Leserbriefe:Künstliche Intelligenz und echte Existenzsorgen

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SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: Karin Mihm (Illustration))

Eine Leserkontroverse, die sich nicht nur an optimistischem Technikglauben, sondern auch an der problematischen Erdgegenwart orientiert.

"Menschen werden weniger bedeutend sein" vom 5./6. August, "Wie KI das Internet zumüllt" vom 5./6. August, "Unser Wille geschehe" vom 4. August, "Google stirbt" vom 8. August:

Mutmaßung und Gegenwart

Im Interview mit Andrian Kreye ist der "Vater der künstlichen Intelligenz", der Informatiker Jürgen Schmidhuber, vom Planeten Merkur sehr eingenommen. Dieser hat keine störende Atmosphäre und die Sonne als "riesige Energiequelle in nächster Nähe". Von der Erde dorthin, sagt er, werden KIs auswandern und mittels 3-D-Druckern sich selbst replizieren. Im Sauseschritt wird sich dort oben eines Tages "die gesamte Maschinengesellschaft (...) selbst kopieren" und "zum ersten Mal eine neue Sorte von Leben, die nichts mit Biologie zu tun hat und sich trotzdem vervielfältigen kann", anfertigen.

Woher weiß der "Vater der künstlichen Intelligenz" das alles? Ich dachte, für Normalsterbliche gilt, sie können nicht heute schon das Wissen von morgen haben. Für Schmidhuber gelten offenbar andere Regeln.

Wie gut, dass in derselben Ausgabe der SZ auch der Artikel "Wie KI das Internet zumüllt" von Jannis Brühl Platz fand. Untertitel des sehr lesenswerten Textes: "Künstliche Intelligenz produziert noch mehr Trash als Menschen: Robotertexte für die Suchmaschine, Produktbeschreibungen aus der Hölle, Nonsens-Romane über Spitzen-Pyjamas. So könnte das Netz unbenutzbar werden." Brühl beschreibt hier besorgniserregende Dinge über KI, die schon heute bekannt sind. Jürgen Schmidhuber hingegen scheint nur vom Morgen fasziniert - die sichtbaren, die Erde belastenden Nebenfolgen der KI sind nicht seine Sache.

Dr. Reinhart Schneider, Heidelberg

Unlogischer Expansionsdrang

In der von Herrn Schmidhuber skizzierten Welt möchte ich nicht leben, denn eine Herrschaft der Automaten erscheint mir weder sinnvoll noch erstrebenswert. Ich halte seine Annahmen für anthropozentrisch, denn er vergisst, dass die Maschinen keine Gefühle haben und auf die Grundlagen des biogenen Lebens in keiner Form angewiesen sind, sie brauchen weder Ameisen noch Luft zum Atmen. Warum sollten sie also Rücksicht auf uns nehmen, unsere Bedürfnisse berücksichtigen und uns am Leben lassen, wenn sie uns und unsere Hilfe gar nicht benötigen, bestenfalls könnten wir geduldet sein. Und wieso unterstellt er der KI einen ebensolchen Expansionsdrang, wie wir Menschen ihn haben? Klingt unlogisch, außer wir haben ihn einprogrammiert. Da ich der Ansicht bin, dass es bisher keine echte KI gibt, kann ich mich aber noch beruhigt zurücklehnen.

Michael Beck, Wolfenbüttel

Maschinen-Egoismus

Im Interview mit Jürgen Schmidhuber hätte ich mir an einer Stelle ein genaueres Nachfragen vorstellen können, nämlich bei den Zielkonflikten zwischen KI und Menschen. An einer bestimmten Stelle konkurrieren wir ja um eine knappe Ressource, nämlich Strom. Und wenn eine künstliche Intelligenz für ihre Server nur ausreichend Strom bekommen kann, indem sie Kühlhäuser, Gewächshäuser, Krankenhäuser et cetera vom Netz nimmt, dann wird sie das tun. Ganz ohne "böse" Vernichtungsabsicht.

Ich stelle mir vor, dass eine KI sich ähnlich verhält wie das "egoistische Gehirn" des Menschen in Sachen Zucker: Selbst wenn übermäßiger Zuckerkonsum für den Rest des Organismus schädlich ist, verlangt das Gehirn nach Süßigkeiten, weil das die schnellste und bequemste Energiequelle ist. Und das, obwohl im selben Gehirn irgendwo die Information über die Schädlichkeit des Zuckers gespeichert ist.

Meine Befürchtung ist: Die Expansion der KI in entfernte Galaxien, die Herr Schmidhuber prognostiziert, wird erst einsetzen, wenn die Erde ausgebeutet und der lästige Konkurrent homo sapiens ausgerottet ist. In diesem Punkt dürfte die KI sich also ziemlich menschlich verhalten.

Dr. Oliver Thomas Domzalski, Hamburg

Düstere Voraussagen

Leider finde ich Jürgen Schmidhubers Voraussagen, obwohl ich mich bisher eher wenig für Science Fiction erwärmen konnte, ziemlich plausibel. Wenn nach seinen Aussagen demnächst die kurze Periode in der Evolution zu Ende gehen wird, in der wir glauben konnten, die Krone der Schöpfung zu sein und den Fortgang der Geschichte selbst in der Hand zu haben, dann scheint mir das auf ein Ende der Politik im für uns gewohnten Sinne hinauszulaufen. Dann wäre die umfassende Verantwortung der Menschheit für ihr Schicksal hinfällig und die grundsätzliche Machbarkeit ihrer einmal gefassten Absichten als Illusion entlarvt.

Wäre es nicht eine große Ironie der Geschichte, wenn wir damit zu einem vorneuzeitlichen Weltbild zurückkehrten, das von übermenschlichen, allwissenden und allmächtigen Wesen dominiert wurde und in dem alles menschliche Tun vergleichsweise läppisch erscheinen musste? Können wir unser Schicksal dann nicht gleich den Tech-Konzernen überantworten und einfach abwarten - je nach Naturell optimistisch oder angstvoll -, was von dort als Nächstes über uns kommen wird?

Axel Lehmann, München

Unklare Autonomie

Erstaunen und Empörung waren die vorherrschenden Gefühle beim Lesen des Interviews mit Jürgen Schmidhuber angesichts der geäußerten haltlosen, menschenverachtenden Fantasien. Die verharmlosende Antwort Schmidhubers auf die Frage, ob KI die Menschheit versklaven könnte, ist sehr typisch: Warum sollte sich KI die Mühe machen, Menschen zu versklaven, sie hat Besseres zu tun; sie geht mit Menschen um wie beim Hausbau mit einem Ameisenhügel, der beseitigt wird - es bleiben noch so viele Ameisen übrig.

Wenn künstliche Intelligenzen sich endlich selbst reproduzieren können, werden angeblich ganz neue Tätigkeiten und Strukturen entstehen - der ganze Weltraum steht ihnen offen. Als Trost wird für uns angeboten: Solange die Menschen nicht vollständig verstanden sind, bleiben sie eine unglaubliche Quelle interessanter Muster; KI wird auch unsere schöne Biosphäre erhalten, so wie wir auch Naturschutzgebiete erhalten.

Vollkommen ausgeblendet wird in diesen sinnleeren Zukunftsfantasien, wie die KI zu ihren Zielvorstellungen kommt, der Sprung in die Autonomie der KI ist unklar. Absolut vorstellbar ist, dass Gruppierungen von dann autonomen künstlichen Intelligenzen gegeneinander antreten - die menschliche Intelligenz hat es vorgemacht. Mit unvorstellbaren Folgen.

Manfred Möllenhoff, Baldham

Der Wille des Universums

Das sind ja tolle Perspektiven, die Jürgen Schmidhuber da prophezeit. Man fragt sich halt nur: Warum sollte die KI respektive warum sollten Maschinen das, was Herr Schmidhuber in Aussicht stellt, überhaupt wollen: Wachstum, Ausbeutung des Merkur, der ja so sexy ist, und anderer Planeten, schließlich die Übernahme des Universums. Was hätten sie davon? Was treibt sie an? Ist es der "eingebaute Wille des Universums als Ganzes", der dann auch Maschinen leitet? Schwierig, schwierig. Bislang gibt es ja viele Leute, die wissen, was der Wille Gottes ist, jetzt geht's um den Willen des Universums.

Oder übernehmen die Maschinen vielleicht einfach nur das Verhalten, das sie von ihren Schöpfern vermittelt bekommen haben? Wenn KIs untereinander zu Konkurrenten werden, wie werden dann Konflikte ausgetragen? Fragen über Fragen!

Hans Christof Riedmann, Lohr

Machtwahn und Hybris

Der Artikel von Philipp Bovermann hat die pseudoreligiöse Anbetung maschineller Möglichkeiten und die Verwirrung stiftende sprachlich-denkerische Oberflächlichkeit trefflich herausgestellt. Bei allem Potenzial und der Komplexität: Es gilt zuvorderst, die Hybris des menschlichen Machbarkeits- und Kontrollwahns abzuwehren, der letztlich in ungesunde Passivität selbst denkender Menschen führt. Das Glücksversprechen, das darin bestehen soll, dass Menschen arbeitslos, leid- und mühebefreit kein Scheitern mehr erleben, dafür aber mühelos gefüttert werden durch Maschinen, entspringt kranken und entmenschlichenden Gedankengängen. Mit geschichts- und gesichtslosen Schlagworten, die im Artikel aufgeführt werden, wird das Scheingebilde offenbar. Die Dynamik im öffentlichen Diskurs erscheint von ungebrochener Fortschrittsfaszination getragen und nicht zuletzt von Ohnmachtsgefühlen. Die Macher betrachten offenbar den Menschen als lernunfähiger, als Maschinen es sind. Menschliche Unvollkommenheit wird hier Störfaktor, dessen man sich entledigen will. Das Menschenbild, das dem zugrunde liegt, betreibt eine Entfremdung des Menschen vom irdischen Lebensraum in eine Form von maschinell gesteuerter Harmonie durch Anpassung. Bedingt durch die Omnipräsenz des Internets und die Vernetzung mit jeglicher Hardware weltweit, müssen dem gegenüber, was mit der KI kommt, alle bisherigen historischen Herrschaftsformen, die immerhin bloß zeitlich begrenzte und regionale Wirkung hatten, als harmlos gelten. Die politische Willensbildung muss sich, was den spirituellen Faktor angeht, hier deutlich intensiver auf den Weg machen, um hier die Kontrolle nicht endgültig an die Elons, Larrys, Ji Xis und Bills abzugeben.

Kai Hansen, Nürtingen

Eine Fantasie mit Aus-Knopf

Der Mensch schaltet die Maschinen an oder aus. Der Mensch hat jederzeit die Möglichkeit, den Aus-Knopf zu betätigen und den Quark auszuschalten. - Genauso ist es bei allen anderen denkbaren "Existenz"-Varianten der KI. Von Schmidhuber wird eine eigenständige Intelligenz postuliert, die nicht eigenständig ist, sondern - wie mittlerweile die Natur - der Macht des Menschen vollkommen ausgeliefert ist, und dies, im Gegensatz zur Natur, von Anfang an. Unwahrscheinlich, dass sich ausgerechnet der Mensch von seinem eigenen Geschöpf die Macht aus der Hand nehmen lassen würde. Was Schmidhuber da herbeiträumt, ist von vorne bis hinten Unsinn. Und zwar deshalb, weil eine entfesselte, vom Menschen losgelöste KI für den Menschen keinerlei Sinn hat. Man darf sich da durch all den technologischen und mittlerweile unüberschaubaren Fortschritt nicht blenden lassen: Der Mensch kann Unglaubliches vom Stapel lassen mit unvorhersehbaren Auswirkungen, aber am Ende kann er seine Werke, wie die Atomkraft, schlichtweg abschalten.

Andreas Pfichner, Unterhaching

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