Russland:Der russische Dreh

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Die Stadt Schelesnodoroschny in der Region Kaliningrad dient russischen Filmemachern als Kulisse. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine dürfen die Regisseure im Westen nicht mehr drehen. (Foto: STRINGER/AFP)

Europäische Großstädte mit ihrer beeindruckenden Architektur sind für die Filmindustrie aus Putins Reich seit Kriegsbeginn versperrt. Macht aber nichts, Kaliningrad hat ganz Ähnliches zu bieten.

Von Frank Nienhuysen

Berlin wird manchmal nach Russland verlegt, und auch Schweden mit seinen Stränden und Dünen ist ab und zu dort. Illusionen, produziert in Kaliningrad. Die Altbau-Villa in der Kutusow-Straße, halbrunder Erker, Fensterkreuze - es könnte auch Hamburg sein. Oder das weiße Einfamilienhaus in Polessk, Bezirk Kaliningrad, mit dem Spitzdach, den roten Dachpfannen und der breiten Gaube: als stünde es in Bayern, am Oberrhein, im Hunsrück.

Kaliningrad, die Stadt und ihr umliegendes Gebiet, ist eine russische Exklave an der Ostsee. Umschlossen von Polen und Litauen. Für Russland ist es ein filmisches Biotop, mit vielen Varianten auf engem Raum. Es gibt blühende Rapsfelder und die Strände der Kurischen Nehrung, sowjetische Plattenbauten und vorsowjetische Fachwerkhäuser, Jugendstilvillen, Gassen und Kirchen, Hafenanlagen und Schlossruinen. Halb Europa könnte man dort inszenieren. Und genau das macht Russland auch.

Die russischen Exklave an der Ostsee ist für die Filmbranche zu einer Art Ersatz-Europa geworden

Sicher, Moskau hat seine Mosfilmstudios. Aber mehr denn je zieht es die russische Filmindustrie nach Kaliningrad. Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Sanktionen der Europäischen Union beschleunigen den Trend. Denn europäische Drehorte sind seitdem versperrt. In diesem Jahr etwa wurde die russische Fernsehserie "DDR" fertig, die in Berlin um die Zeit des Mauerfalls spielt. Dort sollten nach dem ursprünglichen Plan auch Außenaufnahmen gemacht werden. Nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine war das nicht mehr möglich. Europa habe im Grunde die Tür zugemacht, sagte einer der Produzenten, Jurij Sapronow, der AFP-Journalistin Marina Lapenkova. Kaliningrad habe mit seiner Mischung aus sowjetischen und deutschen Gebäuden die Lücke für West- und Ostberlin "perfekt" gefüllt.

Kaliningrad, das frühere Königsberg, die westlichste Großstadt Russlands, war schon zu Sowjetzeiten die Kulisse russischer Filme. Nicht nur, aber auch wegen der erhaltenen Architektur aus früheren Jahrhunderten, den Toren, Altbauten, dem Dom. Zuletzt hat die russische Ostseeregion als Hotspot für heimische Filme allerdings noch mal deutlich zugelegt. Das liegt vor allem an der staatlichen Förderung. Russland ist in Europa isoliert und muss deshalb auch bei Filmen auf eigene Produktionen setzen. Die russischen Kinos haben wegen des stornierten Filmverleihs der Hollywood-Produktionen viel Geld verloren. Sie müssen den Platz jetzt anders füllen. Nach einem Bericht der Moscow Times hat Moskau im vergangenen Jahr die Finanzhilfe für die russische Kinoindustrie auf 160 Millionen Dollar verdoppelt.

Im Gebiet von Kaliningrad sind in den vergangenen fünf Jahren 44 Spielfilme und Serien gedreht worden, seit Kriegsbeginn ist die Zahl weiter gestiegen. Derzeit seien es sogar zehn bis 25 pro Jahr, sagte Olga Akopowa, Leiterin der Kaliningrader Organisation "Festival-Direktion", einem regionalen Nachrichtenportal. Der Kaliningrader Kultur- und Tourismusminister Andrej Jermak sagte, seine Region sei in Russland zum "ultimativen Europa-Set" geworden. Eine Liste der wichtigsten "Lokeischns" hat er auch erstellt. Das Filmdrama von 2022 etwa, "Plakatj Nelsja", "Du darfst nicht weinen", spielt zu großen Teilen in Skandinavien. Die Kameras und die Tränen liefen an der russischen Ostseeküste.

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