Dem Geheimnis auf der Spur:Das Ende der "Tamaris"

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Die "Tamaris" lief am 9. März 1887 im südlichen Indischen Ozean vor der Pinguin-Insel auf ein Riff auf und zerbrach. Die Mannschaft schaffte es später auf die größere Schweineinsel, ganz im Westen. (Foto: mauritius images / Alamy Stock)

Im Jahr 1887 verschwand der französische Dreimaster spurlos, bis ein Albatros die Retter auf die Spur des Schiffes führte.

Von Rudolf von Bitter

Ende des 19. Jahrhunderts war es nichts Besonderes mehr, wenn ein Frachtschiff von Europa bis in den Südpazifik segelte. Dementsprechend legte die Tamaris, ein Dreimast-Klipper von 48 Metern Länge und einer Tragfähigkeit von 463 Tonnen, am 28. November 1886 mit zwölf Mann Besatzung unter Kapitän Majou in Bordeaux ab. Das Schiff sollte Material für Bau und Landwirtschaft nach Nouméa liefern, der Hauptstadt des französischen Überseegebietes Neukaledonien, das östlich von Australien liegt. Im März des folgenden Jahres würde das Schiff am Zielhafen eingetroffen sein, und bis Juni wäre es wieder zurück. So weit die Seemanns-Routine. Als der Segler aber im August noch immer nicht am Ziel war, meldete Lloyd's Register den Verlust der Tamaris. Der Dreimaster war wohl mit Mann und Maus gesunken.

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Damit könnte diese tragische Geschichte schon enden. Aber dann wurde am Strand bei Fremantle an der Westküste Australiens ein toter Albatros entdeckt. Um den Hals trug er ein blechernes Band, in das eine Botschaft eingestanzt war. Die State Library of Western Australia hat sie ins Netz gestellt: "13 Schiffbrüchige haben auf den Crozet-Inseln Zuflucht gefunden. 4. August 1887", und hält fest: "Toter Albatros, aufgefunden am North Beach am 20. September 1887 mit einem Blechband um den Hals mit der zitierten Botschaft."

Der Vogel musste mit der Botschaft mehr als 6000 Kilometer zurückgelegt haben

In den Details weisen die Berichte über die Tamaris Unterschiede auf. Mal sind es Spaziergänger, mal ist es ein junger Mann, der auf den toten Albatros stößt. Dann finden ihn die einen am 25. September 1887, andere drei Tage vorher. Sogar der Tag der Abfahrt von Bordeaux, am 28. November oder 3. Dezember sowie das Datum auf dem Blechband variieren, einmal 11., einmal 4. August, und manche Berichterstatter haben der Botschaft noch ein "Hilfe, um Gottes willen!" angefügt.

Der Albatros war wohl mehr als sechs Wochen unterwegs, bis er an den Strand kam, und muss dabei mehr als 6000 Kilometer zurückgelegt haben. Aber wie gelang es den Überlebenden überhaupt, diesem stolzen Vogel, der mit seinen drei Metern Spannweite anstrengungslos über den Wassern zu schweben scheint, das Blechband einer geleerten Konservendose um den Hals zu hängen?

In "Brehms Tierleben" von 1893 wird zwar auch von der Flugeleganz des Vogels geschwärmt, und er schwimme "auf den Wellen leicht wie Kork und weiß sich ziemlich schnell zu fördern". Aber dann folgt: "Der Grund, der den Albatros bewegt, so ausgedehnte Strecken zu durchfliegen und weitaus den größten Teil seines Lebens in der Luft zu verbringen, ist sein unersättlicher Heißhunger. Seine Verdauung ist ungemein schnell, er deshalb auch genötigt, beständig nach Beute zu suchen." Auf festem Boden sei es aber mit der Bewegungsfähigkeit vorbei. "Der auf das Verdeck gebrachte Vogel ist vollkommen hilflos und lässt sich im Bewusstsein seiner Schwäche unglaublich viel gefallen, beißt aber doch zuweilen heftig um sich." Also war es nicht weiter schwer, einen Albatros einzufangen und ihm ein Blechband zu verpassen.

Das französische Konsulat in Perth wurde informiert, dann die Regierung in Paris. Schließlich machte sich am 18. November, zwei Monate nach dem Fund, der Marine-Aufklärer Meurthe unter Kapitän Frédéric Richard-Foy vom Stützpunkt Diego Suarez aus, im Norden Madagaskars, auf die Suche. Über die Fahrt der Tamaris bleiben allerdings vor allem Mutmaßungen. Das Schiff hielt nach der Umrundung Afrikas wohl weiter nach Süden, um den Passat der Westwindzone des 40. Breitengrades zu erreichen. So befand es sich mehr als 13 Wochen im Herzen des Indischen Ozeans, möglicherweise auf südlicherem Kurs, als der Kapitän geschätzt hatte, mutmaßt Vincent Groizeleau auf der Webseite Mer et Marine.

Ein Suchtrupp stieß auf der Schweineinsel auf eine verfallene Hütte

Kapitän Frédéric Richard-Foy erreichte mit seinem Schiff am 1. Dezember 1887 die Crozet-Inseln und die Île aux Cochons, die "Schweineinsel". Dort landete ein Suchtrupp und stieß tatsächlich auf Hinterlassenschaften der Schiffbrüchigen, eine verfallene Hütte und in einer Kiste eine Botschaft von Kapitän Majou. Daraus ging hervor, dass die Tamaris am 9. März 1887 bei dichtem Nebel vor der Pinguin-Insel auf ein Riff aufgelaufen und zerbrochen war. Die Insel, fast 350 Meter hoch bei vier Kilometer Länge und knapp zwei Kilometer Breite, taufte ihr Entdecker die "Unzugängliche Insel", Île Inaccessible. Die Tamaris sank, aber die Mannschaft war gerettet und nahm Kurs auf die größere Schweineinsel, 40 Kilometer entfernt. Außerdem wusste Kapitän Majou, so Mer et Marine, "dass ein englisches Schiff, die Comus, acht Jahre zuvor gekommen war, um Lebensmittel für mögliche schiffbrüchige Robbenfänger zu deponieren, die diese Inseln häufig aufsuchten".

Zwei Tage später, mit wenig Wasser und 150 Kilogramm Schiffszwieback erreichten die Schiffbrüchigen die Schweineinsel. Dort überlebten sie à la Robinson Crusoe bis zum 30. September, vermerkt die Webseite Escales Maritimes. Sie schickten den Albatros los und scheinen untereinander friedlich gewesen zu sein. Kapitän Majous letzte Notiz lautet: "30. September; unsere Vorräte sind erschöpft, wir brechen auf zur Île de la Possession." Wohl in der Hoffnung, dort ein weiteres Lebensmitteldepot für Schiffbrüchige zu finden. Außerdem gab es auf dieser Insel mehr Schiffsverkehr. Doch am 3. Dezember 1887 sah Leutnant Richard-Foy, der zur Île de la Possession weitergefahren war, dass das dortige Proviantlager intakt war und von Schiffbrüchigen keine Spur. Die Männer der Tamaris haben ihr Ziel also nicht erreicht. Eine Gedenktafel an der Kapelle der subantarktischen Forschungsstation Port Alfred auf der Île de la Possession trägt heute die Namen der Vermissten.

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