Musical "Harmony" in New York:Das Wunder

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Kurz vor der Weltkarriere: Die "Comedian Harmonists" in einer Szene aus dem Musical. (Foto: National Yiddish Theatre Folksbiene)

Sänger Barry Manilow erzählt in einem Musical die Geschichte der "Comedian Harmonists". Mit großer Wirkung.

Von Christian Zaschke

Dass dies kein gewöhnlicher Ort für ein Musical ist, zeigt sich schon am Einlass. Ein uniformierter Polizist beäugt die Wartenden, und nachdem diese ihre Impfnachweise vorgezeigt haben, müssen sie sich einer Sicherheitskontrolle unterziehen wie am Flughafen. Das liegt daran, dass das Musical "Harmony" von Barry Manilow und Bruce Sussman im New Yorker Museum of Jewish Heritage aufgeführt wird, das dem Gedenken an den Holocaust gewidmet ist - einerseits ein Ort, der bis heute besonderen Schutzes bedarf, und andererseits so ziemlich der letzte Ort, an dem man ein Musical des für taschentuchsofte Balladen berühmten Barry Manilow erwarten würde. Aber, um es vorwegzunehmen: Das passt.

Seit 25 Jahren träumte Manilow davon, sein Musical an den Broadway zu bringen. In "Harmony" erzählen er und sein Texter Sussman die Geschichte der Comedian Harmonists, jener deutschen Gesangsgruppe, die im Berlin der späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre gefeiert wurde und eine Weltkarriere begann, die die Nazis beendeten, weil drei der sechs Mitglieder Juden waren.

Premiere hatte das Stück 1997 in San Diego, danach schaffte es Manilow mit seinem Werk nach Philadelphia, nach Atlanta und nach Los Angeles, aber eben nicht nach New York. Mag sein, dass es den kommerziellen Theatern am Broadway als zu großes Wagnis erschien, Heiterkeit, Gesang, Tanz und Nazis zusammenzubringen. Am Musical selbst kann es nicht gelegen haben, denn das ist außerordentlich gelungen.

Am Broadway sind so genannte "Jukebox-Musicals" beliebt, bei denen in einem meist lächerlich dünnen Plot die Lebensgeschichte eines Stars erzählt wird, was als Vorwand dazu dient, all dessen Hits zu singen. Aktuell kann man in dieser Kategorie unter anderem Musicals über Tina Turner oder Michael Jackson anschauen.

Die Comedian Harmonists kehren nach Deutschland zurück. Dann wird es düster

"Harmony" funktioniert anders, es ist kein einziges Original der Comedian Harmonists zu hören. Die Geschichte der Band wird durch Manilows Musik und Sussmans Texte vermittelt. Anders als in den früheren Versionen des Musicals gibt es diesmal einen Erzähler auf der Bühne, den letzten Überlebenden der Band, der auf die großen Zeiten zurückblickt. Vielleicht ist es dieser simple Trick, den das Stück gebraucht hat, um wirklich zu funktionieren. Der Broadway-Veteran Chip Zien ist in der Rolle brillant.

Dass Manilow es nun doch nach New York, aber eben nicht an den Broadway geschafft hat, muss man sich als glückliche Fügung vorstellen. Der Ort der Aufführung verleiht dem Stück eine weitere Dimension, eine Tiefe, die es andernorts womöglich nicht erreichen könnte. Jedenfalls läuft es einem kalt über den Rücken, wenn man in gerade diesem Gebäude einen Mann in Nazi-Unform auf der Bühne Befehle bellen hört.

Während Jukebox-Musicals oft sagenhaft langweilig sind, weil es sich im Wesentlichen um überteuerte Konzerte einer Cover-Band handelt, hat "Harmony" eine gut erzählte Geschichte. Ausgangspunkt ist ein Moment in der New Yorker Carnegie Hall, wo die Mitglieder der Band bei ihrem Auftritt im Jahr 1933 den Höhepunkt ihrer Laufbahn erreicht haben und ein Angebot des Senders NBC erhalten, für eine langfristige Konzertreihe in den USA zu bleiben. Bleiben oder gehen, zurück nach Deutschland? Die Zuschauer wissen, was die richtige Entscheidung gewesen wäre.

Szene mit Abby Goldfarb: Es ist wie in einem Horrorfilm, in dem man den Protagonisten zurufen möchte: "Geht nicht durch diese Tür!" (Foto: Photo: Julieta Cervantes)

Im Wesentlichen hält sich das Stück an die tatsächliche Geschichte der Comedian Harmonists. Manches wurde gerafft, manches wurde überspitzt, manches hinzugefügt. Zum Beispiel hat Bandgründer Harry Frommermann tatsächlich eine Annonce in der Zeitung aufgegeben, mit der er nach Sängern suchte. Im Musical melden sich daraufhin fünf Männer, die auf wundersame Weise füreinander geschaffen sind und die beste Freunde werden. In Wahrheit wählte Frommermann lediglich einen von 70 Bewerbern aus, und anschließend dauerte es eine Weile, bis die Gruppe ihre endgültige Besetzung gefunden hatte.

Die Art und Weise, wie die Band sich in diesem Musical findet, als Fügung, erinnert ein wenig an Erik Fosnes Hansens schönen Roman "Choral am Ende der Reise", der von der Schiffsband der Titanic erzählt. Auch hier scheint es, als fänden exakt die Musiker zusammen, die zusammenfinden müssen, um gemeinsam ihrem Schicksal zuzustreben. Und im Roman wie im Musical ist von Beginn an klar, dass das Ende kein gutes sein wird.

Zurück blendet das Stück also nach New York. Carnegie Hall. Bleiben oder gehen? Waren nicht diese Nazis lächerliche Figuren, die genauso schnell wieder verschwinden würden wie all die anderen lächerlichen Figuren, die damals die politische Szene bevölkerten? Und würde man es wirklich schaffen in Amerika? War es nicht sicherer, auf die Basis in der Heimat zu bauen?

Alles nachvollziehbare Fragen, doch als Zuschauer sitzt man im Saal wie in einem Horrorfilm, in dem man den Protagonisten zurufen möchte: "Geht nicht durch diese Tür!", weil man ja weiß, welches Grauen dahinter lauert. Ein klassischer Kniff, der immer funktioniert. Die Band entscheidet sich für die Rückkehr nach Deutschland, und damit beginnt der düstere Teil.

Die jüdischen Sänger fliehen, die nicht-jüdischen bleiben. Sie sehen sich nie wieder

Dass die Darsteller in einem Musical, das in New York aufgeführt wird, wirklich singen können, bedarf normalerweise nicht der Erwähnung. In diesem Fall doch, denn nicht nur bilden die sechs Männer der Band (Sean Bell, Danny Kornfeld, Zal Owen, Eric Peters, Blake Roman, Steven Telsey) ein fantastisches Ensemble, auch die weiblichen Hauptrollen sind exzellent besetzt, allen voran mit Sierra Boggess, deren Rolle als erst Freundin und später Ehefrau des Erzählers zwar recht oberflächlich angelegt ist, die mit ihrer Stimme jedoch das Theater bisweilen in einer Weise füllt, dass man fürchtet, die Scheinwerfer werden bersten.

Im zweiten Teil der Aufführung passiert, was passieren muss. Erst heißt es, die Band solle keine Lieder von jüdischen Komponisten mehr spielen. Dann heißt es, sie solle überhaupt alles Jüdische aus den Konzerten entfernen. Mit einer Ausnahmegenehmigung durften die Comedian Harmonists eine Weile in ihrer ursprünglichen Besetzung singen, auch weil die Nazis fanden, dass sie gute Botschafter Deutschlands im Ausland seien.

Der einzige Teil der Aufführung, der zu weit hergeholt erscheint, ist der, in dem Erzähler Chip Ziem in seiner Rolle als früheres Ensemblemitglied Roman Cycowski in einem langen Lied beklagt, er habe 1935 im gleichen Zug wie Adolf Hitler gesessen und die Chance verpasst, diesen zu erschießen.

Mal ganz abgesehen davon, dass Musiker im Allgemeinen auch damals in Zügen oder sonst wo keine Schusswaffen mit sich führten, ist an dieser Stelle vielleicht etwas zu viel des Wissens um das Hinterher in die Erzählung geflossen. Trotz des unfasslichen Grauens, das folgte, geht es wohl zu weit, dass Menschen sich schuldig fühlen müssten, weil sie Hitler 1935 nicht erschossen haben. Dass es im Rückblick moralisch richtig gewesen wäre, steht auf einem anderen Blatt.

Die Begegnung mit Hitler ist eine erfundene, sie steht im Musical wohl stellvertretend für die Frage, ob nicht irgendjemand Hitler hätte verhindern müssen, mit welchen Mitteln auch immer. Diese Frage ist zu komplex, um sich kurz vor Schluss eines Musicals abhandeln zu lassen.

Im wirklichen Leben sind die jüdischen Sänger 1935 zunächst nach Österreich geflohen. Die nicht-jüdischen Mitglieder blieben in Deutschland. Beide Gruppen gründeten neue Bands. Im Musical haben die Comedian Harmonists einen letzten gemeinsamen Auftritt, währenddessen sie, wie es heißt, schon wissen, dass sie einander nie wiedersehen werden. Nach und nach erlischt das Licht über jedem der Sänger, während der Erzähler berichtet, wann jeder einzelne gestorben ist.

Alle sechs Musiker haben den Zweiten Weltkrieg überlebt, und doch ist diese Sequenz des erlöschenden Lichtes zutiefst bewegend, weil sie zum einen dafür steht, wie zunächst die jüdische Kunst aus Deutschland verschwand, und weil sie zum anderen ebenso für den Völkermord steht, der folgte. Es war in diesen letzten Minuten des Stücks offenbar, dass viele Menschen im New Yorker Auditorium unter ihren Masken mindestens eine Träne vergossen. Wann hat sich je ein Musical getraut, die Zuschauer mit solchen Emotionen nach Hause zu schicken?

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