Zeiterfassung:Arbeit hat Grenzen!

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Bis spät am Abend im Büro zu sitzen, ist für viele Arbeitnehmer keine Seltenheit. (Foto: REUTERS)

Der Europäische Gerichtshof schützt Arbeitnehmer vor ihren Arbeitgebern - und vor sich selbst.

Kommentar von Larissa Holzki

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs wirkt wie ein Paukenschlag: Arbeit hat Grenzen! Dass Job und Freizeit immer mehr verschwimmen, dass Arbeitnehmer immer mehr das Gefühl haben, stets erreichbar sein zu müssen, ist unzumutbar. Die Mitgliedstaaten der EU müssen nun Arbeitgeber verpflichten, die tatsächliche Arbeitszeit zu erfassen, sagt der Gerichtshof. Er schützt damit die Arbeitnehmer vor ihren Arbeitgebern. Und er schützt sie auch vor sich selbst. Es war höchste Zeit.

Die obersten EU-Richter haben ihr Urteil ganz hoch aufgehängt. Sie berufen sich auf die Grundrechtecharta. Sie sagen damit, dass die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Ruhepausen ein Grundrecht ist, das mit großer Sorgfalt geschützt werden muss. Maximal 48 Stunden Arbeit pro Woche, mindestens elf Stunden Ruhezeit am Stück pro Tag und mindestens einmal in der Woche 24 Stunden Ruhezeit: Nicht weniger als die Achtung der Menschenwürde verlangt es, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich daran halten. Es gibt Grenzen der Entgrenzung.

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Die Arbeitszeit kann zum Beispiel per Chipkarte im Büro erfasst werden, per Programm auf dem Laptop oder per App auf dem Smartphone. Das stellt der Gerichtshof den Mitgliedstaaten frei. Weder für den Betrieb noch den Mitarbeiter muss daraus ein großer bürokratischer Akt werden. Es könnte reichen, wenn sie ihren PC hochfahren. Fest steht: Die Arbeitszeit wird sichtbar werden, und schon das kann sehr viel ändern. Denn wenn Arbeitnehmer ihr Stundenkonto einsehen, wenn sie registrieren, wann sie ihre beruflichen E-Mails gecheckt haben, dann werden sie erkennen, wie viel ihrer Lebenszeit sie betrieblichen Interessen opfern - und wie sehr ihre Arbeit ihr Leben bestimmt. Die Arbeitszeiterfassung könnte wie ein Warnsignal vor dem Burnout wirken.

Für viele, die ihren Beruf mit Leidenschaft machen, steht Arbeitszeiterfassung im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis. Doch das ist gar nicht nötig. Niemand schreibt ihnen vor, dass sie ab sofort nur noch Dienst nach Vorschrift leisten dürfen. Es geht darum, sich bewusst zu werden, was man geleistet hat. Auch künftig wird jeder freiwillig Überstunden machen können. Arbeitgeber dürfen es bloß nicht erwarten, und sie werden sich fragen müssen, ob ihre Mitarbeiter wirklich die Wahl haben. Es gibt heute Mitarbeiter, die bis an die Grenzen ihrer Kräfte um die Gunst der Vorgesetzten wetteifern. Künftig sollte an der Grenze des Erlaubten für alle eine rote Linie zu sehen sein.

Bleibt die Frage, ob die Arbeitszeiterfassung mit Datenschutzrichtlinien vereinbar ist. Werden die Mitarbeiter "gläsern"? Der Datenschutz habe für das übergeordnete Recht auf Begrenzung der Arbeitszeit zurückzustehen, sagen die EU-Richter. Tatsächlich müssen Gesetzgeber und Betriebsräte sich des Themas annehmen. Für die Arbeitgeber wird künftig viel besser vergleichbar sein, wer sein Pensum in welcher Zeit erledigt. Für die Auswertung dieser Daten muss es Grenzen geben. Die Angst vor einem objektiven Leistungsvergleich, die nun viele umtreibt, ist aber auch entlarvend. Sie zeigt die Bereitschaft, mehr zu arbeiten, wenn andere vermeintlich schneller oder effizienter sind. Das Urteil des EuGH stärkt die Rechte der Arbeitnehmer. Auch wenn es manchem ungeheuerlich erscheint.

© SZ vom 15.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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