Arbeitszeit:Vier Tage arbeiten statt fünf? Eine Idee mit Charme

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Immer mehr Menschen verbringen mehr als 40 Stunden in der Arbeit. Dabei wäre eine Verkürzung der Arbeitszeit viel sinnvoller. (Foto: Kay Nietfeld/picture alliance / dpa)

Arbeitszeitverkürzung war lange kein Thema in der öffentlichen Debatte. Doch nun kämpfen Gewerkschaften und Arbeitnehmer wieder für kürzere Arbeitstage und -wochen. Dafür ist es auch höchste Zeit.

Von Christoph Gurk

Wenn Firmenbosse die komplette Belegschaften zusammentrommeln, heißt das meist nichts Gutes. Kürzungen, Stellenabbau, feindliche Übernahme: Unheil kommt in vielerlei Gestalt. So hätte es auch bei der Firma Perpetual Guardian sein können, deren Belegschaftsversammlung im Internet nachzusehen ist, die Mitarbeiter wirken deutlich angespannt.

Perpetual Guardian ist Neuseelands größter Treuhand-Verwalter. Das Geschäft läuft damals, im Februar 2018, gut, 230 Angestellte hat die Firma, und die Mehrzahl ist nun in einem nüchternen Konferenzraum zusammengekommen. Wer keinen Stuhl gefunden hat, hockt auf dem Boden, bis in die Gänge stehen Mitarbeiter, gespannte Stille, dann fängt Andrew Barnes an zu sprechen. Es sei manchmal recht schwer, Leben und Arbeiten unter einen Hut zu bringen, sagt der Chef von Perpetual Guardian. Darum werde die Firma etwas Neues ausprobieren: Vier Tage arbeiten statt fünf - bei gleichbleibendem Gehalt. Es folgt: nervöses Lachen.

Arbeitszeitkürzungen bei guter Auftragslage: Das klingt erst mal verrückt. Genauer betrachtet aber hat die Idee Charme. Denn eine kürzere Vollzeit, egal ob es nun 32, 30 oder nur 28 Stunden sind, nutzt nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch den Unternehmen - und am Ende vor allem der Gesellschaft.

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Seit Beginn der Arbeiterbewegung kämpfen Arbeitnehmer und Arbeitgeber um kürzere Arbeitszeiten. 1919 kam der Achtstundentag und in den 50ern die Fünftagewoche. 1984 streikte die IG-Metall für die 35-Stunden-Woche in Westdeutschland, mit Erfolg. Als sie das Gleiche 2003 für Ostdeutschland versuchte, scheiterte sie, auch am Rückhalt in der Gesellschaft. Das Thema Arbeitszeitverkürzung war tot. Doch das ändert sich nun.

Mehr Arbeit macht krank, aber nicht produktiver. Im Gegenteil

Als Perpetual Guardian seinen Modellversuch startete, löste das international Schlagzeilen aus. Das kleine Unternehmen vom Ende der Welt hatte einen Nerv getroffen. Studien zeigen, dass alleine hierzulande 18 Millionen Menschen gerne Arbeitsstunden abgeben würden. Selbst Manager sagen heute bei Befragungen, dass sie eigentlich lieber etwas kürzertreten würden. Ganz konkret entschieden sich Anfang des Jahres mehr als die Hälfte der Mitglieder der Eisenbahngewerkschaft EVG für mehr Freizeit statt für mehr Lohn. Und gerade erst hat die IG Metall auf großen Wunsch ihrer Mitglieder bei den Arbeitgebern den Anspruch auf eine Verkürzung der Arbeitszeit auf bis zu 28 Wochenstunden durchgesetzt.

Auf den ersten Blick wirkt das alles natürlich paradox. Statistisch gesehen arbeiten die Vollzeiterwerbstätigen in Deutschland nämlich 41 Stunden pro Woche, weniger also, als in den allermeisten anderen Industrienationen weltweit. Dazu gibt es noch durchschnittlich 27 Urlaubstage, die Möglichkeit zu Sabbaticals, zur Reduzierung auf Teilzeit, Homeoffice und vieles mehr. Die Deutschen leben im Arbeitsschlaraffenland.

Auf der anderen Seite macht aber auch niemand in Europa so viele Überstunden, wie wir: 1,7 Milliarden waren es alleine 2016, der Großteil davon unbezahlt. Immer mehr Menschen verbringen mehr als 40 Stunden in der Arbeit: 2003 lag ihr Anteil bei 37 Prozent, heute ist er auf mehr als die Hälfte gestiegen.

Zu alldem kommt, dass sich auch die Arbeit selbst verändert hat. Tempo und Termindruck steigen, 80 Prozent aller Menschen, die Vollzeit arbeiten, klagen, sie seien ständig gestresst. Jenes dumpfe Gefühl manifestiert sich dann in psychogenen Belastungserkrankungen und Depression. Die verschriebene Menge Antidepressiva hat sich laut einer Studie der Techniker Krankenkasse in den vergangenen zehn Jahren mindestens verdoppelt, und jeder fünfte Arbeitnehmer hat schon einmal einen Burn-out erlebt.

In der Forschung ist heute unumstritten, dass zu viel Arbeit krank macht. Andersherum sind sich Wissenschaftler aber genauso einig , dass mehr Arbeit nicht unbedingt auch mehr Leistung bringt. Im Gegenteil. Untersuchungen zeigen, dass wir uns an einem Achtstundentag im Durchschnitt nur zweieinhalb wirklich konzentriert unserer Arbeit widmen.

Es waren genau solche Studien, die Andrew Barnes, den Chef von Perpetual Guardian, zu dem Experiment mit der Viertagewoche inspirierten. Um bei 32 statt 40 Wochenstunden die gleiche Menge an Arbeit erledigen zu können, wurden die Betriebsabläufe optimiert, Konferenzen beispielsweise reduziert und "Nicht stören"-Signale eingeführt. Nach acht Wochen stellten neuseeländische Forscher, die das Experiment überwachten, fest, dass die Arbeit nicht nur genauso gut erledigt wurde, sondern sogar besser als zuvor. Aber klar: So einfach ist es natürlich nicht immer. Denn Arbeit kann oft nicht weiter komprimiert werden, gleichzeitig darf sie auch nicht zu einem täglichen Kurzstreckenlauf werden, bei dem man keine Zeit hat, nach links oder rechts zu schauen.

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Damit eine Verkürzung wirkt, muss Arbeitszeit auch neu verteilt werden, notfalls auch auf mehr Stellen. Betriebswirtschaftlich gesehen klingt auch das natürlich wieder verrückt. Gerne wird an dieser Stelle das Beispiel eines Altenheims in Schweden angeführt, das 2015 für seine 80 Mitarbeiter testweise den Sechsstundentag einführte. 14 neue Pfleger mussten deswegen eingestellt werden, 1,25 Millionen Euro kostete das alles, nach zwei Jahren wurde das Experiment beendet.

Tatsächlich muss eine Arbeitszeitverkürzung aber nicht unbedingt mehr kosten. Forscher glauben, dass sich am Ende die Mehrkosten mit Einsparungen gegenrechnen könnten: Denn es gäbe zwar mehr Angestellte, jeder von ihnen wäre im Schnitt aber produktiver als zuvor und dazu auch noch weniger krank. In einem Altenheim bringt das nun nicht unbedingt mehr Einnahmen, in einer Fabrik oder Agentur aber schon. Beispiele für erfolgreiche Versuche gibt es hier darum auch viele, in Schweden, in Deutschland, in den USA und nun eben auch in Neuseeland.

Eine Lösung: Die Technik

Doch selbst wenn sich die Kostenfrage lösen ließe, sagen Kritiker, gäbe es immer noch ein weiteres, schwerwiegenderes Hindernis: den Fachkräftemangel. Der ist schon jetzt dramatisch. Berechnungen zeigen: Ohne Zuwanderung würde die Zahl der Menschen in Deutschland im erwerbsfähigen Alter von 54 Millionen auf 31 Millionen im Jahr 2060 sinken. Und wieder: Arbeitszeitverkürzung in dieser Situation? Dabei gäbe es auch für dieses Problem durchaus Lösungen.

Einmal ist da die Technik. Schon jetzt können sich Handwerker zum Beispiel den Materialeinkauf von Algorithmen abnehmen lassen. Für Krankenhäuser und Altenheime gibt es Sensoren, die dabei helfen, Patienten zu pflegen. Künstliche Intelligenz kann Verträge analysieren, und Roboter arbeiten autonom in der Fabrik. Gerade erst hat das Weltwirtschaftsforum eine Studie veröffentlicht, laut der schon 2025 Maschinen und Algorithmen mehr Arbeitsstunden verrichten werden, als Menschen. Ein Unternehmen, das sich jetzt schon auf all das vorbereitet, löst für sich nicht nur das Problem des Fachkräftemangels, es investiert auch in die Zukunft.

Abseits von der Technik gäbe es auch noch eine weitere, menschliche Lösung: Man müsste die vorhandene Arbeitszeit anders und vor allem gerechter verteilen. Denn jenen 18 Millionen Menschen, die dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung 2015 sagten, dass sie gerne Arbeitsstunden abgeben würden, standen schon damals fünf Millionen gegenüber, die gerne mehr gearbeitet hätten. Gehindert wurden sie daran beispielsweise von Steuern und Sozialabgaben, die jedes Plus an mehr Stunden und mehr Lohn aufgefressen hätten.

Oder aber sie scheiterten an verkrusteten Strukturen. Denn in vielen Unternehmen sind die Jobs immer noch auf Vollzeitstellen zugeschnitten, ganz besonders dann, wenn sie mehr Verantwortung beinhalten. Das führt dazu, dass es entweder den Posten in der Abteilungsleitung oder gar der Chefetage gibt, mit 40 Stunden aufwärts. Oder die Teilzeitvariante, mit 20 Stunden pro Woche und ohne Aufstiegs- und vor allem Aufstockchancen.

Das ist ungerecht. Denn meist entscheiden sich vor allem Mütter für die Teilzeit, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Eine Arbeitswelt, die von vornherein darauf eingestellt wäre, dass der Großteil der Mitarbeiter nicht immer fünf Tage die Woche und jeden Tag acht Stunden lang im Büro ist, würde so auch helfen, die Berufschancen von Mann und Frau anzugleichen.

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Eine gerechtere Verteilung der Arbeitszeit würde gleichzeitig auch zu einer gerechteren Gesamtgesellschaft beitragen. Denn mehr zu arbeiten heißt immer auch mehr zu verdienen. Die Stundenlöhne in Teilzeitjobs sind im Schnitt um rund 18 Prozent niedriger als bei Vollzeitstellen. In den ärmsten Haushalten ist die Arbeitszeit seit den 1990ern um fast 31 Prozent gesunken, in der Oberschicht dagegen nur um 6,5 Prozent. Nähme man der breiten Masse einen Teil ihrer Arbeitszeit, so wie es sich ja ohnehin viele wünschen, und gäbe diese Stunden denjenigen, die zu wenig davon haben, würde sich die Schere zwischen Arm und Reich ein klein wenig schließen. Das ist machbar.

Die Verkürzung der Vollzeit ist der beste Weg

Einen Ingenieur kann man natürlich nicht einfach durch zwei ungeschulte Minijobber ersetzen, aber vielleicht durch zwei Teilzeitkräfte, die qualifiziert sind, aber wegen ihrer familiären Situation eben nicht bereit, 40 Stunden pro Woche zu arbeiten. Dazu kommt, dass unter den Top- 15-Jobs mit den meisten Arbeitsstunden ohnehin auch Berufe sind, für die man kein langjähriges Studium braucht. Maurer, zum Beispiel, Schweißer, Lastwagenfahrer, Soldat oder Polizist.

Wie diese neue Arbeitswelt dann letztendlich aussieht, ob es die Vier- oder sogar Dreitagewoche ist und ob Menschen sechs Stunden arbeiten oder vielleicht nur fünf, wird sich zeigen. Wichtig ist allein, dass Arbeit nicht nur fair entlohnt, sondern auch gerechter verteilt wird. Am besten ginge das über eine Verkürzung der Vollzeit. Zum Nutzen der Arbeitnehmer, der Unternehmen und vor allem auch der Gesellschaft. Die Firma Perpetual Guardian in Neuseeland wird ihr Experiment jedenfalls in Zukunft fortsetzen: Von Oktober an soll dort die Viertagewoche auf Dauer gelten.

© SZ vom 22.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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