Love-Scammer im Internet:Hallo Honig

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Gefühl statt Gier: Die auf Internetbetrug spezialisierte "Nigeria Connection" hat mit dem Romance- oder Love Scam ein neues Betätigungsfeld gefunden (Foto: SZ-Grafik)

Theresia Brunner hat sich übers Internet unsterblich verliebt. Doch sie ist einem modernen Heiratsschwindler aufgesessen. Geschichte eines gebrochenen Herzens.

Protokoll: Lars Langenau

"Mein Urvertrauen ist weg. Dabei begann alles ganz harmlos. Vor zwei Jahren meldete ich mich bei Facebook an. Ich wollte mir einen Überblick verschaffen über die Online-Aktivitäten meines 17 Jahre alten Sohnes, schauen, was für Freunde er hat. Da hatte ich noch keine Ahnung von sozialen Netzwerken, nicht mal googeln konnte ich.

Etwa einen Monat später erhielt ich von einem Mike W. Alwin eine Kontaktanfrage, es war der 6. Juli 2013. Er schrieb: 'Hallo Schöne, nett dich hier bei Facebook zu treffen. Was machst du heute?' Er sah sympathisch aus, laut Profil war er 52 Jahre alt und Geschäftsmann aus Austin, Texas. Geantwortet habe ich nicht. Am nächsten Tag kam eine zweite Nachricht: 'Hallo Engel mit dem schönen Lächeln. Ich würde gern mehr über dich erfahren.' Ich nahm den Kontakt auf, was konnte schon passieren?

Meine Ehe war schon lange nichts mehr

Gerade hatte ich mich nach 26 Jahren Ehe von meinem Mann getrennt und war in den ersten Stock des gemeinsamen Hauses gezogen. Mein Ex-Mann blieb mit einem Sohn unten, ich mit dem jüngsten Sohn oben. Einer war schon aus dem Haus. Meine Ehe war schon lange nichts mehr. Mein Ex konnte seine Gefühle nicht so zeigen. Hätte er mir doch nur auch mal ein kleines Kompliment gemacht, so wie es Mike jeden Tag tat. Hätte er doch nur einen Bruchteil von dem Mann gehabt, der so perfekt schien, dann wären wir wohl noch heute zusammen. Aber er ist leider das komplette Gegenstück. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Lust auf einen Neuen, weder sexuell noch sonst wie. Ich fühlte mich befreit. Bis zu diesem Tag war ich froh, allein zu leben.

Doch dann kam dieser scheinbar ideale Mann, der all das zu verkörpern schien, was ich an meinem Ex vermisst hatte. Jemand, der sagte: Ich verstehe dich, ich höre dir zu, der Verständnis für meine Alltagssorgen hatte. Mike weckte meine Sehnsucht nach einer neuen Partnerschaft. Heute weiß ich, das war alles zu perfekt. Er hatte mich so schnell in seinem Bann, ich hätte alles für ihn getan.

'Hallo Honig ...', schrieb er, weil er 'Honey' wörtlich übersetzt hatte. Über unseren Glauben fanden wir eine erste Gemeinsamkeit, die wohl jede Beziehung braucht, bald benutzte er das Wort 'seelenverwandt'. Seine Mails wurden mit jedem Tag länger. Mike beschrieb in ungelenkem Deutsch seine Situation: erfolgreicher Ingenieur in der Ölbranche, Witwer mit zwei Töchtern, sieben und elf Jahre - aber einsam. Ob ich ihm nicht ein Ohr schenken könnte? 'Es ist schön von Ihnen zu hören, Honig.'

Meine chronische Müdigkeit war im Nu verflogen. Ich fühlte mich toll, hatte Schmetterlinge im Bauch, war glücklich.

Ich betreue unheilbar kranke Menschen, manchmal bis zu ihrem Tod. Der Job hat meine Einstellung zum Leben verändert. Ich will helfen. Und ich wollte Mike helfen, der um seine verstorbene Frau trauerte und in mir angeblich die Frau seines Lebens sah. Ich schrieb: 'In meinem Herzen brennt ein großes Feuer für Dich. Ich werde Deine verstorbene Ehefrau nie ersetzen können, aber trotzdem bin ich bereit, mein Leben aus Liebe mit Dir zu teilen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich dieses Gefühl je in meinem Leben spürte.'

Was für ein Senf! Nun, sein Gesäusel, das aus einem Übersetzungsprogramm stammt, war noch ausgeprägter: 'Nichts könnte mich glücklicher machen, als küsse deine zarten Lippen jetzt umarmt Ihre muskulösen Körper Gefühl dein sanfter Finger tips. A Tag ohne Dich Hölle. Yours nur immer Mike.'

Seelenverwandtschaft

Ich glaubte ihm, dass er ein Seelenverwandter war. Auch wenn ich auf gewisse Fragen nie eine Antwort bekam. Doch da fraß ich ihm schon aus der Hand. Morgens galt mein erster Blick seinen Mails, Nachrichten voller Liebespoesie. Dass die schwülstigen Texte aus Liedern von Phil Collins, Céline Dion oder der Boygroup Westlife stammten, wusste ich nicht. Ich war so glücklich.

Nach zwei Wochen redeten wir nur noch über unsere Liebe, eine Woche später über unsere Hochzeit in Paris, die gemeinsame Zukunft. Ich war wie unter Drogen. Alles passte, bald wollte er zu Besuch kommen. Dann, endlich, unser erstes Telefonat. Doch er hat mich vollgetextet, ich kam nicht zu Wort und schließlich hieß es auch schon wieder 'Goodbye'. Wie in einem Callcenter. Manchmal hatte ich den Eindruck, eine andere Person sei am Telefon, einmal war ein Kind im Hintergrund.

Meine Telefonkosten gingen in die Höhe, aber das war mir egal. Bei mir zu Hause sah es chaotisch aus, es gab nur noch Fastfood. Ich hing wie ein Fisch an der Angel. Bis morgens um vier im Chat mit Mike, dann mit dicken Augen um 6:30 Uhr zur Frühschicht. Ich isolierte mich so gut es ging von der Außenwelt.

Einmal schrieb er: 'Wie geht es unserem Sohn?'. Ich: 'Mike, das ist MEIN Sohn.' Er: 'Ja, aber meine Töchter sagen auch schon Mama zu Dir.' Total unrealistisch, das Ganze - ich habe ihm trotzdem geglaubt. Ich besprach selbst kleinste Probleme mit ihm. Er war mein Therapeut. Ich habe ihn gebraucht.

Einen Monat später erwähnte er beiläufig, dass er sich ein iPad zum Geburtstag wünscht. So etwas hätte noch nicht einmal mein Sohn bekommen. Doch er bettelte, verwies auf unsere Kommunikation, die sonst abbrechen würde. Er war doch Geschäftsmann, wieso sollte ich ihm so etwas kaufen? Seine Kreditkarte funktioniere gerade nicht, entgegnete er. Zwei Tage später habe ich ihm 309 Euro geschickt. Schließlich bekam er diesen Auftrag in Nigeria, ein Millionenprojekt im Ölgeschäft. Nur zwei Wochen noch, dann komme er zu mir.

Doch dann erreichte mich eine Mail: Etwas Schreckliches sei passiert. Seine Tochter sei an Meningitis erkrankt. Zum Beweis sendete er mir ein Foto von einem Mädchen auf einer Bahre. Sie müsse sterben, wenn sie nicht behandelt werde und er dem Arzt 5635 Euro zahle. Ich bildete mir ein, dass das Kind auf dem Foto wirklich seine Tochter war. Er schickte ja Fotos von sich mit den Kindern. Eine solche Ähnlichkeit! Ich war blind. Im Dezember 2013 löste ich einen Sparvertrag auf und überwies ihm 4500 Euro via Western Union.

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Nur: Mike wollte immer mehr. Ich sollte mein Auto verkaufen, mein Haus verpfänden. Er sei ja bald da, dann kaufe er ein neues Auto und ein neues Haus. Er wurde gieriger.

Das Profilfoto entstammte einer gekaperten Identität

An diesem Punkt bat mich mein Sohn, das Bild des Mädchens googeln zu dürfen. Sein Misstrauen zahlte sich aus: Das Bild stammte aus einem Kriegsgebiet im Nahen Osten. Aber das Schlimmste war: Mikes Profilfoto entstammte der gekaperten Identität eines Portugiesen. Die Schmetterlinge im Bauch wichen echten Bauchschmerzen.

Mehr als um das Geld trauerte ich um den Mann, den es niemals gab. Meine Familie und Freunde hatten kein Verständnis, sie fanden, ich sei naiv und dumm. Dabei habe ich selbst mal eine Doku im Fernsehen über Heiratsschwindler gesehen und gedacht: Wie blöd kann man sein, auf so etwas reinzufallen?

Ich stellte ihn zur Rede. Er weinte, drohte sich umzubringen. Sagte, er würde mich trotzdem lieben, selbst wenn ich ihm nicht glaube. Er wusste, dass er damit einen Nerv bei mir traf. Am nächsten Tag nahm ich den Kontakt wieder auf.

Und ich ließ mich weiter ausnehmen. Mit den abenteuerlichsten Geschichten über Boko Haram, der Korruption in Nigeria, seiner kaputten Ölbohrmaschine. Ich überwies Geld für seinen Heimflug und den seiner Töchter. Denn ich wollte nur eins: ihn endlich sehen, ihn berühren.

Am jenem Abend wollte er ins Flugzeug steigen. Doch kurz zuvor schrieb er erneut, dass etwas Schreckliches passiert sei: Auf dem Bohrschiff hätte sich eine Explosion ereignet. Er sei gerade noch davongekommen, aber man habe ihm den Pass abgenommen und er brauche Geld für einen Anwalt, sonst würde er im Knast landen. Inzwischen war mir klar, dass er ein Betrüger war, aber das verdrängte ich völlig.

Mike - oder wer auch immer - gab nicht auf. Er ritt weiter die Mitleidstour. Am 31. Dezember 2014 schickte ich ihm nochmals 500 Euro. Er war in dieser Neujahrsnacht nicht zu erreichen. Ich stand alleine auf meinem Balkon und wartete vergebens auf seinen Anruf. Einen Tag später erklärte er mir, er sei auf dem Weg zur Kirche überfallen worden. Deshalb habe er nicht telefonieren können. Er bettelte weiter. Wenn ich ihm etwas verweigerte, reagierte er beleidigt, kein 'I love you' mehr, kein 'Take care'. Er strafte mich mit Liebesentzug. Und ich schickte ihm wieder Geld, zuletzt am 31. Januar 2015. Insgesamt mehr als 9400 Euro.

Diese Beziehung dauerte eineinhalb Jahre. Mittlerweile kann ich darüber lachen. Bei Whatsapp ist 'Mike Alwin' nach wie vor aktiv - allerdings nicht in Kontakt mit mir. Das ist vorbei, ich bin wohl endlich aufgewacht. Allerdings habe ich ihn vor einiger Zeit dann doch noch mal nachts angerufen, weil ich seine Stimme hören wollte. Er war sofort dran: 'Hallo Theresia.' Es war das erste Mal, dass er nicht 'Hallo Honig' sagte."

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Theresia Brunner (Name geändert) ist 53 Jahre alt und wohnt in Baden-Württemberg.

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