Kunst und Moral:Es bringt nichts, Kunst zu verbieten

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Ein Hauptwerk Benvenuto Cellinis: die Statue des Perseus mit dem Haupt und Leib der Medusa in der Loggia dei Lanzi von Florenz. (Foto: imago/Insidefoto)

Künstler, das sieht man am Fall Kevin Spacey, sollen sehr böse und sehr gut zugleich sein. Doch die Kunstgeschichte zeigt: Das geht nicht.

Von Kia Vahland

Dieser Künstler ist ein Verbrecher, und er genießt es. Nicht einmal der Schauspieler Kevin Spacey als Politiker in der TV-Serie "House of Cards" redet so kaltblütig daher wie der Bildhauer Benvenuto Cellini in seiner um 1566 verfassten Autobiografie. "Ich versetzte ihm nur zwei Stiche, denn beim zweiten fiel er mir tot zu Boden, was ich zwar nicht beabsichtigt hatte, aber Schläge lassen sich - wie man zu sagen pflegt - eben nicht zählen", notiert er über einen seiner drei Morde. Seine Rechtfertigung: Er habe sein Opfer mitten ins Gesicht treffen wollen, der Mann aber habe sich vor Schreck abgewendet, da musste er ja unterhalb des Ohres zustechen.

Der Leser erfährt, wie Cellini diesen und jenen verprügelt hat, wie er Kollegen mit Rufmordkampagnen verfolgte, wie er des Kindesmissbrauchs angeklagt wurde, wie er sein Modell Caterina schlug, vergewaltigte, beim Arbeiten quälte. Natürlich ist er in seinem Buch immer der bauernschlaue Sieger (wunderbar neu übersetzt von Jacques Laager im Manesse-Verlag). Er prahlt mit seinen Lügen vor Gericht, die nötig wurden, weil die vergewaltigte, ökonomisch abhängige Caterina ihn der Sodomie, des Analverkehrs, angeklagt hatte. Stolz ist er auch darauf, wie er sich als Totschläger nach seinen "schönen Taten" angeblich vom Papst segnen ließ.

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Der Bildhauer Benvenuto Cellini war ein Mörder. Und ein Mann seiner Zeit

Der in seiner Kunst feinsinnige Cellini war, das belegen historische Quellen, tatsächlich ein Verbrecher. Seine übertriebenen, aber nicht gänzlich erfundenen Schilderungen sind so eindrücklich, weil sie bei aller Selbststilisierung das Psychogramm eines Serientäters zeichnen. Es scheint ihm Freude zu bereiten, andere zu ängstigen, sie um ihr Leben betteln zu lassen, seine physische Macht auszukosten. Gleichzeitig ist er so fragil, dass alles und jeder ihn bis auf das Blut reizen kann. Der Künstler kennt nur Freund und Feind, und wer in welche Kategorie fällt, das entscheidet er.

Dieses Ekelpaket aus der italienischen Spätrenaissance hat einigen Anteil an der modernen Vorstellung, Genie und Verbrechen bedingten einander. Sexuelle Belästigungen, körperliche Gewalt und Machtmissbrauch kommen nicht nur in den Künsten vor. Ist aber ein Künstler unter Verdacht wie gerade der Schauspieler Kevin Spacey, der sich an Jungen und Männern vergangen haben soll (und kein Mörder wie Cellini ist), dann erfüllt dies das Publikum zusätzlich zur berechtigten Empörung mit einem besonderen Schaudern: Künstler, diese Wüstlinge qua Profession, verkörpern das Böse nicht nur, sie leben es auch. Weil wir sie aber so mögen in ihren Werken, müssen wir jetzt nicht nur sie bestrafen, sondern auch uns: Weg mit den "House of Cards"-DVDs, und aus einem neuen Film wird Spacey herausgeschnitten. Wir nämlich, die manchmal auch ganz schön gewaltgierigen Betrachter, sind anders, gewöhnlicher vielleicht, aber eben auch ehrlicher, fairer, aufrechter.

Nein. Ob Cellini oder Spacey, sie agieren als Männer ihrer Zeit, tun, was ihnen statthaft erscheint, was nicht alle, aber ein paar andere auch tun, wenn sie es können. Weil es vielleicht verboten ist, zugleich aber - nie wäre der Begriff falscher - als Kavaliersdelikt gilt. Keiner der mutmaßlichen Belästiger käme auf die Idee, einer Frau im Zug die Handtasche zu stehlen, auch dann nicht, wenn eine Chance bestünde, ungestraft davonzukommen. Macht man nicht, machen nur Kleinkriminelle. Taschendiebstahl geht gegen die Ehre. Grapschen tat dies bis vor Kurzem nur bedingt.

Jedenfalls war es so, als Kevin Spacey die meisten Übergriffe begangen haben soll. Ähnlich ist es bei Cellini: Mord, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung waren schon damals verboten. Gleichzeitig gehörte es in Mittelitalien zum Selbstbild junger Männer, auf der Straße Dolch und Degen locker zu führen, Konfrontationen nicht zu scheuen, Konkurrenten die Gesichter zu zerfetzen. Michelangelo hatte eine eingequetschte Nase, weil ein unbegabter Bildhauer einmal sein Mütchen an ihm kühlte. Caravaggio tötete jemanden im Streit und musste aus Rom fliehen.

Deshalb und wegen seiner Kontakte zu Knaben und Prostituierten wurde der Barockmaler in späteren Jahrhunderten zum Inbegriff des dunklen Genies, zum Vorbild aller Möchtegern-Tabubrecher. Die Kunsthistorikerin Sibylle Ebert-Schifferer konnte dagegen zeigen, dass Caravaggios Virilitätsgebaren gerade nicht Ausdruck von Außenseitertum war. Junge Adelige rebellierten im frühen 17. Jahrhundert in Rom mit Pöbeleien und Brutalitäten gegen die gerade erst keimende staatliche Zentralgewalt. Der Applaus ihrer Peergroup war Caravaggio wie Cellini gewiss. Vor allem aber wurden ihre Werke wegen ihrer Taten nie vernichtet.

Und was die Verführung männlicher Minderjähriger angeht, so war diese ebenso wie Gewalt an Prostituierten nicht legal, erschien aber einer Mehrheit legitim. Schon im Florenz des 15. Jahrhunderts waren, wie Untersuchungsakten der Zeit belegen, Männer aller Berufe von Sodomievorwürfen betroffen. Fast immer ging es um Knaben, denn Sex unter erwachsenen Männern war als weibisch verpönt.

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Trotz der soziologischen Fakten wird unterschiedlich bewertet, ob ein Künstler wie Spacey oder ein Unternehmer wie der Filmproduzent Harvey Weinstein unter dem Verdacht sexueller Übergriffe steht, ob Cellini mordet oder ein gelangweilter Adeliger. Von einem Künstler erwartet das Publikum sowohl das Böse als auch das Gute im Übermaß. In der kollektiven Vorstellung ist er gleichzeitig das potenziell verbrecherische Genie und der Kämpfer gegen alles Unbill - ein Verfechter des Guten, Wahren, Schönen, als das die Künste seit der Renaissance, mehr noch seit dem 19. Jahrhundert eben auch gelten. Sie sollen uns das hehre andere vor Augen führen, sollen die Welt besser machen und uns Betrachtern, bitte schön, zeigen, dass auch wir eigentlich gut, schön, wahrheitsliebend sind.

Diese hübsche Fluchtfantasie nimmt gerade das Ausmaß einer Wahnidee an. Sie dominiert den aktuellen Diskurs in einer Weise, die mehr Rückschlüsse auf den Zustand der Gesellschaft als auf den der Künste erlaubt. Alle wünschen sich plötzlich große Lösungen von der Kunst. Politiker feierten die Documenta als Mittel der Völkerverständigung, die Kuratoren selbst schwärmten von Gegenentwürfen zum neoliberalen Wirtschaftssystem. Sie legitimierten viele ausgestellte Werke nicht ästhetisch, sondern biografisch, schon eine besondere Herkunft oder Körperlichkeit dienten als Ausweis des besseren anderen. Dies zeugt von einer romantischen Vorstellung der sozialen Ausgrenzung und verkennt, dass Biografie noch keine Haltung ist, weil es auch chauvinistische Ureinwohner, rechtsradikale Homosexuelle, übergriffige Behinderte, tyrannische Frauen gibt. Vor allem aber beschwört es eine Idee vom Künstler, die in ihrer moralischen Reinheit so realitätsfern ist wie die des bösen Genies.

Vielleicht sollte man Verbrecher, ob Künstler oder nicht, mit juristischem Augenmaß beurteilen

Beide Male projiziert die Gesellschaft ihre eigenen Schwächen und Sehnsüchte auf die Kreativen. Im Bild des Künstlers als Regelbrecher fanden sich in den Neunzigerjahren, wie der Soziologe Luc Boltanski gezeigt hat, neoliberale Manager wieder, die hofften, durch unkonventionelles Handeln Karriere zu machen. Mit dem Künstlerbild des guten Außenseiters dagegen können sich all jene identifizieren, welche die Welt für verdorben halten, nur sich selbst nicht. Dies sind keineswegs nur linke Systemkritiker oder idealistische bürgerliche Politiker. Wer das Gute und Schöne für identisch hält und das eine nicht ohne das andere denken mag, macht den Weg frei für alle, die selbst entscheiden, was künftig gut und schön zu sein hat. Das sind potenziell auch Rechtsradikale, die sich jetzt schon, etwa in Aktionen der identitären Bewegung, der Mittel der Aktionskunst bedienen.

Vielleicht sollte man Verbrecher, ob Künstler oder nicht, mit juristischem Augenmaß beurteilen. Und ihnen nicht symbolisch die Köpfe abschlagen, wie es Cellinis Perseus in der Loggia dei Lanzi von Florenz mit der Medusa tut. Sondern ihnen wie allen anderen einen fairen Prozess machen. Und nicht die Kunst verbieten oder als Ventil eigener Probleme benutzen.

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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