Das Herbsttreffen der Medienfrauen wirkt wie ein Paralleluniversum: nicht ein Mann, Podiumsdiskussionen mit hundertprozentiger Frauenquote, Workshops zu Solidarität und Digitalisierung. An der Garderobe hängen bunte Mäntel, die Herren- wurde zu einer zusätzlichen Damentoilette umfunktioniert.
Jedes Jahr treffen sich bei einer der ARD-Anstalten, bei ZDF, Deutschlandradio, Deutscher Welle oder ORF, die weiblichen Mitarbeiter dieser Sender. Der Bayerische Rundfunk war an diesem regnerischen Wochenende bereits zum vierten Mal Gastgeber des Herbsttreffens. Aber dieses Jahr ist anders. Es ist das Jahr nach "Me Too", nach den Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein, Dieter Wedel und gegen prominente Mitarbeiter des WDR. Es geht um die Frage: Was hat sich seit "Me Too" getan im öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Sexuelle Belästigung beim WDR:Eine 22-seitige Klatsche für Tom Buhrow
Der Abschlussbericht einer Untersuchung kritisiert das Machtgefälle im WDR: "Es ist nicht erkennbar, dass Vorgesetzte über den Schutz von Frauen nachgedacht hätten." Der Intendant kündigt Konsequenzen an.
In einer der Diskussionsrunden am ersten Abend referieren vier Gleichstellungsbeauftragte deshalb erst einmal die Maßnahmen ihrer Intendanzen. Beim RBB gibt es ein anonymes Hinweisgebersystem. Andere Sender haben neue Dienstvereinbarungen erstellt und nochmals bekannt gemacht, wohin sich Mitarbeiter wenden können, die sich belästigt oder diskriminiert fühlen. Fast überall wurden Seminare für Auszubildende, Volontäre und Führungskräfte konzipiert, hie und da wurden sie schon durchgeführt. Beim ZDF, heißt es, "mahlen die Mühlen langsam". Der NDR gilt mit seinen vielfältigen und sehr transparenten Maßnahmen als Vorbild. Und der WDR, bei dem prominente Fälle publik geworden sind? Der hat mittlerweile ein Eingabeportal für Feedback an die Vorgesetzten. 2019 soll es eine große Mitarbeiterbefragung zum Betriebsklima geben.
Das klingt erst einmal gut, so, als hätten die Intendanten der Öffentlich-Rechtlichen verstanden, dass sie die Probleme nicht wegschweigen oder mit ein paar strengen Worten von oben die Mitarbeiterinnen befrieden können. Aber ist das schon das ganze Bild? Am Ende der Podiumsdiskussion steht eine Redakteurin auf und sagt: "Wie hier geredet wird, das regt mich auf. Wo ist denn unser Empörungspotenzial?" Insgesamt habe sich sehr wenig getan in vielen Häusern. "Wir können es doch nicht ernsthaft als große Leistung anerkennen, wenn da jetzt ein Seminar für studentische Aushilfen angeboten wird."
Die "Saure Gurke" ging an ein sexistisches ZDF-Interview mit Wimbledon-Siegerin Kerber
Diese Kritik mag nicht auf jeden Sender zutreffen. "Meine Intendantin hat sehr schnell gehandelt, als die Debatte begann. Sie hat mir das nötige Standing gegeben, damit ich richtig gegen das Problem vorgehen konnte", sagt RBB-Gleichstellungsbeauftragte Lydia Lange. "Vor 'Me Too' war sexuelle Belästigung so gut wie gar kein Thema in meinen Sprechstunden, jetzt ist das anders." Doch, fügt Lange an, die Frauen "schämen sich immer noch unglaublich, wenn ihnen so etwas passiert, und haben Angst, als zickig zu gelten, wenn sie damit zur Gleichstellungsbeauftragten gehen."
Und doch: Wer sich umhört, in der Kaffeeschlange und in den Workshop-Pausen, erfährt, dass viele Frauen einen zwiespältigen Eindruck von den Fortschritten in ihren Häusern haben. Willensbekundungen und Null-Toleranz-Ansagen kamen von der Intendanz, und dass überhaupt über das Thema gesprochen werde, sehen alle als Fortschritt. Doch von da an unterscheidet sich die Wahrnehmung der Maßnahmen erheblich. Eine Radioredakteurin kommt gerade aus einem Workshop, in dem sich alle auf einer Skala von eins für "Das Thema sexuelle Belästigung wird bei uns nicht thematisiert" bis zehn "Bei uns hat sich alles verändert" aufstellen sollten. "Wir standen auf alle Punkte verteilt", sagt sie. "Sogar drei Kolleginnen vom selben Sender haben sich zwischen Punkt drei und neun aufgestellt."
Spricht man nicht über "Me Too", sondern über Gleichstellung, wird das Bild noch trister: "Gegen subtilen Sexismus kommen Sie nicht mit Gesetzen an", sagt Dorothea Hartz, Frauenbeauftragte bei Radio Bremen, "da braucht es einen Kulturwandel." Sie fürchtet den Rückfall in alte Rollenmuster: "Wenn ich mir unsere Junge Welle ansehe - da moderieren fast nur Jungs mit coolem Käppi und reden über Sex mit der Ex. In den Moderationen sind plötzlich wieder Inhalte möglich, das hätte ich vor ein paar Jahren nicht geglaubt."
Inhalte wie jener, für den ZDF-Sportreporter Martin Wolff die "Saure Gurke" bekommt: In einem Interview mit Wimbledon-Siegerin Angelique Kerber habe er im Juli deren "sportliche Leistung kaum gewürdigt, aber ihr Flirtverhalten ausgiebig seziert", heißt es zur Begründung. Wolff hat sich, bislang keineswegs selbstverständlich, für den "Fehlgriff" entschuldigt.
Noch voriges Jahr hat ZDF-Moderator Claus Kleber den Negativpreis abgelehnt. Vielleicht mischt sich nicht zuletzt deshalb unter die Anklänge von Resignation in viele Gespräche auf dem Herbsttreffen auch Zuversicht. Weil es nach der "Me Too"-Debatte kein Zurück mehr zu geben scheint. Auch für die Männer nicht. "Bei denen spüre ich eine große Verunsicherung", sagt Dorothea Hartz. "Manche kommen zu mir und fragen, was sie denn jetzt noch dürfen. Aber diese Verunsicherung finde ich gut. Sie ist der erste Schritt dahin, sich in jemand anderen hineinzuversetzen."