Sachbuch "Ada und die Algorithmen":Digitales Hirngulasch

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Teils bestimmt sie schon den Alltag mit, teils ist künstliche Intelligenz noch erschreckend blöde: Stefan Buijsman nähert sich dem Phänomen mit Mathematik und Philosophie.

Von Andrian Kreye

Stefan Buijsman ist ein Wunderkind, das mit 18 seinen Magister in Philosophie und anderthalb Jahre später in Stockholm seinen Doktor der Mathematik gemacht hat. Inzwischen ist er 26 Jahre alt, forscht an der Universität seiner Geburtsstadt Delft über künstliche Intelligenz (KI) und leitet für das schwedische Wissenschaftsministerium Vetenskapsrådet das Forschungsprojekt "Zahlen: die Bedeutung empirischer Ergebnisse für die Philosophie". Außerdem hat er drei populärwissenschaftliche Bücher geschrieben, weil er wie so viele Mathematiker den Drang hat, dem Rest der Welt nahezubringen, wie wunderbar die Welt der Zahlen ist, in der sich das Denken auf Bahnen bewegt, die so aufregend wie befriedigend sind. Mit enormem Erfolg. Sein letztes Buch "Espresso mit Archimedes" wurde in 35 Sprachen übersetzt und war auch in Deutschland ein Bestseller.

Weil er sich darauf versteht, die Mathematik einem breiten Publikum nahezubringen, das es gewohnt ist, in Wörtern und Bildern zu denken, ist er der ideale Autor, um das Thema zu erläutern, das die Mathematik auf seine Art zum Leben erweckt, das gerade aus den Rechnern in den Alltag tritt: die künstliche Intelligenz. Wobei sich hinter dem vermeintlich harmlosen Kinderbuchtitel "Ada und die Algorithmen" der Einblick in die interdisziplinäre Symbiose der beiden Wissenschaftsfelder verbirgt, die für eine Gegenwart mit KI zunehmend wichtiger wird.

Die titelgebende Ada, das erklärt Buijsman gleich im ersten Kapitel, war die englische Mathematikerin Ada Lovelace, die in den 1840er-Jahren für die Rechenmaschine ihres Kollegen Charles Babbage das erste Computerprogramm aller Zeiten schrieb. Einen Algorithmus also, den Buijsman samt ein paar anderen Fachbegriffen gleich zu Beginn einfach so definiert: "Eine Reihe von Anweisungen, denen ein Computer folgt." Überhaupt ist es Buijsman wichtig, dass ihm auch Fachfremde folgen können. Das verwässert weder seine Argumente noch seine Substanz. Was vor allem daran liegt, dass er die künstliche Intelligenz mit den Mitteln der Philosophie und der Kenntnis der Mathematik untersucht.

Die Furcht bleibt, dass KI ihrer Spezies die Ober- und Deutungshoheit streitig machen könnte

Das heißt, dass er vor allem die Phänomene der digitalen Automatisierung entzaubern kann, die den Menschen manchmal ein wenig Angst machen. Sicher ist die Debatte über ihre Science-Fiction-Phase hinweggekommen. Kaum jemand glaubt heute noch, dass künstliche Intelligenz Terminator-Roboter oder Matrix-Netzwerke schaffen kann, die die Menschheit versklaven oder vernichten will. Die Furcht aber bleibt, dass KI ihrer Spezies die Ober- und Deutungshoheit streitig machen könnte. Auf dem Gebiet der Sprache beispielsweise. Das Schreiben können Rechner inzwischen ganz gut, zumindest solange es sich um Funktionstexte wie E-Mails, Wirtschaftsberichte oder Betriebsanleitungen handelt. Und auch die gesprochene Sprache wird von virtuellen Assistenten wie Siri, Alexa oder auch den Bordcomputern von Autos schon gut beherrscht.

Warum KIs dann doch meist nur Hirngulasch produzieren, macht Buijsman sehr deutlich, weil er die Leser zuvor schon in die Funktion künstlicher neuronaler Netze eingeführt hat. Weil er die eben sowohl philosophisch wie technisch-mathematisch erklären kann, wird einem plastisch vorgeführt, warum das beunruhigend funktionstüchtige Schreibprogramm GPT-2 eine vollkommen schwachsinnige Zutatenliste für einen Kuchen verfasst hat, auf der sich neben Mehl, Eiern und Zucker auch Chilischoten, Koriander und Limonade fanden.

Was Beethoven nicht mehr schaffte, übernahm nun ein Computer - und komponierte die unvollendete 10. Sinfonie fertig. (Foto: dpa/dpa)

Es ist vor allem die Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Grundlage des Maschinendenkens und -lernens, die es fast aussichtslos macht, dass künstliche Intelligenzen Bedeutung und Kontext jemals wirklich erkennen und nicht nur immer besser berechnen wird. Sicher sind die Ergebnisse von KI-Programmen immer verblüffender, egal ob sie Beethovens Zehnte fertigkomponieren, verbrannte Gustav-Klimt-Bilder wiederauferstehen lassen oder Selfies auf dem Smartphone innerhalb von Sekunden in Filmszenen und Musikvideos verwandeln.

Mittels QR-Code lädt Buijsman sein Publikum auch ein, selbst Experimente durchzuführen. Wenn er beispielsweise erzählt, wie nahe Eliza, der erste Chatbot der Geschichte, schon 1966 einer Konversation kam, die einem vorgaukelte, man hätte es mit einem menschlichen Therapeuten zu tun, kann man dieses Programm auf der Webseite des österreichischen Philosophen Norbert Landsteiner gleich selbst ausprobieren. Und siehe da, schon nach zwei Sätzen flüchtet sich Eliza in Floskeln. Nach fünf Sätzen antwortet sie nur noch Blödsinn. Nach zehn wird sie unverschämt.

Intellektuelle wie Buijsman sind wichtig, um nicht nur die digitale Gegenwart, sondern auch die Zukunft in den Griff zu kriegen

So geschickt und fundiert Buijsman künstlicher Intelligenz auch den Grusel nimmt, Entwarnung gibt es trotzdem nicht. Sehr deutlich nennt er die Schwachstellen neuronaler Netze. Dass sie Entscheidungen auf intransparente Weise treffen. Dass sie nie besser als ihre Daten sind. Dass sie nicht gut generalisieren können. Dass sie alles wörtlich nehmen. Dass sie spezialisiert sind. Darin verbergen sich die Gefahren, die vor allem die Vorurteile und Fehler der Menschen verstärken, die sie benutzen. Wer wissen will, wie schnell das selbst bei den neuronalen Netzen der Gegenwart aus dem Ruder lief, muss nur die Berichterstattung über die Facebook Files der Whistleblowerin Frances Haugen verfolgen. Da ist selbst in der relativ schlichten Anwendung eines sozialen Netzwerks eine Höllenmaschine entstanden, die selbst die nicht mehr in den Griff kriegen, die sie gebaut haben.

Genau deswegen sind Intellektuelle wie Stefan Buijsman so wichtig, um nicht nur die digitale Gegenwart, sondern auch die Zukunft in den Griff zu kriegen. Weil mit der künstlichen Intelligenz eine Funktionalität entstanden ist, die bald schon jeden Aspekt des Alltags beeinflussen wird. Und da die Menschen immer mehr Entscheidungen an Automatisierungsprozesse auslagern, sind die Nebenwirkungen gleichbedeutend mit Verlusten des freien Willens, also genau jener Eigenschaft, die die Menschen von den instinktgesteuerten Tieren unterscheidet. Das ist zunächst ein philosophisches, kein technisches Problem. Doch man kann es nur lösen, wenn man die technische Funktion versteht.

Stefan Buijsman: Ada und die Algorithmen - Wahre Geschichten aus der Welt der künstlichen Intelligenz. Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke. C.H. Beck, München, 2021. 235 Seiten, 20 Euro. (Foto: N/A)
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