Kolumne: Vor Gericht:Zwei Mal Opfer

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Ein Obdachloser in einer Bushaltestelle in der Innenstadt in Berlin (Symbolbild). (Foto: Regina Schmeken)

Ein Obdachloser wird von einem Supermarktleiter zu Tode geprügelt. Doch als ein Platz nach ihm benannt werden soll, regt sich Widerstand.

Von Verena Mayer

Wenn Straßen nach jemandem benannt oder umbenannt werden, löst das oft Aufregung aus. Es gibt Petitionen dafür oder dagegen, Leute ziehen vor Gericht. Und manchmal wird ein Opfer noch ein zweites Mal zum Opfer. So war es in Berlin, als der Bezirk Lichtenberg beschloss, dass der bis heute namenlose Bahnhofsvorplatz in Zukunft Eugeniu-Botnari-Platz heißen soll.

Ich saß 2017 in dem Prozess, in dem es um Eugeniu Botnari ging. Angeklagt war der Chef des Supermarkts am Bahnhof Lichtenberg. Der hatte ein Problem, das viele Filialleiter haben: In seinem Laden wurde regelmäßig geklaut. Doch der 29-Jährige verstärkte nicht die Sicherheitsvorkehrungen oder holte die Polizei. Er führte die Ladendiebe ins Getränkelager und schlug sie dort zusammen.

Es habe in dem Supermarkt ein regelrechtes System der Selbstjustiz gegeben, erzählten Zeugen. Nicht nur, dass der Supermarktchef die Diebe nach eigener Aussage "belehren" wollte. Seine Mitarbeiter fühlten sich auch ermutigt, es ihm gleichzutun. Am Lieferanteneingang klebte Blut, einem Mann sollen die Zähne ausgeschlagen worden sein.

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Eugeniu Botnari war 2015 aus Moldau gekommen, um in Berlin als Hilfsarbeiter auf dem Bau zu arbeiten. Doch er trank zu viel, erschien nicht zur Arbeit und landete irgendwann auf der Straße. Ein Freund fand ihn dort und redete ein ernstes Wort mit ihm, wie er vor Gericht erzählte. Er lud Botnari ein, bei ihm und seiner Familie zu wohnen. Botnari wollte noch im Supermarkt eine Flasche Weinbrand besorgen. Um nicht mit leeren Händen zu erscheinen.

Bis heute ist nicht ganz klar, ob Botnari die Flasche wirklich gestohlen hat. Fest steht jedoch, was mit ihm passierte. Der Supermarktchef verprügelte ihn. Er trug dabei mit Sand verstärkte Handschuhe, die eine ähnliche Wirkung haben wie ein Schlagring. Danach sicherte er Bilder aus der Überwachungskamera, die ihn beim Prügeln zeigen, und verschickte sie per Whatsapp an Kollegen. Dazu schrieb er Bemerkungen wie "Guten Appetit, Moldawien" oder "Zu Gast in Deutschland". Eugeniu Botnari schaffte es noch, sich zum Arzt zu schleppen. Wenig später starb er an einem Schädel-Hirn-Trauma.

Der Supermarktleiter kam mit drei Jahren und drei Monaten Haft davon. Um Eugeniu Botnari entzündete sich hingegen eine fünf Jahre lange politische Diskussion. Mehrere Initiativen hatten vorgeschlagen, den Bahnhofsvorplatz nach ihm zu benennen, weil er ein Opfer rechter Gewalt geworden war, Anfang des Jahres wurde aus diesen Vorschlägen ein Beschluss. Doch das stieß auf Widerstand. "Lichtenberg benennt Platz nach totem Ladendieb!", empörte sich eine Berliner Boulevardzeitung. "Sich illegal in Deutschland aufzuhalten und Straftaten zu begehen, ist keine Lebensleistung, die geehrt werden müsste", sagte ein FDP-Politiker.

Ich fasse das mal zusammen. Eugeniu Botnari wurde 34 Jahre alt. Er führte ein Leben, in dem es nicht viel Gutes gab und das durch ein Verbrechen endete. Und manche gönnen ihm nicht einmal ein Schild auf einem Platz.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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