Trennungsfolgen:Mein Leben ohne meine Kinder

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In neun von zehn Fällen bleiben die Kinder nach einer Trennung bei der Mutter. Wie ist es für die Frau, wenn sie zum Vater wollen?

Von Lars Langenau

Mehr als 2,7 Millionen alleinerziehende Mütter und Väter gibt es dem Statistischen Bundesamt zufolge in Deutschland. 1,6 Millionen von ihnen versorgen laut dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter 2,3 Millionen minderjährige Kinder. In neun von zehn Fällen leben die Kinder bei der Mutter. So standen 2014 1,5 Millionen alleinerziehenden Müttern mit kleinen Kindern nur 180 000 alleinerziehende Väter gegenüber. Natürlich gibt es immer zwei Seiten der Wahrnehmung. Hier schildert eine Mutter ihre ganz persönliche Sicht auf die Dinge.

"Kürzlich hörte ich im Radio folgendes Zitat aus einer Todesanzeige: 'Für die Welt war sie niemand, für mich war sie die Welt.' Diese Worte stammen von einem Sohn, der seine Mutter verloren hat. Sie haben mich tief berührt. Ich hatte das Gefühl, dass diese Worte für mich gesprochen waren. Wer wird jemals so etwas über mich schreiben?

Der Satz bringt zum Ausdruck, wie intensiv eine Beziehung zu Müttern sein kann. Jeder von uns hat eine ganz eigene Beziehung zu seiner Mutter. Und jede Frau, die Mutter ist, weiß um das einmalige Verhältnis zu diesem Wesen, das neun Monate lang in ihrem Leib war. Selbst wenn sich die Wege trennen oder ein Streit sie entzweit, bleiben sie mit einem unsichtbaren Band miteinander verbunden.

Ich lebe seit nunmehr zwei Jahren in einem Dorf im Schwarzwald. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich angekommen und spüre neue Lebensenergie. Immer wieder frage ich mich, was genau diese innere Stärke ist, die wächst und sich entfaltet? Wie habe ich es geschafft, nach so viel Leid, Enttäuschung, Verachtung und Demütigung wieder zu mir selbst zu finden?

Seit fünf Jahren lebe ich ohne meine Kinder. Mein damaliger Mann und ich führten zusammen ein kleines Unternehmen. In diesen vierzehn Jahren brachte ich zwei Kinder zur Welt. Alles lief gut. Wir teilten uns den Arbeitsplatz und die Zeit für unseren Nachwuchs. Nach außen stellten wir wohl eine 'Bilderbuchfamilie' dar. Dann änderte sich alles.

Unsere gemeinsame Zeit im Unternehmen war abgelaufen. Es gab Spannungen. Probleme wurden mit nach Hause genommen, aber auch dort nicht gelöst. Es wurde immer schwieriger, die Spannungen im Beruf beeinträchtigten schließlich immer stärker unser Privatleben. Ich machte eine Ausbildung zum Coach, auch um das Unternehmen umzustrukturieren. Doch mein Mann wollte, dass alles so bleibt, wie es war. Ich fühlte mich ausgegrenzt, empfand das Verhalten meines Mannes als problematisch, weil er hinter meinem Rücken Vereinbarungen traf, die ich nicht wollte.

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Vier Jahre habe ich die Entscheidung hinausgezögert. Letztendlich habe ich dann aber beruflich die Reißleine gezogen, weil ich gewisse Dinge nicht mehr akzeptieren, verantworten und aushalten konnte.

Nach der Trennung erfuhr ich von meinem Exmann, dass er eigentlich nie wollte, dass ich mit im Unternehmen arbeite. Mir wurde klar, warum er mir das Leben so schwer gemacht hatte: Er hatte mich als Geschäftspartner nie akzeptiert. Ich stieg aus dem Unternehmen aus und auch die privaten Spannungen nahmen zu. Ein Jahr später ließen wir uns scheiden. Die Konsequenzen waren nicht vorhersehbar.

Zunächst wohnte ich mit den Kindern noch eineinhalb Jahre in unserem gemeinsamen Haus. Mein Ex-Partner suchte sich eine eigene Wohnung am selben Ort. Bis dahin hatten die Kinder die Wochenenden bei ihm verbracht. Sie gewöhnten sich an die Situation und sahen ihren Vater regelmäßig, wie Zehntausende anderer Scheidungskinder auch.

Der Vater meiner Kinder regelte meinen Abschied aus der Firma kühl, nach dem letzten Notartermin verabschiedete er sich höflich bei mir. Ich war entsetzt und sprachlos über dieses Verhalten.

Ich wurde arbeitslos, Perspektiven hatte ich keine. Zu lange war ich aus meinem Beruf als medizinische Fachangestellte raus. Schließlich plante ich den Umzug mit den Kindern, die damals neun und zwölf Jahre alt waren. Ich besann mich auf einen alten Wunsch: Rückkehr in meine alte Heimat. Um dem Vater gegenüber fair zu bleiben, teilte ich ihm meine Entscheidung ein halbes Jahr zuvor mit.

Alles verlief normal, bis ich feststellte, dass sich meine Kinder veränderten. Sie verhielten sich mir gegenüber immer aggressiver. Mein Ex-Partner versuchte in seinem Sinne Einfluss auf die Kinder zu nehmen, um zu verhindern, dass sie mit mir umziehen. Ich war verunsichert, doch wir waren nicht in der Lage, offen über die Situation zu sprechen. Viele seiner Aktionen empfand ich als hinterhältig, doch sie erfüllten ihren Zweck. Denn der Entfremdungsprozess vollzog sich schleichend.

Ich hatte das Gefühl, dass sich bei ihm Angst, Panik und Rache vermischten und er deshalb begann, die Kinder gegen mich aufzuhetzen. Sie wurden wie im Kaukasischen Kreidekreis zwischen uns beiden hin und her gezerrt. Letztendlich überforderte mich der ganze Entfremdungsprozesses hoffungslos, weil ich lange nicht loslassen konnte, so sehr ich mich bemühte.

Vom Vater wurde ich als psychisch krank dargestellt. Und wer will schon mit einer kranken Mutter zusammen sein? Das Drama gipfelte vor Gericht: Dem Vater wurden die Kinder zugesprochen, weil 'das Wohle der Kinder' größer sei, wenn sie in ihrer häuslichen Umgebung blieben, als wenn sie mit der Mutter wegzögen.

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Das Urteil war niederschmetternd. Er bekam das Aufenthalts- und Bestimmungsrecht für die Kinder. Ich brach zusammen. Doch das interessierte niemanden. Ich hatte das Gefühl, dass mit dem Urteil meine Glaubwürdigkeit als Mutter in Frage gestellt wurde. Ich fürchtete, dass man mir unterstellte, dass ich meinen Kindern etwas Schlimmes angetan habe, weil sie mir nicht zugesprochen wurden. Ich kam mir vor wie 'gebrandmarkt'. Dementsprechend fühlte ich mich: leer, ausgebrannt, alleine, verzweifelt, traurig, am Boden. Ich war da, wo 'Mann' mich haben wollte. Ich hatte verloren, für immer. Das musste ich erst einmal realisieren.

Im Vorfeld waren meine Kinder beim Jugendamt befragt worden, bei wem sie leben wollten. Sie entschieden sich, beim Vater zu bleiben. Das war äußerst schmerzhaft, aber ich legte keine Rechtsmittel ein, weil ich meinen Kindern und mir diesen Kraftakt ersparen wollte.

Ich suchte mir eine Wohnung im Ort. Doch nach einiger Zeit begriff ich, dass ich hier keine Chance hatte, mir eine Existenz aufzubauen. Ich zog ohne meine Kinder weg und fand an dem neuen Ort auch einen Job.

Die Zeit ohne meine Kinder in einer großen Wohnung mit eingerichteten Kinderzimmern war grausam für mich. Ich geriet in eine tiefe Krise, wusste weder ein noch aus. Ich fühlte mich alleingelassen. Zwar hatte ich ein paar Freunde und Bekannte, doch ohne meine Kinder erschien mir mein Leben sinnlos. Selbst das Umgangsrecht wurde nicht eingehalten. Die Begründungen: 'Die Kinder haben keine Lust, dich zu besuchen', 'die Reise ist zu lang' oder 'bei dir ist es langweilig'.

Der Kontakt brach zusehends ab. Ich kann mir vorstellen, dass es ihnen genauso schlecht ging wie mir, doch leider schenkten sie nur ihrem Vater Glauben. Die Ferienzeiten wurden vom Vater so inszeniert, dass die Kinder nur kurz bei mir sein konnten. Anrufe wurden entweder gar nicht angenommen oder in Gesprächen nur mit ja oder nein geantwortet. Was hatte ich falsch gemacht? Was ging hier vor? Meine Kinder waren noch in unregelmäßigen Abständen bei mir, doch ich spürte, dass sie das eigentlich gar nicht mehr wollten. Während der Zeit habe ich meine Kinder sieben Tage im Jahr gesehen. Diese Wunde wird wohl nie richtig heilen.

Als sich das Verhältnis zu meinen Kindern während der vier Jahre in einem anderen Bundesland nicht verbesserte, entschloss ich mich, noch einmal mein Leben zu verändern: Ich zog zu meinem neuen Partner in den 300 Kilometer entfernten Schwarzwald. Seit ich hier lebe, geht es mir in vielen Bereichen meines Lebens besser. Ich akzeptiere die Entscheidung meiner Kinder, mich zu besuchen, wann sie es möchten. Sie waren bisher einmal hier. Mir ist es wichtig, dass die Kinder in Ruhe ihren Weg finden. Ich habe mich zurückgezogen, weil ich erkannt habe, dass sie ihr Leben auch ohne mich meistern und habe es mir zur Aufgabe gemacht, für sie da zu sein, wann immer sie mich brauchen.

Ich erlebte während der vergangenen fünf Jahre eine Metamorphose. Es gibt zwei Möglichkeiten: Zu verzweifeln oder aufzustehen und weiterzugehen. Dieser Weg kostet enorm viel Kraft. Der Vorteil, der daraus entstehen kann ist: Die Kraft aus der Krise in das neue Leben zu integrieren. Dieser Wachstumsprozess hat bei mir genauso stattgefunden wie bei den Kindern.

Jeder ist auf seine Art und Weise gestärkt daraus hervorgegangen. Ich bin zweimal nach der Trennung von meinen Kindern umgezogen, musste mich neu anpassen und habe nach Chancen gesucht. Ich bin neuen Herausforderungen entgegengetreten und habe mich nicht aufgegeben. Trotz alledem fehlen mir meine Kinder immer wieder.

Nicht aufgeben, aber akzeptieren, was geschehen ist: Akzeptanz ist ein ganz wichtiger Ansatz, um zu überleben. Sich bewusst werden, dass innere Stärke erst dann entsteht, wenn man sein Schicksal akzeptiert. Das alles geht, wenn Trauerphasen überstanden und gelebt wurden. Wenn das innere Empfinden nicht mit Alkohol, Drogen oder anderen Süchten betäubt wird. Hirnstrukturen werden neu formiert, wenn man ganz tief unten war. Ich musste erst durch das Tal gehen, damit sich die Struktur meines Gehirns verändern konnte.

Ich habe mich damit versöhnt, dass es so ist, wie es ist

Ich lernte, auf meine innere Stimme zu hören, mir selbst zu vertrauen, mich aus alten Mustern zu lösen und Geduld zu üben.

Inzwischen bin ich eine andere Frau. Eine ohne ihre Kinder, die zwar weiß, dass sie eine Mutter ist, doch dieses Leben mit ihren Kindern nie mehr leben kann. Mein kleines Dorf, mein Beruf als Coach und Trainerin für Pilates und mein Partner haben mir geholfen, zu mir zurückzufinden. Inzwischen pflege ich regelmäßigen Kontakt zu meinen Kindern. Ich habe mich damit versöhnt, dass es so ist, wie es ist.

Mein Sohn ist jetzt 18 Jahre alt. Er versteht langsam, was passiert ist. Er sagt und schreibt mir, dass er mich lieb hat, ich glaube ihm, fühle mich verstanden. Doch ändern können wir an den verlorenen Jahren nichts mehr. Vor ein paar Wochen hatte meine inzwischen 14 Jahre alte Tochter ein Fest. Sie wollte mich dabeihaben. Am Ende war es eine schöne Familienfeier.

Ich bin stolz auf mich, auf mein Durchhaltevermögen. Ich wünsche mir einmal für das Ende meines Lebens, dass ich bis dahin friedvoll und gesund leben darf und meine Kinder einmal sagen können: 'Für die Welt war sie niemand, aber für uns war sie die Welt.'"

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Die Protagonistin ist 53 Jahre alt und möchte anonym bleiben.

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