Hohenzollern-Streit:Wilhelm hier und Wilhelm da

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Hat Wilhelm von Preußen (2.v.r.) der Nazidiktatur "erheblichen Vorschub" geleistet? Der bis 1918 letzte preußische und deutsche Kronprinz im Jahr 1934. (Foto: SZ Photo)
  • Die Gutachten, die Jan Böhmermann auf einer Website zusammengetragen hat, sollten eigentlich klären, ob die Ansprüche der Hohenzollern an den Bund und das Land Brandenburg gerechtfertigt sind.
  • Die Gutachten sind allerdings nicht nur sehr detailliert, sondern zum Teil sehr widersprüchlich.
  • Die in dem Fall wichtige Wahlempfehlung für Hitler, die Wilhelm von Preußen 1932 abgab, hat den Gutachtern zufolge zum Beispiel sehr unterschiedliche Gründe.

Von Gustav Seibt

Der Streit dauert schon 25 Jahre: Die Familie Hohenzollern fordert Tausende Kunstwerke vom deutschen Staat. Vier Historiker-Gutachten sollten eigentlich Klärung bringen.

Die Formulierung im Gesetzestext ist lang und verwickelt. Ausgleichsleistungen für Vermögenswerte, die nach 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet wurden, können nur gewährt werden, wenn die Berechtigten oder deren Vorfahren ihre Stellung nicht "zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht oder dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone oder in der Deutschen Demokratischen Republik erheblichen Vorschub geleistet" haben.

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Es geht um Förderer und Nutznießer der beiden deutschen Diktaturen. Sie sollen für politisch begründete Vermögensverluste auch nicht in der reduzierten Form, die das Gesetz vorsieht, entschädigt werden.

Dieses "Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können" fragt jedoch nicht, wie das Vermögen vor diesen Diktaturen zustande kam. Daran muss man erinnern, weil im aktuellen Streit um die Hohenzollern mittlerweile viele andere historische Fragen aufgeworfen werden, darunter die nach der Schuld am Ersten Weltkrieg oder nach dem Genozid an den Herero in Deutsch-Südwestafrika.

Die aktuelle Auseinandersetzung zwingt die Kontrahenten - das Haus Hohenzollern, die Bundesrepublik und das Land Brandenburg - sich auf die Frage nach der Rolle des damals im Deutschen Reich lebenden früheren Kronprinzen Wilhelm (1882 - 1951) vor und während des Hitlerregimes zu konzentrieren. Wilhelm war bis zum Tod seines im Exil lebenden Vaters, des ehemaligen Kaisers Wilhelm II., nicht einmal Chef des Hauses, er war dessen Vertreter in Deutschland.

Dass der ehemalige Kronprinz 1923 aus Holland zurückkehren konnte, beruhte offenbar auf einer persönlichen Absprache mit dem damaligen Reichskanzler Gustav Stresemann, sich nicht politisch zu betätigen. Daran hielt der Prinz sich bis zum Tod Stresemanns 1929.

Ein Gutachten unterscheidet sich drastisch von der Geschichte der Konkurrenten

Unterdessen hatte 1926 wie bei anderen deutschen Fürstenhäusern eine vermögensrechtliche Klärung stattgefunden, die der abgedankten Dynastie enormen Besitz beließ - jenes Vermögen, das die Sowjets in ihrer Zone einzogen und das nun in vergleichsweise überschaubarem Umfang entschädigt werden soll.

Ob das geschieht, hängt also vom "erheblichen Vorschub" zugunsten von Nazis und Nazidiktatur durch Wilhelm von Preußen als dem Vertreter des Hauses ab, der seinerzeit auf dem Gebiet der späteren DDR (nur darum geht es) aktiv war.

Die vier Historiker-Gutachten zu dieser Frage, die der Fernsehmoderator Jan Böhmermann auf www.hohenzollern.lol ins Netz gestellt hat, teilen sich, was nicht überrascht, paritätisch in zwei Parteien. Eine entlastet die Hohenzollern, sie ist vertreten durch Christopher Clark und Wolfram Pyta. Die andere, vertreten durch Peter Brandt und Stephan Malinowski, hält Wilhelm für erheblich mitschuldig an Hitlers Aufstieg zur Macht und deren anschließender Befestigung.

Noch interessanter ist allerdings eine zweite Linie zwischen den Gutachtern, die Clark, Brandt und Malinowski auf der einen Seite von Pyta (und dessen Mitarbeiter Rainer Orth) auf der anderen Seite trennt. Pyta und Orth erzählen nämlich eine grundsätzlich andere Geschichte als ihre drei Konkurrenten.

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Diese konventionellere Lesart geht von Wilhelms Nähe zum republikfeindlichen Rechtsextremismus der späten Zwanzigerjahre aus und verfolgt detailliert sein seit 1932 massiertes politisches Auftreten im Umfeld der nationalsozialistischen Bewegung. So warb der Wilhelm von Preußen im April 1932 im zweiten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl für Hitler.

Er protestierte beim Reichsinnenminister Groener gegen das Verbot von SA und SS, und er ließ sich auf dem "Tag von Potsdam" 1933 sehen, wo der Einklang des alten Preußen mit dem neuen Regime inszeniert wurde. Massives symbolisches Kapital aus konservativen Rücklagen für das neue Regime, so lautet das Argument der Wilhelm-Kritiker Brandt und Malinowski; eher unerheblicher Opportunismus, so konturiert es Clark.

Bemerkenswert ist auch der unterschiedliche Umfang der Einlassungen. Er schwoll im Zeitverlauf der Gutachtertätigkeit kontinuierlich an: Während Clarks im Auftrag der Hohenzollern für die Brandenburger Behörde geschriebener Text unter 20 Seiten bleibt, umfassen die vom Brandenburger Finanzministerium beauftragten Gutachten von Brandt und Malinowski 70 und 107 Seiten. Entsprechend wuchs das Material an.

Die Hohenzollernkritiker sammeln bis zu Zeitungsartikeln, Pressefotos und Neujahrsgrüßen an den "Führer" alle möglichen Zeugnisse, um den Eindruck von Stetigkeit und Erheblichkeit im Handeln und Reden des letzten preußischen und deutschen Kronprinzen zu befestigen. Die Zahl seiner im engeren Sinn politischen Aktionen und Stellungnahmen bleibt allerdings überschaubar. Die wichtigste bleibt die Wahlempfehlung für Hitler von 1932.

Unüberschaubares Gestrüpp von Personen, Intrigen und Faktoren

Wilhelm gab sie ab, nachdem er Überlegungen, selbst für das Amt des Reichspräsidenten zu kandidieren, aufgegeben hatte, auf Druck seines Vaters, des exilierten Kaisers, der eine solche Bewerbung auf den Sessel Friedrich Eberts und des seit 1918 verhassten Hindenburg für sene Familie strikt ablehnte.

Hier nun kommt die ganz andere Geschichte ins Spiel, die Wolfram Pyta und sein Kollege Rainer Orth von Wilhelm und seinem Tun erzählen.

Pyta und Orth sind ausgewiesene Kenner der Zeit vor 1933, Pyta als Verfasser einer Hindenburg-Biografie, Orth als Autor einer Studie zu den Jungkonservativen um Franz von Papen. Außerdem sind sie die letzten in der Reihe der Gutachter - ihr Text stammt vom Sommer 2016, zwei Jahre nach denen ihrer Vorgänger, sie können also auf die Argumente und Quellen ihrer Konkurrenten eingehen.

Von diesen kann ihnen auf dem Gebiet der Forschung nur Malinowski das Wasser reichen, denn er ist der unbestritten beste Experte zur Rolle des deutschen Adels im Dritten Reich. Pyta und Orth haben zudem den Umfang noch einmal erhöht: Ihr Text ist 167 Seiten lang.

Pyta und Orths Geschichte geht nun so: Wilhelm von Preußen sei Teil des Versuchs des Generals und kurzfristigen Reichskanzlers Kurt von Schleicher gewesen, Hitler mit einer rechtsautoritären Alternative zu verhindern. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass es im Sommer 1932 längst nicht mehr um die Alternative Demokratie oder Diktatur ging, sondern um zwei unterschiedliche Formen des Autoritarismus, einem radikalen mit Hitler und einem immer noch rechtsstaatlichen mit Schleicher und einer "Querfront", die von den Gewerkschaften bis zum Arbeiterflügel der NSDAP hätte reichen sollen.

Für diese Koalition sei Wilhelm, eventuell als Wahlmonarch, ein denkbarer Exponent gewesen. Pyta spricht von einer "bonapartistischen" Option, die eine Restauration der Monarchie nicht in legitimistischer Form, sondern über eine Präsidentenwahl oder ein Reichsverweseramt vorsah. Damit - und nur damit - hätte man Hitler noch abwehren können.

Was soll ein Gericht mit diesem Stimmengewirr anfangen?

Das ist eine etwas andere Geschichte als die von Wilhelm als "Widerstandskämpfer", wie sie bisher in der Öffentlichkeit kolportiert wurde. Sie knüpft an längst etablierte Diskussionen zum Ende der Weimarer Republik an, die sich freilich in einem kaum überschaubaren Gestrüpp der Personen, Intrigen und Faktoren verheddern. Brandt und Malinowski haben in der Zeit vom 14. November darauf bereits kritisch reagiert.

Auch wer diese komplexen Debatten nicht überblickt, kann allerdings über das Gutachten von Pyta und Orth nur den Kopf schütteln, so widersprüchlich ist es in sich. Wenn Hitlerverhinderung das Ziel war, warum gab Wilhelm dann die Wahlempfehlung für Hitler ab? Vorne heißt es, Wilhelms abgeblasene eigene Kandidatur sei aussichtsreich gewesen, weil dieser ein populärer Sportsmann gewesen sei, der gern im modischen Tennisdress und als Rennfahrer auftrat.

Hinten dagegen wird die materielle Bedeutung von Wilhelms öffentlichen Stellungnahmen mit seiner Unpopularität heruntergespielt. Die Widersprüche - offenbar einer nicht koordinierten Arbeitsteilung der beiden Autoren geschuldet - sind so zahlreich und massiv, dass sie die mit dem Streitfall befasste Verwaltung nur ratlos hinterlassen können.

Überhaupt fragt man sich, was die Adressaten der Gutachten - womöglich bald ein Gericht - mit dem immer kleinteiligeren Stimmengewirr anfangen sollen. Alle Gutachter räumen ein, dass kontrafaktische Überlegungen zur Rolle Wilhelms in der Krisenzeit der Republik kaum stichhaltig gemacht werden können. Was ist da "erheblich"?

Ist es die Aufgabe von Gerichten, über historische Kausalitäten zu urteilen? Das scheint abwegig. Und das verlangt der Gesetzestext auch nicht. Er spricht nicht von Folgen, sondern von Handlungen. Auch ein Schullehrer oder ein Lokalreporter konnten in ihrem persönlichen Umkreis dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub leisten, durch Fanatismus.

Geschichte vor Gericht, Geschichte als Argument im Verwaltungsgang: Von dieser Unmöglichkeit legen die Gutachten allesamt beredtes Zeugnis ab.

© SZ vom 20.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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