Lyrikerin Amanda Gorman:Der wahre Star bei Bidens Inauguration

Lyrikerin Amanda Gorman: Unbedingt glamourös, aber nicht nur wegen eines Prada-Mantels: Die junge Dichterin Amanda Gorman bei der Amtseinführung von Joe Biden.

Unbedingt glamourös, aber nicht nur wegen eines Prada-Mantels: Die junge Dichterin Amanda Gorman bei der Amtseinführung von Joe Biden.

(Foto: Patrick Semansky/dpa)

Die 22-jährige Dichterin Amanda Gorman bringt die stocksteife Veranstaltung innerlich zum Tanzen. Mit einem Gedicht, das eher Rap ist als Hymne. Und mit Hoffnung.

Von Jörg Häntzschel

Die Welt ist sich einig: Nicht Joe Biden war der Star bei Bidens Inauguration, nicht Kamala Harris, auch nicht Lady Gaga. Sondern die 22 Jahre alte, bis dahin kaum bekannte Dichterin Amanda Gorman. Schon als sie vor dem Kapitol ans Mikrofon trat, schien eine zweite Sonne aufzugehen. Als sie dann begann, ihr Gedicht "The Hill We Climb" vorzutragen, stockte vielen unter ihren Orden und dunklen Mänteln sichtlich der Atem.

Mit ihren Worten, ihrer Stimme, ihren Händen brachte sie das Publikum der fröhlichen, aber steifen Veranstaltung zumindest im Inneren zum Tanzen. Statt mit jener "Nachdenklichkeit", die man von Lyrik oft erwartet und bekommt, elektrisierte Gorman mit Versen, die eher Musik waren als Marmor, eher Rap als Hymne. Sie verkettete Reime, spielte mit Alliterationen, Klängen, Doppeldeutigkeiten und trug das so nach vorne drängend vor, dass man sich auch weit von Washington im Sessel festhalten musste.

Umso erstaunlicher war das, als Gorman lange unter einem Sprachfehler gelitten hatte. Als Kind konnte sie kein R aussprechen. Wie viele andere, die mit ähnlichen Hindernissen zu kämpfen hatten, schreibt sie ihre Sensibilität für Sprache diesem Umstand zu.

Gorman, die in Harvard Soziologie studierte, hat bislang kaum etwas veröffentlicht, doch ihr Talent blieb nicht unbemerkt. Mit 16 wurde sie als "Youth Poet Laureate" ihrer Heimatstadt Los Angeles ausgewählt, später wurde sie erster amerikanischer "National Youth Poet Laureate". Ihr selbst war lange klar, dass sie für Großes bestimmt ist. "2036 kandidiere ich für die Präsidentschaft. Sie können das in Ihrem Kalender eintragen", erklärte sie 2017. Nicht Biden und Harris machte sie denn auch zu den Protagonisten ihres Textes, sondern sich selbst: "Ein dünnes schwarzes Mädchen, das von Sklaven abstammt und bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist, kann davon träumen, Präsidentin zu werden, um dann ein Gedicht für einen vorzutragen." Genau diese Botschaft war natürlich von Biden beabsichtigt: Ich bin mir meines Alters, meiner Privilegien, meiner Hautfarbe bewusst, lautete sie, bald werden Andere, Jüngere übernehmen.

John F. Kennedy war der erste Präsident, der einen Dichter bat, zu seiner Amtseinweihung zu sprechen. Es war Robert Frost. Später schrieben Miller Williams und Maya Angelou für Bill Clinton, Elizabeth Alexander und Richard Blanco für Barack Obama. Die Idee geht auf die angelsächsische Tradition des "Poet Laureate" zurück, die wiederum an die Tradition des lorbeergekrönten Staatsdichters der Antike anknüpft. Großbritannien ernennt seit mehr als 500 Jahren Poets Laureate, die für große nationale Ereignisse Gedichte schreiben.

Im Rest Europas sieht man das skeptisch. Es ist ja schön, dass der Staat Dichter zum Zweck nationaler Selbstreflexion engagiert. Andererseits liegt dem ein Verständnis von Kunst zugrunde, das lange überholt ist.

Gormans Gedicht ist in vielem denn auch erzkonventionell. Sie tanzt zwar, aber auf dem ausgetretenen Pfad nationaler Erlösung, auf dem auch Biden gern wandert: Amerika ist großartig, aber weit von dem entfernt, was es sein sollte. Wenn wir nur alle zusammenhalten, wird unsere gemeinsame Vision dieses Landes wahr.

Doch sie aktualisiert diesen Topos mit Aufrufen zu Gewaltfreiheit, Inklusion und Diversität. Sie beschwört Einigkeit - aber nicht von Gleichen, sondern von Verschiedenen. Gefahr droht bei ihr nicht, wie sonst oft, von außen, sondern von innen, wie in der "schrecklichen Stunde" des Sturms auf das Kapitol, in dessen Eindruck sie ihr Gedicht geschrieben hat. Und nicht als kraftstrotzende Helden werden die Amerikaner aus dem Kampf um das utopische Amerika hervorgehen, sondern erschöpft und zerschlagen, aber "schön". Und nicht nur die neuen Amtsinhaber, nicht nur die Amerikaner sprach sie an, sondern "die Welt", die aus einer "verwundeten" zu einer "wunderbaren" werden soll.

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