Acht Jahre ist es her, dass der private Fernsehsender Pro Sieben das erste Mal in einem Bundestagswahlkampf gehörig von sich reden machte. Zum TV-Duell der Kandidaten Merkel und Steinbrück schickten die übrigen Sender ihre etablierten Rang-und-Namen-Fachkräfte, Pro Sieben schickte den Unterhalter und gelernten Metzger Stefan Raab - und dieser Raab wurde zum gar nicht mal so heimlichen Gewinner des Abends. Er blieb lebensecht in Körpersprache und Wortwahl, er trat auf ohne jede Scheu, und er fand für das Kanzleramt eine klangvolle Umschreibung, die noch heute frisch und saftig in der Auslage liegt: King of Kotelett.
Am Montagabend nun war mit Annalena Baerbock eine Frau bei Pro Sieben zu Gast, die ihrerseits Queen of Bio-Kotelett werden möchte, Kanzlerin einer von den Grünen geführten Bundesrepublik Deutschland. Es war das erste längere Interview, das Baerbock einem Fernsehsender gab, nachdem sie und der Co-Vorsitzende Robert Habeck am Montagvormittag bekannt gegeben hatten, wer Kanzlerkandidatin der Grünen werden solle. Ein politisches Exklusivinterview, auf Pro Sieben - ein Coup, natürlich. Nur, für wen eigentlich?
Was die Grünen bei diesem Deal bekommen haben, ist als Mediawert selbst in Fantasiezahlen kaum zu erfassen. Bekommen haben die Grünen 45 Minuten unbezahlte Primetime in einem immer noch wichtigen Fernsehkanal. Bekommen haben sie damit auch die Zielgruppen des Senders, in welche vorzudringen sonst enorm schwer fallen dürfte, ohne dabei jedoch etwas zu verlieren.
Bekommen haben die Grünen nicht zuletzt ein schönes Handicapmatch, weil die Interviewer Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke es in kaum einer Sekunde vermochten, Baerbock inhaltlich zu stellen. Fazit aus Sicht der Grünen: extrem smarter Schachzug, we love to politain you, netter Fernsehsender, gerne wieder!
Pro Sieben überzeugt formal, aber nicht mit den Moderatoren
Was wiederum Pro Sieben nicht hinbekommen hat, ist, aus dieser Chance mehr zu machen als ein bisschen Oberflächenpolitur. Das Engagement des Senders im Ernsthaften ist inzwischen beglaubigt, er fällt immer wieder auf mit besonderen Programmfenstern wie " Männerwelten" oder zuletzt jenem zur Notsituation der Pflege in Deutschland.
Am Montag aber fehlte es den Moderatoren, und fehlte es vor allem Katrin Bauerfeind, an etwas, woran es Stefan Raab seinerzeit eben nicht fehlte. Während Raab von so etwas wie aufrichtigem Erkenntnisinteresse und ehrlicher Empörung angetrieben agierte, schien es am Montag, als interessierten sich die Moderatoren eher für ihre Fragen als für die Antworten Baerbocks. Als wollten sie Themen einfach nur ansprechen, so wie man in China als Politikerin immer "die Menschenrechte ansprechen" soll, statt sich mit Inhalten wirklich auseinandersetzen zu wollen.
Ob Baerbock "der Arsch auf Grundeis" gehe bei dem Gedanken, Verantwortung für 83 Millionen Menschen zu übernehmen, fragte Bauerfeind. Sie drängte sich auch sonst in den Kategorien Wortwahl und Redeanteile weiter nach vorne, als für das Format gut gewesen wäre. "Ist Putin ein Mörder?", fragte Mischke.
Die Idee war vielleicht gut, aber man sehnte sich bei solcher Unbedarftheit dann selbst als wohlwollender Zuschauer doch fast wieder in das grotesk graue, grotesk hässliche Studio des öffentlich-rechtlichen Formats "Farbe bekennen" (sic!) zurück. Spätestens tat man dies am Ende, als Bauerfeind ("Das war toll!") und Mischke der grünen Co-Vorsitzenden tatsächlich auch noch applaudierten.
Dass Pro Sieben formal einmal mehr überzeugte, etwa mit der Simultanübersetzung in Gebärdensprache wie auch mit dem großzügigen und gelassenen Setting, fiel da letztlich weniger ins Gewicht. So leicht, wie es Annalena Baerbock bei Pro Sieben hatte, gefühlt Tausende "Einladungen" auszusprechen, die Grünen zu wählen, wird sie es in den Monaten bis zur Wahl nicht häufig haben.