Gleichberechtigung:Jedes Jahr sterben 47 000 Frauen durch illegale Abtreibungen

Wie viele Frauen auch heute noch in aller Welt an stümperhaften Abtreibungen sterben, in Ländern zumal, in denen sie legalisiert wurden, darüber sind schreckliche Schätzungen im Umlauf. Die WHO glaubt, dass jedes Jahr 47 000 Frauen durch illegale Abtreibungen sterben. In Südafrika beispielsweise wurden Abtreibungen 1996 legalisiert, die Todesfälle sanken danach drastisch. Insgesamt zeigen Studien, dass die Abtreibungsrate gar nicht sinkt, wenn Abtreibungen strafbewehrt sind. In Lateinamerika und Afrika sind die Raten viel höher, dort lassen etwa dreißig von 1000 Frauen eine Schwangerschaft abbrechen, in Westeuropa sind es aber nur 12 von 1000. Das hat auch damit zu tun, dass wir zwar in einem Zeitalter leben, in dem es ganz vielfältige Verhütungsmethoden gibt; nur kosten sie alle Geld, und das spielt in ärmeren Ländern eine große Rolle. Und für arme Leute in reichen Ländern tut es das auch.

Kinderkriegen ist ein monströses Armutsrisiko. Es gibt Heerscharen alleinerziehender Mütter, und nein, das liegt nicht allein daran, dass Vätern von Gerichten das Sorgerecht versagt wird, auch wenn das im Einzelfall passiert. In Deutschland leben laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung (2014) 1,6 Millionen Frauen mit ihren Kindern allein, die Zahl ist in den letzten zwei Jahrzehnten gestiegen, das Armutsrisiko auch, die Lohngleichheit aber bleibt in weiter Ferne. In fast allen westlichen Gesellschaften sind alleinerziehende Mütter die größte Gruppe innerhalb der Sozialhilfeempfänger. Mütter haben schlecht bezahlte Teilzeitjobs - und da kann eine Schwangerschaft übers wirtschaftliche Überleben entscheiden.

Manche glauben, die Pille mache Frauen unsexy und dumm

Victoria Woodhull, eine amerikanische Frauenrechtlerin des 19. Jahrhunderts, wird von Abtreibungsgegnern gern zitiert, weil sie sich eine Welt ohne Abtreibungen wünschte; allerdings auch eine ohne ungewollte Schwangerschaften. Frauen tragen nach wie vor die Hauptlast der Kindererziehung. Wer für Gleichberechtigung ist und sich Woodhulls Welt wünscht, eine Welt ohne Abtreibungen, der muss gleichzeitig für einen gesellschaftlichen Umbau sein.

In Deutschland und in vielen westlichen Ländern sind die Abtreibungsraten rückläufig, im Gegensatz zum antiken Griechenland gibt es heute zuverlässige Verhütungsmittel. Wer Abtreibung verbieten will, ebnet dennoch Quacksalbern und Engelmacherinnen den Weg. Obamacare, Barack Obamas Affordable Care Act, hatte das übrigens im Blick - das Gesetz verpflichtet Krankenkassen dazu, eine von fünf Verhütungsmethoden abzudecken. Auch das würde Trumpcare abschaffen. Ach, es sind schon tolle Dinge salonfähig geworden: Auf Breitbart News erschien, als Trumps Berater Stephen Bannon die rechte Website noch leitete, unter anderem ein Pamphlet, das nachweisen wollte, die Pille mache Frauen unsexy, dumm und zu Schlampen.

Die Idee, die all das verbindet, führt zurück in eine Zeit, als Gleichberechtigung nicht einmal ein Thema war, als Frauen zwar alle Verantwortung für die Reproduktion aufgebürdet wurde, sie dann aber nicht mal über ihren eigenen Körper bestimmen durften. Frauen, die ungewollt schwanger sind, müssten, so Justin Humphrey, der Abgeordnete aus Oklahoma, ihre "Verantwortungslosigkeit" ausbaden.

Selektion, die ein Welt- und Menschenbild spiegelt

Man kann über Abtreibungsregelungen ja durchaus streiten. Beispielsweise über die Regelung (Roe vs. Wade), wonach Abtreibungen erlaubt sind, bis der Fötus außerhalb des Mutterleibs als überlebensfähig gilt. Als das Urteil 1973 erging, waren das 28 Wochen, später wurden 24 draus, in den Anhörungen um Neil Gorsuch wurde auch die Absenkung auf 20 Wochen diskutiert. In den USA finden trotzdem fast alle Abtreibungen im ersten Trimester statt, und auch bei uns gibt es andererseits Fälle, in denen die Frist verlängert wird, etwa aus medizinischen Gründen. Von einem Zellhaufen kann man da aber meist nicht mehr reden.

Oder, ein anderes Beispiel: Darüber, dass die selektive Abtreibung weiblicher Föten in Indien und China ein Skandal ist, sind sich alle westlichen Feministinnen einig. Sie sind es aber nicht, wenn es um die selektive Abtreibung behinderter Föten geht. Obwohl man sehr wohl die Position vertreten kann, dass Behinderungen die schwächste aller Begründungen sind, ein Kind nicht auszutragen. Selbst, wenn man letztlich zu dem Schluss kommt, dass jede Frau das eben selbst entscheiden muss, sollte klar sein: Auch das ist eine Selektion, die ein Welt- und Menschenbild spiegelt. Jede Unterscheidung zwischen guten und schlechten Abtreibungsgründen tut das. Das Dickicht ethischer Abwägungen macht es nur zwingender, jede Frau selbst entscheiden zu lassen, was für sie relevant ist - und was nicht.

Kontrolle ist ein Feind der Gleichberechtigung

Es gibt eben einen entscheidenden Unterschied zwischen jenen Leuten, die Abtreibungen verbieten wollen, und jenen, die sich für Regelungen einsetzen, die das Individuum entscheiden lassen. Niemand, der für legale Abtreibungen auf die Straße geht, will Abtreibungsgegner dazu bringen, selbst Schwangerschaften abzubrechen; sie sollen es nur anderen erlauben. Umgekehrt ist das eben nicht so - Abtreibungsgegner verlangen die Kontrolle über andere. Und diese Kontrolle ist ein Feind der Gleichberechtigung.

Dieser Geist steckt in vielen Parteipapieren. Die französische Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen vom Front National sagt, es sei eine Unterstellung, der Front National wolle die "Frauen zu den Stricknadeln zurückschicken", aber die Erstattung durch die Krankenkasse soll trotzdem reduziert werden. Die Auslegung einer "Notlage" - einer von zwei Gründen, die nach französischem Gesetz vorliegen müssen, damit die Abtreibung in Frankreich überhaupt legal ist, geht ihr zu weit.

Und wie stehen die Dinge bei uns? Die AfD bleibt in ihren Positionen ausweislich des Parteiprogramms ziemlich unkonkret. Im Prinzip ist Abtreibung nicht so toll, soviel ist klar. Das Rezept dagegen ist die "Familie als Leitbild", es geht um "elterliche Betreuung". Über diesem Abschnitt steht: "Diskriminierung von Vollzeit-Müttern stoppen". Nur für den Fall, das irgendwer noch nicht kapiert hat, wer mit "elterlich" eigentlich gemeint ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: