"Silence" im Kino:Erst Christus, dann Judas

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Film Scorsese

Eine christliche Enklave japanischer Bauern nimmt den portugiesischen Pater Rodriguez (Andrew Garfield) heimlich auf.

(Foto: Concorde)

Martin Scorsese hat sein Herzensprojekt verfilmt: den Roman "Silence" über die brutale Jagd auf Christen im Japan des 17. Jahrhunderts. Es ist ein Lehrstück über die Gefahren des religiösen Fundamentalismus geworden.

Filmkritik von David Steinitz

Wie bringt man einen Menschen dazu, alles zu verraten, woran er jemals geglaubt hat?

In seinem Film "Silence", der während der brutalen Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts spielt, erzählt Martin Scorsese vom portugiesischen Jesuitenpater Ferreira (Liam Neeson), der in die Fänge der lokalen Religionswächter gerät, die sich diverse Foltermethoden ausgedacht haben, um Missionaren aus Europa ihren Glauben auszutreiben.

Die schlimmste heißt "ana-tsurushi", Grubenfolter. Der Körper des Opfers wird von einem Galgen mit dem Kopf nach unten in eine Grube gehängt, und damit es nicht zu einem schnellen Tod durch Blutstau kommt, wird der Gefangene hinter den Ohren eingeritzt, sodass ein bisschen Blut und damit Druck entweichen kann. Wer diese Schmerzen kopfüber im Schlamm baumelnd ein paar Stunden oder gar Tage aushalten muss, der macht alles, was seine Peiniger verlangen - Pater Ferreira schwört zu Beginn des Films von seinem Glauben ab.

Das mag ein bisschen nach einer exotischen Horrorerzählung aus alter Zeit klingen, aber die Geschichte dieser erzwungenen Apostasie stellt Fragen über Religion und Fundamentalismus, die weder fern noch exotisch sind. Weshalb Scorsese, der sich mit "The Wolf of Wall Street" zuletzt noch im Spekulanten-Slapstick ausgetobt hatte, sie unbedingt verfilmen wollte.

"Silence" beruht auf dem Roman "Schweigen" des verstorbenen japanischen Schriftstellers Shūsaku Endō. Das Buch erschien 1966, der Autor griff darin die wahre Geschichte des gequälten Paters in der Grube auf, die er dann fiktiv weiterverarbeitete.

Zwei junge portugiesische Pater geraten in den Glaubenskrieg

Seine Idee: Die Kunde vom Missionar, der Gott widerrufen hat, dringt bis nach Europa vor und sorgt in der katholischen Kirche für einen Skandal. Denn Ferreira soll nicht nur Gott verleugnen, sondern sich buddhistischen Studien widmen und geheiratet haben.

Was, wenn sich andere Zweifler dem Abtrünnigen anschließen? Zum Zeitpunkt der Affäre sind fast alle Christen aus Japan geflohen, die letzten tapferen leben heimlich und in ständiger Todesangst, verstreut auf ein paar arme Bauerndörfer.

Zwei junge portugiesische Pater, die von den amerikanischen Jungstars Andrew Garfield und Adam Driver gespielt werden, wollen die Gerüchte nicht glauben. Sie kennen Ferreira von früher und beschließen, ihn zu suchen. In Lissabon schiffen sie sich ein und segeln über Indien und China nach Japan - wo auch sie in den Glaubenskrieg hineingeraten.

Für sein Herzensprojekt brauchte Scorsese drei Jahrzehnte

Scorsese las die Romanvorlage zum ersten Mal, als er sich Ende der Achtzigerjahre auf die Dreharbeiten zu "Die letzte Versuchung Christi" vorbereitete. Die Lektüre war ein solch prägendes Erlebnis für den Regisseur, dass er das Buch sofort verfilmen wollte, auch wenn die Geschichte alles andere als ein glamouröser Hollywoodstoff ist. "Schweigen", schreibt Scorsese im Vorwort zu einer neueren Auflage des Romans, "hat mir auf eine Weise Halt gegeben, wie ich ihn bisher in nur sehr wenigen Kunstwerken fand."

Aber obwohl das Buch zu seinem Herzensprojekt wurde, dauerte es knapp drei Jahrzehnte, bis er es verfilmen konnte, woran vor allem sein damaliges Projekt "Die letzte Versuchung Christi" schuld war. Auch in diesem Film setzte er sich mit dem christlichen Glauben auseinander, aber ein bisschen anders, als die katholische Kirche das gern gehabt hätte.

Scorsese zeigte Jesus als neurotischen Psychotiker, der sich von einem blond gelockten Teufelsengel vom Kreuz holen lässt, weil er kein Märtyrer sein will. Auch wenn die "Versuchung" gar nicht als Kritik an der Kirche gedacht war, sondern als Versuch, Jesus als zerrissene Figur im Kampf zwischen menschlichen Emotionen und göttlichem Auftrag zu interpretieren, löste der Film einen Skandal aus.

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