, jetzt möglichst viel in Deutschland zu produzieren. Es würden Millionen Masken, Kittel, Overalls gebraucht.

Die Abhängigkeit von China oder Indien bei medizinischem Material oder Medikamenten halten inzwischen alle für ein Problem. Lauterbach warnt vor dem, was in wenigen Wochen passieren könne. Nämlich dann, wenn in den USA die Pandemie richtig ausbreche und die Amerikaner "den Markt mit ihrer massiven Geld- und Aktienpower leer kaufen wollen". Dann werde es noch schwieriger, an Material zu kommen.

Deutschland hat verschlafen

Es wird bei Maybrit Illner einmal mehr klar: Deutschland hat einiges verschlafen in der Vor-Corona-Zeit. Auch der kaum zu glaubende Umstand kommt zur Sprache, dass die Erkenntnisse aus einem Pandemie-Planspiel von 2013 unter der Aufsicht des Robert-Koch-Instituts offenbar niemanden interessiert haben. Der Erreger in dem Spiel? Ein Coronavirus. Woher? Aus Asien. Warum wurden die empfohlenen Maßnahmen nicht umgesetzt? "Der Plan war da, aber niemand fühlte sich nachher zuständig für die Umsetzung. Das ist das Problem", erklärt Lauterbach. Im Kompetenz-Wirrwarr des deutschen Gesundheitssystems sei das irgendwo versandet.

Der SPD-Gesundheitspolitiker ist der Stimmungskiller der Runde. Er warnt nicht zum ersten Mal davor, zu glauben, diese Viruskrise gehe bald vorbei. "Wir werden dieses Thema anderthalb Jahre nicht loswerden. Es wird massiv unterschätzt, wie lange das dauert", sagt er.

Dabei diskutieren Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jetzt schon über eine "Exit-Strategie", wann also das normale Leben wieder anlaufen kann. Auch hier macht Lauterbach wenig Hoffnung. Die Türen aufzumachen, Menschen mit kleinem Risikofaktor (jung und gesund) rauszulassen und sich praktisch vorsätzlich anzustecken, um anschließend gegen das Virus immun zu sein, halte er für extrem gefährlich. Niemand wisse derzeit, wie groß der Schaden auch bei denjenigen ist, die zwar überlebten, aber doch schwere Verläufe der Krankheit durchstehen müssten.

Gute Nachrichten muss der Zuschauer in diesen Corona-Talksendungen mit der Pinzette herausziehen. Die per Video dazu geschaltete Virologin Sandra Ciesek vom Uniklinikum Frankfurt hofft, dass die Forschung bald ein Medikament zur Linderung der Krankheit finden werde. Dass irgendwann ein Treffer dabei sei bei all den Labortests. Ein Impfstoff komme allerdings frühestens in einem Jahr.

Auch der zweite Video-Gast kann die Stimmung etwas aufhellen. Alexander Graf Lambsdorff, wie Ullmann FDP-Politiker, erholt sich gerade in seiner Wohnung in Berlin von einer Corona-Infektion. Er berichtet vom Schrecken der Diagnose, weil man ja nicht wisse, was da auf einen zukomme. Fieber, Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit hätten ihn dann getroffen. "Aber ich habe großes Glück gehabt", sagt Lambsdorff, denn schlimmer wurde es nicht. Eineinhalb Stunden vor der Sendung habe er erfahren, dass ein erneuter Test negativ gewesen sei. Wird das bestätigt, ist er geheilt. Seine Geschichte, dass Nachbarn für ihn eingekauft hätten während der Quarantäne, gibt der Sendung etwas Versöhnliches. Oder wie es Lambsdorff nennt: "Einen Silberstreif am Horizont" zwischen all den dunklen Nachrichten.

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