Jobwechsel:Karriere im Kaff

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Waldkirch liegt wie viele Orte in der Provinz - und muss deshalb um Fachkräfte buhlen. (Foto: oh)

Kleinstädte haben ihr Flair - für viele Menschen kommen sie aber nur für Ausflüge in Frage, nicht als Arbeitsort. Wie Unternehmen sie vom Gegenteil überzeugen.

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In Weinheim sind die Chancen am größten. Nirgendwo könne er gerade besser tun, was er liebt, sagt Stephan Schwarzbach. Der 38-Jährige könnte vom Wandern reden, vom Ausspannen zwischen Fachwerkhäuschen. Aber er meint die Arbeit. Im Januar hat er München verlassen, um von Weinheim aus Unternehmen zu beraten. "Der Ort spielte keine Rolle", sagt er. Schwarzbach wollte in genau diesem Unternehmen, mit genau diesen Kollegen arbeiten.

Für viele Menschen spielt der Ort bei der Jobsuche sehr wohl eine Rolle - weil sie sich einen Umzug nicht leisten können, Eltern pflegen müssen oder am bisherigen Ort hängen - etwa weil die Partnerin dort beschäftigt ist. Das darf nicht vergessen werden bei der Frage, warum sich Stellen in Großstädten leichter besetzen lassen und welche beruflichen Chancen sich in den Kleinstädten derzeit gerade deshalb bieten: Es gibt Menschen, die sich locken lassen. Anderen kann der Wechsel ermöglicht werden.

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"An manchen Standorten kämpfen wir um jeden Bewerber", sagt Martina Kloos, die das Personalmarketing von Aramark leitet. Für den Gastronomie-Dienstleister sucht sie vor allem Köche, aber auch anderes Personal für Küche und Hotel. Zu wenige Menschen, die etwa am Starnberger See aufgewachsen sind, interessieren sich für die vakanten Positionen dort.

Die Not in vielen Kleinstädten ist so groß, dass sich aus Sicht der Arbeitgeber ein Stellenmarkt für Kandidaten zweiter Klasse entwickelt. Bewerber mit schlechten Noten und wenig Erfahrung werden eingestellt und geduldiger denn je eingearbeitet. Auch Aufstiegschancen sind häufig gegeben: "Eine Spülhilfe kann sich zur Küchenhilfe qualifizieren und zur rechten Hand des Kochs werden", sagt Kloos. Personal fehlt schließlich auf allen Ebenen. Aber sie kennt auch die Hemmnisse: "Die Umzugsbereitschaft ist sicherlich keine Frage des Bildungsgrades, sondern des Portemonnaies. Jemand in einer höheren Position kann die mit einem Umzug verbundenen Kosten einfacher stemmen als jemand, der im Hilfsbereich tätig ist." Wenn die Not sehr groß ist, übernehme das Unternehmen mittlerweile auch mal die Maklerkosten oder helfe vorübergehend, die Miete zu zahlen. Über verschiedene Wege können Mitarbeiter an Standorten mit Personalproblemen besser vergütet werden als an den beliebten Standorten, wenn es denn sein muss.

Wie in den Millionenstädten auch, gibt es in kleinen und mittelgroßen Städten Jobs, die einfach nur Geld bringen und solche, die Prestige und Abwechslung versprechen. Die frische Luft und die häufig geringeren Lebenskosten sind nur die offensichtlichsten Gründe, weshalb Jobsuchende und Wechselbereite über den Karriereschritt ins Kaff nachdenken sollten. Gerade junge Leute schubsen Unternehmen gerne in diese Richtung mit der Aufforderung: Zeig dein Potenzial in der Pampa! Das Unternehmen verpflichtet sich im Gegenzug, die nächste passende Stelle am Wunschstandort an den Kandidaten zu vergeben.

Viele Mittelständler können so einen Handel nicht anbieten. Dort sehen Personaler, welche psychische Herausforderung ein beruflich bedingter Umzug für Kandidaten sein kann. Rudolf Kast etwa war 16 Jahre lang Personalleiter der Sick AG - Weltmarktführer in der Sensorik, global tätig mit 8000 Mitarbeitern, Stammsitz in Waldkirch am Fuße des Kandels. Gleitschirmflieger kommen gerne dort hin, Technik-Experten zögern. Die 20 000-Einwohner-Stadt liegt zwar unweit von Freiburg, viel Industrie gibt es aber in ganz Südbaden nicht. "Für potenzielle Kandidaten taucht die Frage auf: Was, wenn es mir in dem Unternehmen nicht gefällt?", sagt Kast. Dann müsste der Mitarbeiter wieder umziehen, nach Basel, Zürich oder Karlsruhe zum Beispiel.

Hilfreich kann es dann nach Kasts Erfahrungen sein, wenn das Unternehmen eine Firmenhistorie hat, die dem Kandidaten einen Eindruck von der Kultur gibt: "Wenn ein Unternehmen die Geschichte eines Gründers hat, dessen Erfindungen seiner Zeit weit voraus waren, dann ist es meist auch offen für das Tüfteln und Ausprobieren, das ist attraktiv für junge Leute", sagt Kast.

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Den potenziellen Mitarbeiter zu überzeugen, reicht jedoch nicht. Oft hängt die finale Entscheidung vom Partner ab. Wenn zwei Karrieren vereinbart werden müssen, sind Kleinstädte im Nachteil. Um Führungskräfte zu gewinnen, hat Kast auch schon Ehepartnern einen Job vermittelt, sogar in der Verwaltung oder im Schulwesen. "Dieser Service muss gemacht werden", sagt der Personalexperte, der heute Mittelständler berät und dem Netzwerk Demografie vorsteht. Wichtige Fachkräfte hat er zusammen mit dem Partner zu einem Wochenende mit Restaurantbesuch und Sightseeingtour eingeladen.

Auch wenn das längst nicht die Regel ist und der Aufwand nicht für jede Position geleistet wird: Dass in der Personalnot auch Kinder und Lebensgefährten geworben werden müssen, haben viele Firmen begriffen. Sie laden die Familien zum Betriebssport ein und sorgen für den Kitaplatz.

Manche Firmen zahlen hohe Prämien

Auf das soziale Umfeld seiner Mitarbeiter setzt auch Aramark - andersherum. Das Unternehmen zahlt Prämien an Mitarbeiter, die neue Kollegen werben und beobachtet, dass die vermittelten Freunde und Bekannten sich gut einfinden. Mehr als ein Viertel der vakanten Stellen hat Aramark im ersten Jahr des Programms so besetzt. "Ich glaube, unsere Mitarbeiter wissen sehr gut, wer zu uns passt", sagt Kloos. Für schwer zu besetzende Stellen gibt es eine sogenannte Turboprämie, der Maximalbetrag für die Werbung eines neuen Mitarbeiters liegt bei 2400 Euro.

Andreas Loroch liegt all das fern. Er hat vor zweieinhalb Jahren Vorsprung at work mitgegründet, das Unternehmen, für das Stephan Schwarzbach München verlassen hat. 40 Menschen verdienen dort inzwischen ihren Lebensunterhalt, einige haben zuvor in Berlin, Düsseldorf und Hamburg gearbeitet. Doch bei Loroch gibt es keine Entschädigungen für die grüne Wiese, er verspricht keine Positionen und zahlt keine Lockprämien: "All diese Maßnahmen zeigen, dass die Unternehmen in ihren Strukturen denken, aber nicht vom Menschen ausgehen", sagt er. Der wolle nämlich mit anderen zusammenarbeiten, lernen und sich entfalten und man müsse ihm nur die Möglichkeiten dazu geben. "Ich möchte niemanden davon überzeugen, seinen Lebensmittelpunkt nach Weinheim zu verlegen", sagt er - "aber ich freue mich, dass es klappt."

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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