Bauernproteste:Aiwanger, der Minister für Populismus

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Wechselt die Rollen, wie es ihm gerade nützt: Bayerns Regierungsmitglied Hubert Aiwanger beim Münchner Bauernprotest gegen die Regierung. (Foto: Lennart Preiss/dpa)

Demokratisch gewählt, aber an der Seite derer, die das Gewaltmonopol des Staates missachten - das nehmen viele Leser dem Staatsminister übel.

"Der Proteststaubsauger" vom 10. Januar, "5500 Traktoren mitten in der Stadt" und "Tausende Traktoren blockieren Bayerns Straßen", beides vom 9. Januar, Leitartikel "Morbus Aiwanger" vom 8. Januar:

Unangemessene Erpressung

Als ich heute von feixenden Bauernlümmeln auf ihren Traktoren daran gehindert wurde, einen seit Wochen anstehenden Krankenhaustermin wahrzunehmen (zum Glück nichts Schlimmes), dachte ich einen Moment zu träumen. Werde ich tatsächlich gerade von denjenigen behindert, die seit Jahrzehnten unter anderem von meinen Steuergeldern subventioniert werden und die ich bislang mit höheren Preisen für regionale Produkte beglückt habe?

Nun - letzteres werde ich sofort beenden, und was die Subventionen anbelangt, kann ich die Politik nur auffordern, den Erpressungen dieses Berufsstandes nicht nachzugeben. Dafür stehe ich dann gerne noch etwas länger im Stau.

Manfred Leimkühler, Landsberg am Lech

Zweierlei Maß

Natürlich hätten andere Maßnahmen als die Subventionskürzungen zu Lasten der Bauern mehr gebracht für das leere Staatssäckel; insbesondere denke ich da an die Besteuerung von Kerosin. Das hätte nebenbei für den Klimaschutz positive Auswirkungen (aber der FDP vermutlich nicht gefallen).

Andererseits unterscheidet sich das, was die Bauern machen, nur dadurch von den Klimaschützern, dass sie mit ihren schweren Maschinen den Verkehr blockieren und sich damit wohl nicht in die Gefahr begeben, von wütenden Blockierten angegriffen zu werden. Dabei hat die Politik bereits auf die bloße Androhung der Aktionen einen großen Teil der Einsparmaßnahmen rückgängig gemacht.

Die Klimaschützer kämpfen - ob mit geeigneten Mitteln oder nicht, lasse ich mal dahin stehen - für alle. Denn der Klimawandel bedroht die gesamte Menschheit. Dafür werden sie von "engagierten" Politikern als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet und von deutschen Strafgerichten verurteilt. Die Bauern hingegen kämpfen für sich um ihre Privilegien. Und obwohl nicht wenige von ihnen durch intensivste Tierhaltung selbst zu einem Gutteil am Klimawandel beteiligt sind, erlaubt deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit deren Blockadeaktionen. Ist also Blockade der Einen (nennen wir sie wegen ihrer Ziele gemeinnützig) eine Straftat, und die der Anderen (nennen wir sie wegen ihrer Ziele einfach eigennützig) erlaubt? Warum?

Felix Kreipe, Am Mellensee

Freibrief für Demokratiefeinde

Bei den geplanten Protestaktionen der Bauern kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus, was alles geht, wenn sich mächtige finanzielle Interessen der Bauern und politisches Kalkül von Populisten und Extremisten auf ein Packerl hauen. Die Aktivisten der "Letzten Generation" werden neidisch auf die Blockaden der Bauern blicken, können dabei aber sogar noch eine Menge lernen: Nicht kleben, sondern mit schwerem Gerät den Verkehr lahmlegen, dann ist's okay. Oder macht "Klimaschutz" als Ziel Blockaden verwerflich und kriminell, das eigene finanzielle Interesse zu verfolgen aber legal und legitim?

Klimaaktivisten werden wegen angekündigter Blockaden in Polizeigewahrsam genommen, bei den Bauern-Blockaden bis hin zur Drohung mit einer gezielten Lahmlegung des Landes, regelt die Polizei den Ausweichverkehr und rät von Fahrten ab? Natürlich dürfen die Bauern sich versammeln, aber warum mit bedrohlichem und potenziell gefährlichem Gerät an Anschlüssen von Fernstraßen? Die Generalstaatsanwaltschaft München verfolgt Klimaaktivisten als mutmaßliche "kriminelle Vereinigung" mit Strafverfahren, Hausdurchsuchungen und Vermögensarrest - die Bauern bleiben unbehelligt und bekommen auch noch einen Freibrief von Politikern wie Hubert Aiwanger mit seinem Gefasel von "Notwehr"? Den Begriff kann man drehen und wenden, wie man will, er bezeichnet immer eine besondere Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol, in der es wegen konkreter Gefahr für Leib und Leben, für Hab und Gut erlaubt ist, die zur Abwehr der Gefahr nötige Gewalt anzuwenden. Ein Minister, der ein vermeintliches Recht zur gewaltsamen Selbsthilfe der Bauern zur Durchsetzung von deren finanziellen Interessen gegen Entscheidungen einer demokratisch gewählten Regierung und damit mögliche Straftaten vorab legitimiert und nicht umgehend entlassen wird? Ermitteln da wenigstens die Staatsanwälte?

Gleichheit vor dem Gesetz, Gewaltmonopol des Staates, demokratisch legitimierte Herrschaftsausübung - alles nur noch, wenn es in den eigenen Kram passt?

Eine durch und durch populistische Politik und eine Justiz, die auf einem Auge blind ist und dafür auf dem anderen umso schärfer sieht, die Rechtsextremisten gewähren lässt, haben schon bei der Zerstörung der Weimarer Republik mitgeholfen. Allmählich mache ich mir Sorgen, dass die Erosion von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bei uns schon wieder weit vorangeschritten ist.

Detlev Schubert, Parkstetten

Aiwangers Arbeitszeit

Mich würde ja wirklich mal interessieren, ob der bayerische Staatsminister für Populismus, nebenberuflich auch als bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie tätig (mit Vollzeitbesoldung B 11?) nur in seiner Freizeit an den Bauerndemos teilnimmt. Und ob er sich dazu ordnungsgemäß "ausgestempelt" hat. Denn bei jedem kleinen Mitarbeiter würde das Teilnehmen an einer Demonstration während der Arbeitszeit zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen.

Aber wahrscheinlich gibt es immer noch Unterschiede zwischen uns da unten und denen da oben, auch wenn man sie "Hubsi" nennen darf.

Christoph Spagl, Kirchheim

Wegbereiter für Rechts

Es ist so empörend wie beängstigend, dass Michaela Kaniber sich mit Alice Weidel und Sahra Wagenknecht ins weibliche Dreigestirn des schadenfrohen "Verständnisses" für die Attacke gegen Robert Habeck einreiht. Ahnt sie nicht, dass sie als Spitzenpolitikerin einer staatstragenden Partei und Ministerin einer Landesregierung genau zu jenem "System" gehört, dem Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus den Kampf angesagt haben? Hat man ihr nicht mitgeteilt, dass die vielfach bedrängten und bedrohten Merkel und Kretschmer und der ermordete Lübcke gerade nicht zu jenen Roten und Grünen gehören und gehörten, denen sie Belästigung und Bedrohung gerne gönnt? Hat sie nicht mitbekommen, dass "Heizhammer", "Genderwahn", "Insektenfressen" und jetzt "Bauernprotest" nur die beliebigen Mobilisierungsköder jener Bewegungen sind, die uns in eine autoritäre Herrschaft nach einem Muster irgendwo zwischen Trump, Orbán, Putin und Erdoğan führen wollen? Hat sie sich einmal Gedanken über die Legitimität strafrechtlicher Maßnahmen gegen "Klimakleber" gemacht, wenn sie persönliche Nötigungen und massive Straßenblockaden mit tausenden schweren Traktoren gutheißt? Viele Fragen, die gewiss unbeantwortet bleiben werden. Lieber Herr Ministerpräsident Söder, weiterhin viel Spaß mit dieser Ihrer Regierung! Immerhin: Wer so eine Ministerin in der eigenen Partei hat, muss sich über den Koalitionspartner beziehungsweise dessen Bruder nicht mehr aufregen.

Andreas Knipping, Eichenau

Taten statt Sprüche

Herr Esslinger spricht im Leitartikel zu Recht vom "Morbus Aiwanger", einer billigen Demokratieschelte, die nur schadet. Niemand hindert Regierungs- und Parteichefs daran, mehr Demokratie zu wagen, aber bitte mit Taten, nicht mit Aiwangerschen Sprüchen.

Dr. Joseph Kuhn, Dachau

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