"Anne Will" zu Sondierungsgesprächen:Röttgen dribbelt sich fest

Lesezeit: 2 min

Der Wahlausgang sorgt in der TV-Runde von Anne Will für eine interessante Konstellation. (Foto: NDR/Wolfgang Borrs; NDR/Wolfgang Borrs/NDR/Wolfgang Borrs)

In der TV-Runde bei Anne Will reden drei Parteivertreter freundlich übereinander. Der vierte muss den desolaten Zustand der Union bemänteln. Das geht schief.

Von Peter Fahrenholz, München

Was so ein Wahlausgang doch bewirken kann: Grüne und FDP, die über viele Jahre ihre gegenseitige Abneigung kultiviert haben, suchen plötzlich freudig nach Gemeinsamkeiten. In der SPD, die eben noch am Boden lag, will der knochentrockene Olaf Scholz nicht nur als Kanzler möglichst Helmut-Schmidt-mäßig regieren, sondern dabei auch noch Zuneigung zwischen allen Partnern erzeugen. Und die Union, die einen Höllensturz erlebt hat, versucht verzweifelt, den schmalen Türspalt für eine Jamaika-Koalition offen zu halten, obwohl sie sich gerade auf offener Bühne zerlegt. Im Englischen gibt es dafür einen treffenden Ausdruck: hoping against hope.

Eine interessante Konstellation also für die TV-Runde von Anne Will, jenseits der alten politischen Schlachtordnungen, die man als Zuschauer längst dicke hat. Was man beobachten kann: Das mit der Zuneigung klappt zwischen Grünen und FDP schon ganz gut, noch sind es zarte Knospen, aber die Aussicht, schon bald eine "progressive Regierung" zu bilden, scheint beide Seiten zu euphorisieren.

Klar, dass der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz seine Vorliebe für eine Ampel ziemlich deutlich zu erkennen gibt, das ist nicht weiter überraschend. Interessanter dagegen ist, wie der FDP-Mann Otto Fricke gewissermaßen millimeterweise den Abstand zum Lieblingspartner Union vergrößert. Für ihn sei nicht die Frage "Mit wem?" entscheidend, sondern auf welche Inhalte man sich einige. Sicher sei es mit der Union leichter, "aber das bedeutet nicht, dass am Ende das bessere Ergebnis herauskommt". So richtig nach Zuneigung hört sich das nicht mehr an.

SZ PlusSPD und Grüne
:Nur keine Überheblichkeit

Die Grünen gehen demonstrativ entspannt in die Gespräche mit der SPD. Sie wollen es den Sozialdemokraten nicht zu leicht machen - auch weil sie Olaf Scholz als Verhandler fürchten.

Von Constanze von Bullion, Peter Burghardt und Mike Szymanski

Manuela Schwesig, die für die SPD in Mecklenburg-Vorpommern gerade einen riesigen Wahlsieg eingefahren hat, will über die Größe der Unterschiede, die ihr Anne Will mit dem unangenehmen Stichwort "Nord Stream 2" serviert, gar nicht reden, sondern lieber darüber, dass es nach dem Wählervotum jetzt eben darauf ankomme, über Gemeinsamkeiten zu sprechen. Und ganz entscheidend für eine Koalition sei "Verlässlichkeit". Die bietet in ihren Augen natürlich nur Olaf Scholz.

Den schwierigsten Part hat in dieser Runde mit drei Wahlgewinnern naturgemäß der große Verlierer. Für die Union ist Norbert Röttgen gekommen, was in dieser Lage im Prinzip eine gute Idee ist. Denn Röttgen kann reden, wie Jamal Musiala Fußball spielt - wenn es gut geht, schlängelt er sich elegant an den Problemen vorbei. Aber so wie Jamal Musiala hängen bleibt, wenn ihm zu viele Gegenspieler den Weg versperren, geht es auch Norbert Röttgen. Die Probleme sind einfach zu groß, als dass er an ihnen vorbeikäme.

Auch für so einen silberzüngigen Redner wie Röttgen ist es unmöglich, die Widersprüche im Verhalten seiner Partei irgendwie wegzumoderieren. Einerseits habe die Union einen "Runderneuerungsbedarf", um ihren Status als Volkspartei zu erhalten. Andererseits müsse man aber auch gesprächsfähig bleiben, weil ja auch Grüne und FDP diese Gesprächsbereitschaft in Richtung Union erklärt hätten. Und dies, so Röttgens Logik, gehe eben nur mit dem gewählten Personal.

Anne Will lässt an dieser Stelle brutal das Bein stehen, wie man das im Fußball nennen würde. "Wollen Sie, dass Armin Laschet Kanzler wird?", will sie von Röttgen wissen. An dieser Stelle dribbelt sich Röttgen endgültig fest. Erst müsse man in den Gesprächen Gemeinsamkeiten finden, "und dann kommen am Ende die Personalfragen". Auf den Gesichtern von Fricke und Notz liegt ein amüsiertes Lächeln, das eindeutig eine mitleidige Note hat. Einzig Manuela Schwesig fährt kurz aus der Haut. "Was Sie hier erzählen, ist ein ganz großer Witz in Tüten", fährt sie Röttgen an.

Als Röttgen dann wenig später auch bei der Frage rumeiert, ob Laschet noch am Wahlabend hätte zurücktreten müssen, hält ihm Notz das entgegen, was so ziemlich für jeden offenkundig ist: "Es gibt einen eisenharten Machtkampf in Ihrem Laden." Und wer den am Ende gewinnt, ist im Moment völlig unabsehbar. Das weiß auch Norbert Röttgen, der selber heftig mitkämpft.

Peter Fahrenholz wünscht sich, dass Talkshows nicht immer dieselben Gäste einladen. Denn politische Diskussionen brauchen spannende Argumente statt altbekannter Standpunkte. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Anne Will zur Bundestagswahl
:Mehr Punkrock wagen

Die Wahl war ein Fest der Demokratie - jetzt aber geht das große Zittern los. Nervenkitzel pur bei "Anne Will". Aber den Tango tanzen diesmal nicht die Großen miteinander.

TV-Kritik von Julia Werner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: